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17. Januar 2016
Andreas Jacke
für satt.org

David Bowie

LAZARUS
zum Tod von
David Bowie

David Bowie ist tot und nichts kann ihn wieder lebendig machen. Wenn ein Musiker stirbt, dessen Musik man über Jahre hinweg gehört hat (so wie ich), ist das fast so als würde eine gute Freundin sterben. So fühlt es sich zumindest an. Für einige Tage, dann geht das Leben weiter...

Wie Bowies Produzent und langjähriger Freund Tony Visconti unterdessen bestätigt hat, wurde sein letztes Album BLACKSTAR (2016), welches nur zwei Tage vor seinem Tod erschienen ist, aufgenommen im vollen Bewusstsein darüber, dass dies seine Abschiedsplatte sein sollte. Insbesondere das Video zum dem Song LAZARUS wirkt so, als hätte der Popstar darin nun sein eigenes Sterben in Szene gesetzt. Bowies stete Verwandlung von Leben in Kunst hat damit einen verblüffenden Abschluss gefunden, der schockierend, traurig und zugleich hoffnungsvoll ist. Seine Songs haben sich dem Tod in vielfältiger Weise immer wieder gestellt. Er war oftmals eines der wesentlichen Motive der Dramen, welche sich darin vor seinen Hörern abspielten und sie ergriff. Es ist also gar nicht so erstaunlich, wenn gerade dieser Künstler seinen eigenen Tod vorbereitet und ihn versucht, in Worte zu fassen und Bilder für ihn zu finden, die jenseits dessen liegen, was man gemeinhin damit verbindet. Und wenn er es nicht den anderen überlässt und selbst jede Information über seine Krankheit zurückhält und dafür genau das tut, was er immer getan hat, es verwandeln in Sound and Vision. Auf der anderen Seite ist das unmöglich, weil der Tod etwas ist, das sich jeder Repräsentation entzieht. Und weil es unmöglich ist, darüber wirklich etwas zu sagen. Diese Grenze ist virtuell, weder fassbar, noch kann sie überschritten werden. Darin besteht also eine der vielen Unmöglichkeiten, aus denen Kunst im Grunde besteht.

Wenn Bowie seinen Song Lazarus mit verletzen Augen (Bowies Augen, von denen tatsächlich eines seit seiner Kindheit verletzt ist, gehört zu seinen Hauptmotiven) von einem inszenierten Krankenbett aus singt und dann am Ende im Schrank verschwindet, nicht ohne noch vorher einmal die Pose von Ziggy Stardust eingenommen zu haben, ist man irritiert. Bowie ist immer noch Bowie, egal wie alt oder wie krank er auch immer sein mag. Er drückt sich immer noch sehr gelungenen in pantomimischen Gesten, Tönen und Verkleidungen aus, die seinen Stil zeigen. Und er findet sehr seltsame Worte, präzise Worte für das, was er sagen will. Der Text von Lazarus ist wie so oft bei ihm in jeder Zeile spannend. Es wirkt so, als würde er darin nochmals zurückschauen und Elemente seines Lebens resümieren, die sich gelohnt haben, die einen Weg in die Freiheit (was immer das sein mag) beschreiben, den er immer wieder genauso gegangen wäre. Ich zitiere den Text daher vollständig.

Look up here, I'm in heaven
I've got scars that can't be seen
I've got drama, can't be stolen
Everybody knows me now

Look up here, man, I'm in danger
I've got nothing left to lose
I'm so high, it makes my brain whirl

Dropped my cell phone down below
Ain't that just like me?


By the time I got to New York
I was living like a king
Then I used up all my money

I was looking for your ass

This way or no way
You know I'll be free
Just like that bluebird
Now, ain't that just like me?

Oh, I'll be free
Just like that bluebird
Oh, I'll be free
Ain't that just like me?

Es fehlt nicht an Bemerkungen über Sexualität (I was looking for your ass) und über sein dramatischen Charakter (I've got drama, can't be stolen), dessen Theatralik gerade in diesem letzten Video mit voller Wucht deutlich wird. Eine ausgezerrte Figur, die glücklich zurückschauen kann auf eine extrem lange und wichtige Wirkungsgeschichte. Und es geht hier, wie immer, darum, seine extrem intensiven Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Zugleich ist alles voller Selbstbezüge, eine Welt, die sich um einen narzisstischen Star dreht und vor allem per Identifikation den anderen erreicht. Bowie erreichte ihn aber stets auf der Ebene der Existenz und darin lag seit jeher das Potenzial seiner Erschütterungen, seiner Kunst.

David Bowie: Blackstar

Er war kein leuchtender Stern, er war ein Blackstar, ein Mann der verbunden ist mit Depressionen und Identitätsproblemen, mit manischer Exzentrik, überschwänglicher Freude und introvertierter Schüchternheit. Er war zugleich extrem nah und vollkommen distanziert und hatte einen hinreißenden Humor. Ein englischer Gentleman, der auf der psychischen Ebene ein Gravitationsproblem hatte und demnach wie ein Astronaut im All schwebte. Und zugleich ein Künstler, dessen Besessenheit ansteckend (und auch kommerziell verwertbar war). Bowie war immer fragil und zugleich extrem stark, immer gefährlich und zugleich aufgrund seiner berschwänglichkeit fast schon omnipotent. Er war immer unterhalb oder oberhalb dessen, was die triste Realität eigentlich zu bieten hat. Bowies Kunst war oft abgründig, sowie Outside und Low keine einfachen Platten sind, sondern eher der gelungene Ausdruck emotionaler und psychischer Abgründe sind. Dieser Mann war ein König, aber kein Souverän, sondern jemand, der versuchte ins Herz des Daseins vorzudringen und dessen existenzielle Dringlichkeit hörbar und fühlbar werden zu lassen. So gesehen ist seine Musik selbst eine Droge gewesen.

  Andreas Jacke: David Bowie - Station to Station
Andreas Jacke:
David Bowie - Station to Station

Psychosozial-Verlag 2011
280 Seiten, Broschur, EUR 29,90
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Vielleicht konnte er deshalb, seinen eigenen Tod thematisieren, sowie er es schon unzählige Male zuvor getan hatte (am eindrucksvollsten wohl in My Death – aber auch in Looking Back in Anger, Rock ‘N‘ Roll Suicide und vielen anderen Songs). Die Zeilen Look up here, man, I'm in danger/ I've got nothing left to lose war nun leider kein rein dramatischer Affekt und auch kein Theatereffekt, sondern real, es war keine Künstlerpose, keine Performance, keine postmodernes Theaterspiel und das alles ist es letztendlich niemals gewesen. Es war immer schon sehr viel von ihm selbst darin. Bowie war so intensiv, weil er sich gnadenlos selbst dargestellt hat. Hinter all diesen Masken stand immer und vor allem er selbst.

Das widerspricht einer ganzen Rezeptionsgeschichte, die sich in Sicherheit wiegen möchte, dass es hier um Illusionen und nicht um existenzielle Probleme gegangen sein soll. Aber das ist vielleicht der größte Irrtum, das größte Missverständnis. Bowie war immer schon in einer sehr ausgeklügelten Weise extrem persönlich. Er konnte nur diese extreme Nähe herstellen, weil er von dem, was er sang, wirklich überzeugt war. Das war keine Show, das war keine Unterhaltung, das war jemand, der sein eigenes Leben in Kunst in Szene setzten konnte. So hat er uns erreicht, immer und immer wieder. Wie sang er am Ende von Rock ‘N‘ Roll Suicide: “I'll help you with the pain/ You're not alone“.