Am Ende der Gewalt
ein Film von Wim Wenders mit Bill Pullman, Samuel Fuller und anderen
Die dramatischsten Passagen aus Wim Wenders neuer Kinoproduktion wirken wie die ruhigsten aus David Lynchs letztem Film „Lost Highway. Das ist durchaus als Kompliment zu werten und liegt nicht nur am selben Hauptdarsteller (Bill Pullman). Während sich der Amerikaner Lynch eines sehr persönlichen und regelrecht klassischen europäischen Themas (Eifersucht) annahm, behandelt der Deutsche ein eher amerikanisches Phänomen: die Gewalt. Sie ist seit jeher eines der großen Hollywood-Themen, und wurde insbesondere in vielen Western und Cop-Krimis der sechziger und siebziger Jahre in den Mittelpunkt gestellt, mittlerweile aber - und nicht erst seit Quentin Tarantino - hat sich die Gewalt und ihre Darstellung mehr und mehr zum Motiv, zur bloßen Zutat gewandelt. Die Gleichung „Film + Gewalt = gewalttätiger Film geht seit langem nicht mehr auf; Gewalt ist heute wie Pfeffer, das allein dazudient, dem Zuschauer einen Film schmackhafter zu machen. Wim Wenders: „Wir alle erleben doch, wie die Darstellung von Gewalt in einem Ausmaß, das für uns noch vor zehn Jahren unvorstellbar war, zum Unterhaltungsstoff und Konsumartikel geworden ist. Samuel Fullers Auftritt in „Am Ende der Gewalt ist daher mehr als ein persönlicher Huldigungsakt, den Wenders einem bewunderten Regisseur zukommen ließ. Denn Fuller, der Produzent einiger höchst gewalttätiger Streifen, hat zur Filmhandlung und damit zur Jetzt-Zeit keinen echten Bezug; er spielt einen Vater, der über das Leben seiner Kinder nichts weiß und nichts wissen will. Und buchstäblich (wie im echten Leben) ist Samuel Fuller am Ende des Filmes tot.
Wenders Blick richtet sich nicht auf die individuelle, zwischenmenschliche Gewalt - sie wird bloß als Schabernack inszeniert (etwa als harmlose, kindische Kneipenprügelei), womit er der obengenannten, zeittypischen Darstellung tatsächlich entgegenkommt. Sein Interesse gilt vornehmlich der staatlichen, von oben gesteuerten Gewalt, die im Film bezeichnenderweise mit Hilfe von Bildschirmen reguliert wird. Und in diesem Bild versteckt sich die Botschaft des Filmes, denn die eigentlichen Überwachungsanlagen entwickeln langsam eine Eigendynamik und werden schließlich selbst zum Agressor. Das Filmmedium bildet also nicht nur Wirklichkeit ab, sondern produziert diese auch.
Diese staatliche oder übermächtige Gewalt, die Wenders unspektakulär und damit brutal ins Bild rückt, trifft einen schuldigen Unschuldigen; schuldig in dem Sinne, weil er als Produzent blutrünstiger Kinostreifen mit dazu beitrug, daß sich die durch Bildschirme vermittelte Gewalt ausbreiten konnte; unschuldig deshalb, da sich diese Gewalt willkürlich gegen ihn richtet, und allein deshalb, weil ein Bekannter ihm eine strengvertrauliche Nachricht zukommen ließ. Dieser Bekannte, der Filmsohn von Samuel Fuller, arbeitet an einem geheimen Forschungsprojekt der US-Regierung, das mit Kameras die Öffentlichkeit observiert, um Gesetzesverstöße und Gewaltübertretungen rasch bestrafen zu können. Und er muß jetzt über seine Monitore hilflos mitansehen, wie sich das staatliche und von ihm verwaltete Gewaltmonopol - aufgrund seines Verrates - gegen den Filmproduzenten richtet. Jener aber flieht, entzieht sich der Allmacht der Kameras und wandelt sich vom Saulus zum Paulus.
Gerade die Filmepen von Wim Wenders, die sich einem Metathema verschrieben haben (etwa „Bis ans Ende der Welt) oder explizit Amerika ergründen wollen (etwa „Paris Texas), laufen häufig Gefahr, in langweiliges Großwandkino umzukippen. Glücklicherweise trifft dieser Umstand bei „Am Ende der Gewalt nicht zu, da es Wenders immer wieder verstand, sich in den richtigen Momenten auf seine ausgeklügelte und raffinierte Handlung zu konzentrieren. Entstanden ist so ein gleichermaßen altmodischer wie zeitgemäßer Thriller mit einer gehörigen Portion philosophischer Medienerkenntnis: kurzweilig beim Betrachten, spannend in der Analyse.
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