Kedi - Von Katzen
und Menschen
(Ceyda Torun)
Originaltitel: Kedi, Türkei / USA 2016, Kamera: Charlie Wuppermann, Schnitt Mo Stoebe, Musik: Kira Fontana, mit Sari, Bengü, Aslan Parcasi, Psikopat, Deniz, Gamsiz, Duman und viele andere Vier- und Zweibeiner, 79 Minuten, Kinostart: 10. August 2017
Lange bevor das erste Katzenvideo auf youtube eingestellt wurde, gab es einen immens faszinierenden Pausenfilm beim NDR-Fernsehprogramm, der ein einer fast an Escher gemahnenden Pyramide aus offenen Würfeln, aus denen immer mal wieder die Buchstaben n, d und r rausgeschnitten waren, ein Dutzend flauschiger Kätzchen hin und her tapsten oder mal wieder niedlich »aus der Box« schauten. Zu Zeiten, als man sich mit drei Fernsehprogrammen abzufinden hatte (zumindest in Westdeutschland bei schlechtem Wetter), war das beinahe ein Gassenfeger - man wusste nur nie im Voraus, wann mal wieder einige Minuten Sendezeit damit überbrückt werden musste (und Walross Antje wollte ja auch mal hin und wieder einen freien Nachmittag haben ;-)).
Ein kleines Rätsel, warum es im Dokumentarfilm, jener Sparte der Kinoverwertung, in der man seit anderthalb Jahrzehnten noch die kleinsten Splittergruppen des Zielpublikums ausmacht, so lange dauerte, bis jemand auf die Idee kam, einfach mal einen abendfüllenden Katzenfilm anzustreben.
Ein zusätzlicher kleiner Geniestreich war es, dieses Thema mit dem (so erweckt jedenfalls den Anschein) Katzenparadies Istanbul zu kombinieren.
© Weltkino
Kedi erschöpft sich aber nicht einfach in Postkartenmotiven wie den putzigen Katzenjungen im Korb, dem verträumt schauenden Streuner im Licht des Sonnenuntergangs oder der sich auf einer hübsch verwitterten, aber frisch in leuchtendem Türkis gestrichenen Fensterbank streckenden Mieze.
Man lässt zum einen (durchweg katzenaffine) Istanbuler über die Natur der größtenteils domestizierten Raubtiere philosophieren (»Die Katze steht für das Chaos, die Kultur und die Einzigartigkeit Istanbuls«), und gibt sich außerdem die Mühe, einigen der Gassentiger quasi ein acht- bis zwölfminütiges Portrait zuzukommen. Wobei insbesondere die Kamera in Augenhöhe (der Katzen), an die sich die kleinen Stars offenbar recht schnell gewöhnt hatten, dazu beiträgt, dass man als Zuschauer zumindest ansatzweise (ohne den Fake einer inszenierten Doku à la Disney) die Katzenperspektive einnimmt.
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Gleich die erste der Katzen, die auf der Suche nach Futter durch die Straßen strömert und offensichtlich nie das Sprichwort »beggars can't be choosers« vernahm, entwickelt eine vom Filmteam clever eingefädelte, aber eben nicht von außen erdachte Narration. Sie klaut ein wenig hier, bettelt dort, wird auch mal liebevoll weggescheucht, und schleppt dann aber die erste größere Beute wie mit einem großen Masterplan lange im Maul durch die Gegend. Bis sie bei einer Haustür angelangt, die ihr auch noch bereitwillig von einem Zweibeiner geöffnet wird - und sich dahinter der Nachwuchs zeigt.
Die vermeintliche »Halterin« (oder eher sympathisierende Dulderin) dazu: »Sie ist erst jetzt zur Jägerin geworden. [...] manchmal rede ich mit ihr und sie miaut in einer Tour...« Dann muss die Interviewpartnerin kurz wieder ihren Türöffnerdienst verrichten und kommentiert auch dieses: »Man sollte sie nicht einsperren, um sie streicheln zu können. Draußen gibt es Millionen von Katzen, die von jedem gestreichelt werden können!«
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Die in Istanbul aufgewachsene Regisseurin Ceyda Torun sieht ihre Zielsetzung entsprechend auch darin, dass sie mit dem Film den Zuschauer motivieren will, »sich anschließend danach zu sehnen, eine Katze zu streicheln und Istanbul zu besuchen«.
Hier und da treibt es der Film mit seinen Lebensweisheiten ein wenig zu weit (»Katzen sind sich der Präsenz Gottes bewusst. Für Hunde ist der Mensch Gott.«), trotz nur 79 Minuten Lauflänge hat man gegen Schluss ein wenig den Drive eingebüsst, aber letztlich kann ein Film, der einen kontinuierlich zum Lächeln zwingt, per Definition nicht schlecht sein. Oder wie es mal heißt (und ich greife das einfach mal als Kritiker und Zuschauer für mich auf): »Man soll die Liebe erwidern, die einem zuteil wird.«
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Was man noch hätte verbessern können: die unterschiedlichen Portraits (ich habe ja nur eines angerissen, der Facettenreichtum ist bei Katzen natürlich Ehrensache) findet man im Pressematerial weitaus ausgedehnter, wo jede Katze mit teilweise mehreren Namen, Aussehen, Wohnort usw. beschrieben wird. Aber das passte wohl nicht ins Konzept, weil man eben keinen Audiokommentar zum Teil des Films machen wollte, sondern nur dokumentieren. Kann man ja aber beim Bonusmaterial der DVD nachliefern, wenn es nicht schon zu spät ist.
Und was ich zumindest erwähnen möchte: Ein Film über Katzen hat natürlich mit Politik ungefähr so viel zu tun wie ein Rezept für Blaubeer-Götterspeise (wegen der unverfänglichen Farbe). Aber wenn (an zwei unterschiedlich prominenten Stellen) mal auf einer Hauswand jemand »Erdo-gone« hinsprayte, so gehört das für das Filmteam offenbar auch zum (manchmal recht touristischen) Istanbul-Bild. Hat mich nicht gestört, ist mir aber aufgefallen.