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31. März 2015
Andreas Jacke
für satt.org


  Zeige Deine Wunde. Kunst und Spiritualität bei Joseph Beuys
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Bildmaterial © absolut Medien GmbH & Joseph Beuys
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Freiräume: Analysen eines beschädigten Lebens – der neue Film von Rüdiger Sünner: Zeige Deine Wunde. Kunst und Spiritualität bei Joseph Beuys

Deutschland 2015, Regie, Buch, Kamera: Rüdiger Sünner, 85 Min., DVD bei www.absolutmedien.de

Rüdiger Sünners neuer Film über Joseph Beuys eröffnet einen spezifischen und persönlichen Zugang zu dem Künstler. Zweifellos handelt es sich hier um eine Perspektive, die der Regisseur seit vielen Jahren in seinen Dokumentationen entfaltet hat. So deutet er den Kanon der Beuysrezeption in seine Richtung um. Aber diese Deutungen sind naheliegend, wurde der Künstler mit Weltgeltung doch schon zu Lebzeiten als ein Magier oder Schamane betrachtet. Ob sich bei Sünners Position um eine Neuauflage von Goethes Pantheismus (ohne Gott) handelt, wie Ansgar Martins behauptet, vermag ich nicht zu taxieren. Auch nicht, ob hier die Natur als »Unmittelbarkeitsideal« gegen Zivilisation, Technik und Konsum ausgespielt wird. Aber falsch scheinen mir diese Beobachtungen nicht zu sein. Im Zentrum der Dokumentation geht es jedenfalls um spirituelle Fragen, die immer zugleich eine Kritik an unserer Gesellschaft in Bezug auf Rationalität, Kapitalismus und Konsum enthalten. Auch wenn dieser besondere Zugang unterdessen zuweilen manchmal etwas stereotype Formen angenommen hat, weil sich Sünners Filme stilistisch nur wenig voneinander unterscheiden, so erweist er sich in diesem Fall doch hilfreich und letztendlich doch gelungen.

Deutlich wird so, dass das gesamte Kunstprojekt von J. Beuys sich schon früh als ein von der Romantik geprägtes erklären lässt. Seine Naturverbundenheit ist keine Reaktion auf die ökologische Krise, sondern ging ihr schon lange voraus. Er ist ein Grüner, bevor es die Grünen gab. Er sah sich selbst, wie man auch in anderen Filmdokumentationen schon erfuhr, bereits als Kind als ein Hirte, ein Nomade, der abgewandt vom etablierten Denken der wohlhabenden sesshaften Wohlstandsgesellschaft nach anderen (verschütteten) Wegen suchte, um der Zivilisationsgeschichte, die er als eine Sackgasse begreift, zu entkommen. Der Nomade ist eine Denkfigur, die in der Philosophie von Gilles Deleuze ausformuliert wurde. Er ist immer in Bewegung. Umgekehrt könnte man aber auch die von Beuys und Sünner gezogene Fluchtlinie als problematisch begreifen. Denn sie hat kein anderes Ziel als eine für immer verborgene metaphysische Stätte. Angesichts dieser wird die Welt in Zweifel gezogen. Und daraus resultiert zumindest bei Beuys eine depressive Haltung. Positiv daran ist, dass der Nomade gegen das Besitztum steht, weil er über keinen Ort verfügt, an dem er seine Reichtümer anhäufen könnte. So bildet er das Gegenstück zum Bürger, der sich in seinem Interieur eingerichtet hat. Die Innenräume, um die es Beuys und Sünner geht, sind demnach auch keine gemütlichen, in denen reales Inventar ausgestellt würde. Es sind künstlerisch spirituelle Freiräume, in denen es um die verzweifelte Suche und Sehnsucht nach einer übergeordneten Harmonie geht.

Zugleich werden hier Abfallprodukte aller Art in einer vom Zwang durchdrungenen Form ausstellt. Das Niedrige und Jämmerliche der Materialien soll abstoßend sein und bildet so den Gegenpol zum Design einer vom Organischen gereinigten Welt. Es impliziert nicht nur den Moder der Vergänglichkeit, sondern zugleich auch den Abfall als Sündenfall, der das durch die Zivilisation geschädigte Subjekt in ein gleichwohl beschädigtes Leben entlässt.

Der Film führt daher immer wieder die persönlichen Eindrücke dieser Beschädigungen vor, die der Regisseur von dem Künstler aus Kleve empfangen hat. Die schlichte Kargheit, mit der hier die Kunstwerke von Beuys vorgeführt werden, intensiviert deren Ausdruck. Dass es ein Trauma war, nämlich der Flugabsturz in der Krim während des Zweiten Weltkriegs, das maßgeblich und zugleich in einer verworrenen Form wohl den entscheidenden Impuls für den Künstler geliefert hat, wird schon am Anfang ausgeführt. Beuys hat vermutlich nie die Zelte der Tataren betreten, die ihn nach eigenen Angaben wochenlang gepflegt haben sollen. Er hat diese Orte der ewig Reisenden demnach in einer übersteigerten Form in Erinnerung behalten. Das passt zumindest zu der Eindrücklichkeit, mit der sich ein traumatisches Ereignis ins Gedächtnis eingräbt. Leider wird eine solche psychoanalytische Perspektive in dem Film nicht wirklich aufgemacht. Dafür steht der Regisseur viel zu sehr im Bannkreis einer Kunst, die er vor allem esoterisch aufschlüsselt. Die Metaphern von Wärme und Kälte kommen ihm dabei zu Hilfe. Dabei wäre gerade eine Deutung, die vom Trauma ausgeht hier so naheliegend. Denn Beuys selbst spricht von seiner Geburt (die nach Freud die allererste traumatische Erfahrung ist) als »Ausstellung einer mit Heftpflaster zusammengezogenen Wunde«.

Mit Walter Benjamin kann der Schock, den das Trauma riss, besonders empfindlich machen gegenüber eine Gesellschaft, in deren Technikrezeption der Schock zum Alltagsleben gehört. Dagegen stellt Beuys als Rettung das Organische. Es ist eine traumatische Wunde, die nicht heilen will, die ihn immer wieder beschäftigt, die ihn zu einem Reisenden, zu einem Nomaden, zu einem Aussteiger werden ließ. All dies zeigt Sünner sehr eindrucksvoll. Dabei wird jedoch leider die Nähe zur Schauspielkunst, die die Happenings dieses Künstlers durchzogen, nicht einmal erwähnt. Damit entfällt der Diskurs des Performativen und der Liminalität, den Erika Fischer-Lichte in ihrer innovativen Erneuerung der Theaterwissenschaften auch und gerade in den theatralischen Auftritten von Beuys gesichtet hat und ganz im Sinne der Frankfurter Schule auch gedeutet hat. Beuys wird überhaupt in dem Film, der immerhin 85 Minuten lang ist, nie näher kunstgeschichtlich und damit historisch eingeordnet. Auch dass der Künstler in Interviews aufgrund seiner vielen Anfeindungen zuweilen fast wie ein zurückhaltender aber auch zwanghafter Klaus Kinski wirkt, bleibt unerwähnt, wird aber anhand des Filmmaterials dann doch wieder deutlich. Dass die Kunst, die Beuys entwarf, weit über seine Person hinausging, versuchte er selbst durch eine mytho-poetische Selbststilisierung zu kaschieren. Im Bezug auf diese Selbstmythologisierung fehlt es leider etwas an Kritik. Sie flackert bei Sünner nur am Rande auf, wenn er beispielsweise aufdeckt, dass Beuys nicht, wie er selbst behauptet, von den Tataren gesund gepflegt worden ist. Von solchen Geschichten gäbe es einige mehr und sie weisen auf die Tendenz des Künstlers hin, sich selbst zum Genie zu küren.

Umgekehrt wird aber die Verletzlichkeit von Beuys sehr eingehend beschrieben. Wohl vor allem aufgrund der traumatischen Erfahrungen und den aus ihnen resultierenden Gefahren ist er in seinen Kunstwerken mehr an Rettung als am Aufzeigen der Bedrohung interessiert, erklärt Sünner schon zu Beginn. Seine Kunstwerke handeln so meistens von Rettungsversuchen - haben aber dennoch auch einen bedrohlichen Charakter. Mit der Gefahr wächst ja das Rettende auch. Und Beuys war gefährdet. 1955 gerät er in eine schwere Krise und hat Suizidgedanken. Aber auch aus dieser Krise erwächst eine heftige Schaffensperiode, aus der dann einige seiner besten Arbeiten hervorgehen. Behutsam und mit viel Zeit stellt Sünner auch diesen Verlauf da, ohne der Person jemals zu nahe zu treten. In seinen Filmbildern kommen überhaupt immer wieder die Werke des Künstlers selbst zu Wort. Die Anthroposophie und das Christentum in seiner keltischen Ausprägung spielen dabei eine wichtige Rolle und werden genauer vorgestellt. Außerdem durchläuft das Motiv des Hasen diesen Film, dem in der Kunst von Beuys eine Schlüsselrolle zukommt. Aus diesem Element (und dem gesamten Bezug des Künstlers zum Organischen) ließe sich Einiges herausdeuten, was uns heute mehr als jemals zuvor beschäftigt. Nicht nur dass Jacques Derrida mit seinen philosophischen Gedanken zum Tier einen verdrängten Zweig von Adornos Philosophie wieder aufgegriffen hat. Unterdessen sind die Human-Animal-Studies sogar an deutschen Universitäten installiert. Sie scheinen das zu unterstützen, was Beuys in seiner Begegnung mit einem Kojoten in seiner wundervollen Aktion I like America and America like Me schon 1974 gesucht hat. Ein neues Verhältnis zwischen Mensch und Tier. Auch auf diese Aktion geht die Dokumentation länger ein, situiert sie allerdings vor allem vor dem Hintergrund eines typisch linken Antiamerikanismus. Beuys erklärte aber selbst, er habe mit dieser Kunstaktion, bei der er drei Tage mit einem Kojoten auf engsten Raum in New York verbrachte, Amerika retten wollen. Er wollte damit den traumatischen Punkt in der amerikanischen Geschichte versöhnen: »Man könnte sagen, wir sollten die Rechnung mit dem Kojoten begleichen. Erst dann kann diese Wunde geheilt werde« erklärte er. Denn der Kojote war eines der wichtigsten Totemtiere der Indianer in Nordamerika. Und diese Indianer sind in einem fürchterlichen Genozid schließlich von den weißen Einwanderern getötet worden. Trotz einiger Zweifel hat Sünner eine sehr interessante Dokumentation gedreht, die nochmals die Faszination für Beuys zeigt, auch wenn sie sie nach meiner Ansicht nicht immer zu Ende deutet. Ein sehr interessanter Film, für den man sich allerdings etwas mehr Zeit nehmen muss als üblich: Sehenswert!