Julian Barnes:
Love, etc
Vor zehn Jahren erschien "Talking it over" (dt.: Darüber reden), in dem vorrangig drei Personen namens Stuart, Oliver und Gillian eine Geschichte erzählten, in die sie alle verwickelt waren. Stuart und Oliver sind alte Schulfreunde, Oliver der studierte Bohemien, Stuart der betuliche Banker. Stuart lernt bei einer professionellen Kuppelshow Gillian kennen, kurz darauf heiraten die beiden. Die gut funktionierende Dreierfreundschaft kommt ins Straucheln, als Oliver sich am Hochzeitstag in Gillian verliebt, und sich fortan so gar nicht wie der weitgereiste Aufreißer benimmt, wenn ihr etwa Blumen schenkt oder sie mit telefonischen Liebeserklärungen schockiert. Zunächst denkt Gillian nur, Oliver sei wegen beruflicher Probleme und der logischerweise etwas eingeschränkten Zeit mit seinem Busenfreund Stu etwas von der Rolle, und sie erzählt deshalb dem Gatten nichts von den seltsamen Anwandlungen seines Freundes. Und den rest des Buches erzähle ich euch hier nicht.
"Talking it over" wurde auch verfilmt, und zwar von einem Franzosen, was insofern passend ist, weil "Jules et Jim" ein französischer Film ist und Gillians Mutter auch Französin. Den Film von Marion Vernoux mit Charlotte Gainsbourg als Marie, Yvan Attal als Benoît (Stu) und Charles Berling als Pierre hatte ich seinerzeit, ohne das Geringste von der Buchvorlage zu wissen auch mal gesehen, ich kann mich aber nur noch an einige Strandszenen erinnern. Nach der Lektüre habe ich ihn auch mal im Fernsehen aufgenommen, aber die Cassette ist unbeschriftet, d. h. unauffindbar.
Der Film aus dem Jahre 1996 hatte, wie es bei den anglophilen Franzmännern üblich ist, einen englischen Titel, nämlich "Love, etc.", wie auch ein kapitel des Buches und nun das Sequel heißt.
Der besondere narrative Kniff, der (wahrscheinlich) im Film nicht so zum Tragen kam, ist natürlich die individualisierte Erzählweise. Jede der Hauptfiguren (und diverse Nebencharaktere) präsentiert dem leser seine oder ihre Sicht auf die Dinge, was natürlich mitunter zu Diskrepanzen führt. In "Darüber reden" führt das etwa dazu, daß das Kissen, auf dem der Standesbeamte den Ring bringt, von Stuart als "pflaumenfarben", von Gillian als "burgunderrot" und von Oliver als "schlehenfarben" beschrieben wird. Weitaus interessanter wird das natürlich, wenn dadurch "awareness discrepancy" (ich liebe diese literaturwissenschaftlichen Fachbegriffe) nahegebracht wird, oder man bei den Charakteren miterlebt, wie sie bestimmte Empfindungen entwickeln oder auch wieder loszuwerden trachten.
Wenn ich euch nicht erzählen will, wie das erste Buch ausgeht, habe ich natürlich auch ein gewisses Problem, die Ausgangslage des Sequels zu schildern, und deshalb lasse ich es halt. Festzustellen bleibt, daß Barnes zwar nicht umhinkommt, die drei Hauptfiguren erneut aufeinandertreffen zu lassen, aber er längst nicht allen Erwartungen entspricht, die man haben könnte. Schon die erste Seite, von der ich auszugsweise zitieren möchte, macht einem dies sehr schnell klar:
"Stuart:
Hello!
We´ve met before. Stuart. Stuart Hughes.
Yes, I am sure. Positive. About ten years ago.
It's all right - it happens. You don't have to pretend. But the point is, I remember you. I remember you. I'd hardly forget, would I? A bit over ten years, now I come to think of it.
Well, I've changed. Sure. This is all grey for a start. Can't even call it pepper-and-salt any more, can I?
Oh, and by the way, you've changed too. You probably think you're pretty much the same as you were back then. Believe me, you aren't."
Und genau wie sich ein jeder Leser verändert hat, haben sich auch unsere drei Figuren verändert. Und natürlich hat sich auch Julian Barnes verändert, was aber am wenigsten auffällt, denn während er einerseits zehn Jahre später gelungen anknüpft, ändert er den Tonfall des Buches mitunter schon sehr, wie man es auch von John Updike oder Francois Truffaut kennt. Einerseits kommen mit Gillians Töchtern Marie und Sophie wirklich "neue" Stimmen hinzu, die zunächst vor allem Belustigung und Comic Relief verschaffen. Zum anderen entwickeln einige unserer Charaktere Züge, die vielleicht auch schon früher vorhanden waren, die aber nun zunehmend zum Tragen kommen. Die Diskrepanzen in den Erzählungen beschränken sich nicht mehr nur auf Kissenfarben, das Ganze geht dann doch eher in Richtung "Rashomon", und das Ende ist diesmal noch offener als zuvor.
Vielleicht gibt es auch wieder eine Verfilmung, womöglich sogar mit der selben Besetzung, und dann wissen wir auch schon, wie ein Buch heißen könnte, das vielleicht in zehn Jahren erscheint.