daily satt
- daily stahl -VERMISCHTES IM FEBRUAR 2002
Sonntag, der 3. Februar 2002
Die Hochzeit des Jahres
Mit beiden Händen hielt sie zitternd seine Hand. Immer wieder suchte ihr Bilck
angstbedrängt seine Augen? Merkte er denn gar nichts?
Die Krämpfe wurden so stark, dass sie nur mit Mühe vermeiden konnte, sich zu
krümmen, sich nach vorn zu beugen, was den Verlust des Gleichgewichts hätte
bedeuten können.
Das hier vor den Augen aller. Vor den Augen von 70 gekrönten Häuptern des
europäischen Hochadels. Vor den Augen von 400 Millionen Fernsehzuschauern.
Seit dem frühen Morgen hatten die Anfälle sie gequält: häufige Entleerungen
breiigen, wässrigen Ausflusses, mit Schleim vermengten Stuhls.
War es nur die Aufregung? Denn aufgeregt war sie gewiss.
Oder das Essen vom Vortag? War dieser komische rohe Fisch, den die
Einheimischen zu essen pflegten, nicht gut gewesen? Hatte gar ein Neider sein
teuflisches Spiel mit ihr getrieben?
Wie dem auch, die Wahrheit zu ergründen, half ihr wenig, sie musste jetzt
durch, es gab kein Zurück. Máxi erlebte in der Amsterdamer Börse die
schrecklichsten Minuten ihres jungen Lebens, erst all die Worte des
Bürgermeisters, dann die Frage: Wollen Sie? Ja. Und Sie? Ja, ich auch,
geschüttelt von Tenesmen, sie versuchte Haltung zu bewahren.
Dass ihr um 10:28 h die Tränen über die Wangen strömten wie Sturzbäche, konnte
sie allerdings nicht verhindern. Sie wankte, lehnte sich an die Schulter
dieses Ignoranten, der nichts von ihrem Leid begriff, nur debil-versonnen vor
sich hin stierte, den Klängen des Bandoneons lauschend: "Adios
Noniiii-nooooo!"
Sie barg ihr Gesicht im Taschentuch, das schnell ganz nass geweint war. Er
streichelte ihre Hand, noch immer mit diesem Gesichtsausdruck, der sie an
allem zweifeln ließ, was hier vor sich ging. Er kapierte wirklich gar nichts,
dieser Idiot, und flüsterte: "I love you!" in ihr Ohr. Das war das letzte, was
sie jetzt brauchte.
Sie passierten erneut ein Fotografen-Spalier, unter größten Mühen presste Máxi
sich ein Lächeln ab. Und hinaus auf den Balkon, wie das Protokoll es vorsah, Jubel
und Beifall brandeten auf, orange Fähnchen, so weit man sah.
Die goldene Kutsche stand bereit, hinein - und die Schimmel bahnten sich im
Wiegeschritt einen Weg durch die aufgebrachte Menge. Máxi lächelte, winkte,
wurde ihrer Rolle gerecht und wünschte sich dabei nichts sehnlicher, als dass
es in der Kirche eine Toilette gäbe. Und sie es bis dahin überhaupt
durchhielte.
Wieder die Krämpfe, wieder die Tränen.
Dort in der Ferne der Kirchturm wie eine Verheissung, dort naht Erlösung, dort
naht Trost.
(Quelle: Bild am Sonntag, 3. Februar 2002)
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