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Warm wie die Mitternachtssonne

Stephan Winkler und Max Goldt sind Nuuk, ihr erster Tonträger heißt „Nachts in schwarzer Seilbahn nach Waldpotsdam”

Popmusik und Literatur sind längst schon keine Gegensätze mehr, gerade deshalb beäugen viele Buchschreiber neidisch ihre singenden Kollegen: Denn der musikalische Vortrag zielt nicht nur auf den Geist, sondern gleichfalls auf den Körper. Die Anhängerschaft ist dementsprechend häufig zahlreicher und zu allem Überdruß meist auch noch jünger, hübscher, knackiger. Kein Wunder, daß immer mehr Literaten zum Mikrophon greifen und Tonspuren mit ihrem Sprechgesang verzieren. Auch Max Goldt, der betagte Leonardo DiCaprio des Satiredampfers Titanic, veröffentlichte dieses Jahr nicht nur zwei Lyrikbände, ein neues Prosabuch und (gemeinsam mit Stephan Katz) einen Cartoonband, sondern obendrein auch einen Tonträger voll wundersamem Liedgut.

Das mag die einen, die allein den Schriftsteller Goldt kennen, durchaus verwundern. Viele aber haben den Etikettenschwindel, der sich Anfang der 90er Jahre vollzogen hatte, nie wahrhaben wollen. Für sie wurde Max Goldt nicht über Nacht der erfolgreiche und legitime Haffmans-Kultautor, der es bis in die SWF-Bestenlisten und hiesigen Feuilletons brachte, für sie blieb er weiterhin der bunt schilllernde Sänger von Foyer des Arts, der gemeinsam mit seinem Partner Gerd Pasemann sogar den Gipfel der ZDF-Hitparade erklommen hatte. Mich persönlich haben die Lieder von Foyer des Arts durch die Pubertät gerettet: Ich war sein „Elvis-Imitator auf dem Wege zu sich selbst”, küßte „Frauen in Frieden und Freiheit” und fand das Leben zwar uninteressant, aber schön. Und wenn ich ganz, ganz, ganz verwegen war, - also eigentlich ständig, - dann lauschte ich auch seinen manisch-neurotischen Soloschallplatten, die Titel trugen wie „Die majestätische Ruhe des Anorganischen” oder „Restaurants Restaurants Restaurants. Zweiundzwanzig hysterische Miniaturen”. Seine Discographie ist um einiges umfangreicher als seine Bibliographie, nicht nur deshalb ist Max Goldt vorrangig ein Liedermacher, der bloß nebenbei ausgezeichnete, stilistisch brillante Literatur fabriziert.

In dieser Hinsicht stellt er im übrigen keine große Ausnahme dar, viele seiner textenden Sängerkollegen - von Max Müller (Mutter), Thomas Meinecke (FSK), Armin von Milch (Milch) und Jochen Distelmeyer (Blumfeld) bis hin zu Blixa Bargeld (Einstürzende Neubauten) und Tom Liwa (Flowerpornoes) - schreiben ebenso vortreffliche Gedichte und Prosa. Denn häufig entsteht aus der oben angesprochenen Personalunion eine Literatur, die es bequem mit den Papierwesen der reinen Schriftpoeten aufnehmen kann. Lyriken sind ja ursprünglich nichts anderes als Liedtexte (griech. Lyra = Leier); und Takt, Rhythmus, Metrik spielen für die Liedermacher weiterhin eine zentrale Rolle, ihre Verse zeichnet so oftmals eine hohe, lebendige Sprachvirtuosität aus, da diese ja auch stets für den mündlichen Vortrag und nicht für die Lektüre bestimmt sind.

Die letzte Platte von Foyer des Arts erschien 1995. Mittlerweile hat Max Goldt einen neuen kongenialen Musikpartner gefunden: Stephan Winkler, seines Zeichens Dirigent an der Berliner Hanns-Eisler-Hochschule und Freund elektronischer Musik. Beide tauften sich nach der kleinsten Hauptstadt der Welt „Nuuk”.

Nuuk, südlich der Insel Disko, liegt in Grönland, das die Einheimischen Kallaliit Nunaat („Land der Menschen”) nennen. Und den Menschen gilt seit jeher Max Goldts Hauptinteresse. Er ist ein wachsamer, glänzender Beobachter, der wissen will, was die Menschen tun, und der seine Spähereien und Selbstbetrachtungen in elegante, lakonische Worte zu hüllen vermag („Ich fühle Neujahrsblei/die Kehle runterrinnen/Ich fühle Weihnachtslieder/auf meiner Zunge brennen//so wie ich mich fühle/fühlen sich andre Leute nur/wenn gerade ihre Mutter/gestorben ist”). Zehn solcher Texte hat Stephan Winkler stimmungsvoll und verspielt vertont; und daß Winkler sein Handwerk versteht, hat er bereits auf der letzten Foyer des Arts-Platte, für das er ein ausgeklügeltes, herzzerreißendes Streicherarrangement beisteuerte („Dein Kuß war Heimatkunde”), eindrucksvoll bewiesen.

Nuuks Debüt „Nachts in schwarzer Seilbahn nach Waldpotsdam” ist wahrscheinlich das überraschendste und schönste Werk, mit dem Max Goldt 1998 an die Öffentlickeit tritt. Dieses Lob gilt natürlich zu gleichen Teilen Stephan Winkler. Und daß Max Goldt nicht mehr singt, sondern „deklamiert”, ist zwar ein Zugeständnis an seinen Rang als legitimer Dichter, doch das wird weder die frühen, noch die jüngeren Fans wahrlich abschrecken.

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(Nuuk: Nachts in schwarzer Seilbahn nach Waldpotsdam.
Traumton Records/Indigo.)

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