Nesch Gebrochen Deutsch
Nicht nur der Titel des vor mir liegenden Lyrikbandes „Gebrochen
Deutsch“ erinnert an einen bekannten Tonträger ("Broken
English“ von Marianne Faithful), auch die darin versammelten
Gedichte des 29jährigen Autors Nesch wirken wie gedruckte
Songtexte. Auf die enge Verbindung seiner Texte zur Musik verweist
schon der kurze literaturwissenschaftliche Hinweis, der der Textsammlung
vorangestellt wurde: „Lyrik (griech. Lyra,Leier')".
Hervorgehoben wird damit also der oftmals vergessene Umstand,
daß Gedichte ursprünglich für den musikalisch
begleiteten Vortrag gedacht waren. Mehrfach habe ich bereits
betont, daß aus der Allianz Musik-Gesang herrliche Lyrik
entstehen kann
- viele textende Sänger sind so ausgezeichnete Literaten.
Doch natürlich bedeutet dies nicht, daß jeder Liederschreiber
gut schreibt. Dergestalt können zwar viele Texte in Einklang
mit Musik außerordentlich wirken - gleichzeitig jedoch
können sie nackt auf dem Papier und ohne jegliche Untermalung
blaß und ungelenk wirken. Gute Lyrik hingegen ist Musik
ohne Instrumente und Stimme - selbst wenn diese für den
Gesang verfasst wurde! Manche Zeilen von Nesch besitzen so auch einen Rhythmus, der
sich bei der Lektüre auf den Leser überträgt:
„Meine Zigarette/Verglimmt/Ein Fluß/Zieht an mir vorbei/Wie
ein Film/Im Kino/Leben/Die Menschen nur/Wenn ihnen langweilig
ist/Dabei steht doch eines fest/Daß jedes Leben/Slänglich
ist". Oder: „Ich fühl mich/Wie eine Wurzel/Die
sich durch den Dreck wühlt/Nur erfrischt/Hin und Widerlich/Vom
Regenwasser umspült/Ansonsten/Einzig Verwestes/An sich fühlt".
In solchen Momenten wird die Lektüre zum Genuß, Worte
werden Musik. Leider aber überwiegen in „Gebrochen
Deutsch“ Passagen, zu der man sich musikalische Untermalung
wünscht, damit diese dann vom eigentlichen Text ablenken:
„aber ansonsten hat sich nix verändert/mal wieder hast
du gestrampelt im leben/dabei mußt du es doch besser wissen/strampel
nie in einem treibsand-schicksal". Dieses Beispiel ist sprachlich
unschön und inhaltlich banal. Auch das überwiegend
verwendete Stilmittel, das Enjambement (der,Zeilensprung'),
hält nicht immer das, was es halten soll: „Die Bevölkerung
ist/schockiert/läßt ein Großindustrieller seine
Abwässer/ab/er/wischen wird ihn nie/mand/eln in Tüten/Hamburger
und Fritten werden von Mobilen aus an/schau/wie lustig sie um
den Brand/herd/en von Leuten grasen den Ort nach Kix ab./Keiner
gönnt dem anderen/was/gut ist, daß noch niemand den
Nächsten so liebt wie sich/selbst. Tilt.“ Zwar findet
der Titel des Gedichtbandes hier eine augenfällige Entsprechung,
allerdings kann dies nicht darüber hinwegtäuschen,
daß solche Verse weder musikalisch noch sprachlich besonders,
also vom Wesen her lyrisch sind. Insofern ist mein Urteil über „Gebrochen Deutsch"
zwiespältig: an manchen Stellen kann ich mir die Musik denken,
an wenigen Stellen kann ich die Musik spüren, während
vieler Seiten würde ich lieber Musik hören.
[Nesch: Gebrochen Deutsch. Manana-Verlag, Leverkusen 1997. 104 S.]
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