Erzählen Sie etwas über ihre Anfänge? Wie kamen Sie zu DC und zu „Swamp Thing“?
Moore: Das war zu der Zeit, als ich viel Resonanz für die Sachen erhielt, die ich für das britische Warrior“-Magazin gemacht habe: „Marvelman“, „V for Vendetta“ haben mir viele Preise eingebracht, viel Aufmerksamkeit. Ich glaube einige der amerikanischen Redakteure, Schreiber und Zeichner hatten „Warrior“ regelmäßig gelesen, weil es für sie so neu war. Zu der Zeit war „Swamp Thing“ gefährlich nahe an der Einstellung. Es hatte eine verkaufte Auflage von 60-70.000 Stück, das führte damals fast zu Verzweiflungsanfällen. Da sich niemand vorstellen konnte, daß die Situation noch schlimmer werden könnte hat mich Len Wein, der Schöpfer von „Swamp Thing“ angerufen und fragte mich ob ich einsteigen möchte. Meine Geschichten in Farbe und 24 Seiten lang - davor hatte ich immer nur sechs Seiten lange Stories geschrieben - das war unwiderstehlich. Nach meinem Einstieg stieg die Auflage immer um ein paar Tausend Leser pro Monat und wurde zu einem Klassiker in Amerika.
Mal eine Zwischenfrage: Als sie für Marvel UK „Captain Britain“ geschrieben haben, hatten Sie da etwas mit Neil Tennant zu tun, der heute bei den Pet Shop Boys ist?
Moore: Nee, soweit ich mich erinnere hatte ich mit dem nie etwas zu tun. Als ich für Marvel geschrieben habe, war Marvel UK ein ziemlich kleiner Verlag, wuchs dann aber sehr schnell.
Bei „Swamp Thing“ blieben Sie einige Jahre stecken …
Moore: Ja, ich habe vergessen wie viele Jahre. Ich habe so um die 45 Hefte geschrieben, das müßten vier Jahre gewesen sein.
Das war die Zeit, als DC seine „Crisis“-Maxiserie veröffentlicht hat, in dem das gesamte Superheldenuniversum umgekrempelt wurde. War es schwierig Geschichten zu schreiben, die mit den Ereignissen in anderen Serien korespondierten?
Moore: Das war zum Kotzen! Alle diese Riesencrossover sind ziemlich blöd und dienen nur dazu, den Leser von seinem Geld zu trennen. Aber einige sind nicht so schlecht wie andere und Marv Wolfmann und George Perez haben mit diesem Ding das Beste gemacht, was sie konnten. „Crisis On The Infinite Earths“ ist ohne Zweifel eines der besseren Crossover. Aber es ist schon störend wenn man in der Mitte einer breit angelegten, ernsten Geschichte ist und plötzlich muß man sich für einige Hefte mit Nebenstories herumschlagen, die von ziemlich großen, ziemlich doofen Charakteren beherrscht werden. Naja, ich habe mein Bestes gegeben da herumzuschreiben, die Störung zu ignorieren und die negativen Auswirkungen zu minimieren. Ja, es ist immer schweierig, wenn man für einen Verlag arbeitet, dessen Redakteure tief in der eigenen Continuity verstrickt sind und nicht wirklich eine Ahnung davon haben, was kreativ sinnvoll ist.
Aber wirkliche Schwierigkeiten mit DC gab es doch erst nach „Watchmen“?
Moore: Bei „Watchmen“ gab es unglücklicherweise einen Streit um Tantiemen, das hinterließ einen sehr schlechten Geschmack.
Es ging um Tantiemen?
Moore: Das ist alles nicht mehr wichtig, aber damals ging es um Merchandise-Artikel. Es sollte eine „Watchmen“-Armbanduhr geben und verschiedene andere Dinge. Uns wurde gesagt, wir bekommen davon keinen Pfennig ab, denn das wäre kein Merchandiise-, sondern Werbematerial. Wir haben widersprochen und wollten unsere Tantiemen. Schließlich haben wir zwar unser Geld bekommen, aber wir hatten einfach das Gefühl man will uns behumsen. Und uns wurde klar, daß wir „Watchmen“ niemals zurück bekommen würden von DC. Unser Vertrag besagte, daß wir das Buch nur zurück bekommen, wenn es nicht neu aufgelegt wird. Bis zu dieser Zeit gab es niemals ein Comic, daß 15 Jahre lieferbar gehalten wurde. „Watchmen“ war das erste Comic, das dies geschafft hat. Da gab es noch andere Gründe: So wurde damals gerade ein rigides Zensursystem eingeführt. Bestimmte Comics bekamen durch den Druck fundamentalsitischer Christen den Aufdruck „Nur für Erwachsene“. Das war so eine dumme, ziellose und ineffektive Sache - das hatte doch keinerlei Bedeutung. Ich mag das nicht, das ist der erste Schritt zur Zensur. Das wurde ja auch bei Filmen eingeführt und der Effekt: Niemand macht mehr Filme für Erwachsene, weil sie nicht genug Geld einbringen. Das war ein kleiner Punkt, im Kontext mit den anderen Punkten wuchs meine Unzufriedenheit. Ich stand da ganz auf der Seite von Frank Miller und anderen, die verlangten, daß solch ein System nicht ohne Abstimmung mit den Kreativen benutzt werden sollte. DC hat dieses System dann natürlich doch eingeführt, ich war aber der einzige, der daraus die Konsequenzen gezogen und nicht mehr für DC gearbeitet hat.
Ihr Abschied von DC markierte gleichzeitig den Abschied von großen Verlagen. In den folgenden Jahren arbeiteten Sie nur noch für Kleinverlage und schrieben Erzählungen wie den Intellektuellenporno „Lost Girls“ und die Jack the Ripper-Geschichte „From Hell“ …
Moore: …und „Big Numbers“ nicht zu vergessen! Das sollte eigentlich mein neues Hauptwerk werden. Aufgrund von unglücklichen Produktionszwängen wurde die Story nie abgeschlossen, aber daraus habe ich dann meinen Roman komponiert. Ich hatte schon immer Arbeit, aber das war alles außerhalb des Mainstream.
Alle diese Stories haben sehr lange gebraucht. An „From Hell“ haben sie 12 Jahre geschrieben, wird „Lost Girls“ auch irgendwann abgeschlossen?
Moore: Nächstes Jahr! Nun ja, es gibt das Medium Comics und die Comicindustrie und die Industrie verlangt von dir, daß du jeden Monat etwas neues vorlegst. Manchmal ist das gut und du kannst wunderbare Sache produzieren mit einem monatlichen Abgabetermin im Nacken, manchmal eben nicht. Sie dürfen auch nicht vergessen, daß es während dieser Zeit in den 90ern einen sehr unstabilen Markt gab, viele Kleinverlage gingen Pleite. „From Hell“ und „Lost Girls“ haben beide viermal den Verlag gewechselt. Dadurch gab es große zeitliche Lücken in der Veröffentlichung. Aber das war mir nicht neu, auch „Marvelman“ und „V For Vendetta“ mußte ich in der Mitte unterbrechen weil „Warrior“ eingestellt wurde. Erst Jahre später habe ich diese Sachen vollendet. Sachen dauern nun mal so lange, wie sie dauern! Das jüngste Beispiel ist die „League Of Extraordinary Gentlemen“: Viele Fans waren sauer, weil es so lange gedauert hat, die Serie zu vollenden. Aber jetzt ist die Geschichte abgeschlossen, das Hardcover kommt heraus, wir haben einen atemberaubendes Comic, an dem man für lange Zeit lesen und sich erfreuen kann. Und niemand, der das Buch jetzt liest, wird die Schwierigkeiten bemerken. Es gibt eben so viele Faktoren - ökonomische, redaktionelle, die Marktsituation - die einen plötzlichen und unerwarteten Einfluß auf die Arbeit an einem Buch haben können.
„Lost Girls“ ist auch in der Produktion sehr teuer. Es ist - wenn ich das mal über mich selber sagen darf - brilliant geschrieben und die Zeichnungen sind absolut atemberaubend. Melinda Gebbie und ich haben die ganze Zeit ohne Verlag daran weiter gearbeitet und wußten nie, ob wir jemals dafür bezahlt werden. Aber wir wußten immer, daß keine Arbeit, die so gut wie diese ist, unveröffentlicht bleibt. Und in der Zwischenzeit hatte ich in den letzen 10 bis 15 Jahren immer die kleinen Projekte, die Geld ins Haus gebracht haben.
Wie wählen Sie eigentlich die Zeichner für ihre Projekte aus? Haben Sie beim Schreiben schon immer einen bestimmten Zeichner vor Augen?
Moore: Manchmal. „Lost Girls“ etwa geisterte als erotische Erzählung schon lange in meinem Kopf herum, aber es gab keinen Zeichner. Als Melinda Gebbie mir ihre Zeichnungen präsentierte und ich sah, wozu sie fähig ist, wußte ich sofort, daß diese Künstelrin die perfekte Wahl für diese Arbeit ist. „Lost Girls“ wurde also vollkommen um Melindas Fähigkeiten herum geschrieben. Bei „From Hell“ war es anders. Ursprünglich sollte es eine Geschichte über einen Mörder werden, dann erst spezifizierte es sich auf Jack The Ripper. Und dann begann ich zu überlegen, wer das zeichnen könnte. Ich hatte zwar noch einige andere Zeichner im Kopf, aber Eddie Campbell war die einzige Wahl. Es gab einfach keinen Besseren, also schrieb ich „From Hell“ konsequenterweise speziell für Eddie Campbell. „Watchmen“ hatte ich von Anfang an mit Dave Gibbons geplant, also schrieb ich es um Daves Stärken, um seine beachtlichen Fähigkeiten, besser herauszustellen. Generell tendiere ich dazu für den Künstler zu schreiben. Aber „League Of Extraordinary Gentleman“ war schon in meinem Kopf, bevor ich mich für Kevin O´Neil entschied. Als ich in meinem Kopf eine Liste von Künstlern durchging, die ich gerne an der „League“ beteiligt sehen wollte, kam ich auf Kevin und dachte: „Der ist perfekt!“ Also habe ihn angerufen, er sagte mir zu und so habe ich das Skript geschrieben und hatte dazu immer Kevin im Hinterkopf. Ganz früher war es ja so, daß ich irgendetwas geschrieben habe und nicht wußte, wer das nun zeichnen wird. Heute setze ich ganz selten die Mine aufs Papier, ohne zu wissen, wer der Zeichner ist.
Bei „From Hell“ stand Jack The Ripper als Hauptfigur also noch gar nicht fest. Hat ihre Wahl für diese Geschichte etwas damit zu tun, das sie „From Hell“ 1988 anfingen, dem Jahr in dem die Rippermorde exakt 100 Jahre her waren?
Moore: Ich suchte nach einem Mord, einem richtigen, echten Mord und dann wollte ich diese Tat in einem Comic analysieren. Ich suchte also nach einem Mord, der interessant und groß genug war, um das abzudecken, worüber ich schreiben wollte. Ich hatte mir schon einige andere Morde angeschaut und abgelehnt, denn sie führten nicht weit genug zu dem was mir vorschwebte. Das waren letztendlich ziemlich kleine Veranstaltungen. An Jack The Ripper hatte ich 1988 eigentlich gar nicht gedacht, denn es gab nichts neues darüber zu sagen. Dann kam jedoch das 100te „Jubiläum“ und plötzlich flatterte überall Jack The Ripper-Material herum. Einiges davon schaute ich mir an und bermerkte plötzlich, das es eine Möglichkeit geben könnte, meine Geschichte zu erzählen, indem ich all die unterschiedlichen Ansatzpunkte nehme und sie zu einer einzigen, fiktiven Erzählung zusammenfalte. Ich wußte, das es sechzehn Kapitel werden sollen, ich wußte aber nicht, wie lang die Kapitel werden könnten, denn ich hatte zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit meiner Recherche begonnen. Als ich mit meinen Ermittlungen begann, wurden einige dieser Kapitel 50 Seiten lang. Das ist übrigens ein weiterer Grund, warum ich für dieses Buch so lange brauchte.
Das Buch ist so detailliert geworden, wie haben Sie eigentlich Ihre Recherchen durchgeführt?
Moore: Ursprünglich wollte ich die Morde als zentralen Anfang nehmen und dann alle bedeutungsvollen Fäden bis zu ihrem Ende verfolgen. Das beinhaltet die soziokulturelle Lage Britanniens und der Welt zu dieser Zeit, es beinhaltet Dinge wie die Architektur, die ganzen kleinen Kirchen, das Umfeld, ja sogar die Gebäude, vor denen die Morde statt gefunden haben. Also mußte ich mit der Stadt London beschäftigen, mit ihrer Geschichte und dem, was dort passiert ist. Die Ereignisse schienen geradezu vorausbestimmt. Es gibt Tendenzen in der Geschichte der Stadt. Einige Bezirke haben die Tendenz zur Dunkelheit, sie scheinen dafür prädestiniert zu sein, das hier auf kleinstem Raum eine Menge von unschönen Sachen passieren, die nicht einmal zusammen hängen. Das ist doch faszinierend, das alle diese schrecklichen Ereignisse in einem Areal von wenigen Quadratmeilen passiert sind. Meine Recherche beschränkte sich nicht nur auf Jack The Ripper-Bücher, ich habe auch über das Phänomen des Serienmordes geforscht, unzählige Abhandlungen über das 19. Jahrhundert und seine Poesie, Architektur und Mythologie gelesen. Selbst jetzt bin ich noch umgeben von einer Bibliothek, die ich für diese Recherche angeschafft habe (er rattert ein Dutzend Buchtitel herunter).
Und dann mußte ich natürlich vor Ort recherchieren. Viele Jack The Ripper Biografen waren zu ängstlich, um nach Whitechapel zu gehen. Sie fielen auf diese ganze Mythologie herein, daß Whitechapel eine mörderische Hauptstadt des Verbrechens sei. Es ist ein gewöhnlicher Londoner Bezirk, von seiner faszinierenden Geschichte mal abgesehen. Also lief ich an den ganzen Tatorten herum, in den Kirchen, an den historischen Punkten des Pentagramm. Ich verbrachte furchtbar viel Zeit dort in Christchurch, ich fühlte mich schon fast an diesen Ort gebunden. Naja, die Recherche war eben viel mehr als lediglich trockenes, akademisches Bücherlesen. Ich reiste nach London, nach Northhamptonshire, denn hier standen die Kirchen, die die Vorlage für die Gebäude von Hawksmoor lieferten:
Hat das ganze Buch eine architektonische Struktur?
Moore: Ja, das ist Absicht! Als ich Hawksmoor und seine Kirchen sah, erschienen sie mir als geradezu zentrales Symbol des Buches. Diese Art von absichtsvoll dunkler, absichtsvoll erschreckender Architektur, erschien mir wie ein Symbol für diese Zeit und ihre Morde. Es kam mir vor, als wäre die Zeit selber ein Architekt und diese verschiedenen Morde in diesem gewöhnlichen Bezirk könnte Teil eines Musters sein. Das ist natürlich eine poetische Vorstellung. Ich glaube nicht daran, daß es ein präzises, untergründiges Muster von Mord in der britischen Geschichte gibt, obwohl sich „From Hell“ genau damit beschäftigt. Aber es gibt dieses Muster in unserer Kultur, von Zeit zu Zeit taucht es auf und kotzt sich aus in Form von häßlichen, unerfreulichen Morden. Ja, das Buch hat eine architektonische Struktur, es ist wie eine große, dunkle, schattenreiche und verbotene Kirche.
Auch wenn Ihr Buch 1888 spielt, ist es nicht doch eher eine Geschichte über das 20. Jahrhundert?
Moore: Als ich mit der Recherche über die achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts begann, merkte ich, daß alle großen Ereignisse des 20. Jahrhunderts hier ihren Ursprung hatten, in dieser Dekade. Michelson und Morley bewiesen in ihrem berühmten Versuch, daß es einen mystischen Äther als Medium zur Verbreitung von Gravitation und Licht nicht gibt; das führte dazu, daß Einstein seine spezielle und seine generelle Relativitätstheorie formulieren konnte, dies zog Hiroshima und die Atombombe nach sich. Die Franzosen haben zu dieser Zeit Indochina besetzt, der Ursprung für den Vietnamkrieg. Hitler wurde gezeugt während der Zeit der Rippermorde. Es gab überall in Europa wachsenden Antisemitismus. In Frankreich erschien ein Buch mit dem Titel „La France Juif“, ein früher antisemitischer Text, auf den sich Leute wie Hitler und seine Gefolgschaft berufen haben. Walter Sickert gründete in dieser Zeit seine Schule der „New English Art“, anderswo schrieben Leute wie Emile Zola die ersten modernen Romane. Es gab eine richtige Explosion in der Kunst, in der Technologie - das Auto wurde erfunden, das Maschinengewehr wurde erfunden. Wenn sie sich das alles ist es schwer nicht darauf zu schließen, daß das 20. Jahrhundert eigentlich schon in 1880 begonnen hat.
Wie viel in ihrer Ripper-Theorie ist denn nun eigentlich von dem Ripper-Biografen Stephen Knight und wie viel ist von Ihnen?
Moore: Ich habe mir wirklich alle Jack The Ripper-Theorien vorgenommen - die ersten Bücher wurden schon vor 1920 geschrieben - und alle sind falsch. Das ist alles Phantasie, Erfindung, einige davon sind sogar grotesk. Stephen Knight hatte den Vorteil, das er bereits zwei oder drei andere Theorien in seinem Buch vereinigt hatte und auf die zentrale Figur von Doktor Gull (der Arzt von Königin Victorias Sohn Albert Prinz von Wales) stieß. Gull ist der bei weitem interessanteste Kandidat als Mörder. Ich sage nicht, er war der Mörder, ich halte es sogar für sehr unwahrscheinlich, daß er der Täter war. Aber er ist ein prima Verdächtiger. Wenn ich Gull als Mörder sehe, dann kann ich all diese Fäden verfolgen, die zu den Freimaurern führen, zu Gulls philosophischen Interessen, zu Gulls Verbindung mit der königlichen Familie, seiner Verbindung mit dem Elefantenmann. Also habe ich Stephen Knights Geschichte als Basis benutzt. Dann bin ich durch alle Bücher gegangen, die nach Knight herauskamen, die ihn kritisiert haben und Löcher in seine Theorie geschossen haben. Und dann habe ich all diese Löcher gestopft, indem ich durch die Geschichte neu justiert habe und nicht in die ganzen Fallen getrampelt bin, in die Stephen Knight gefallen ist. Dann habe ich all die anderen Lügengespinste hinzugefügt. Knight hat also die Grundlage geliefert und von ihm kam auch die Idee, all diese Orte in London miteinander zu verknüpfen. Ich hatte auch eine Menge anderer Quellen - so viele wie irgend möglich - und daher ist die große Struktur in „From Hell“ von mir.
Ich habe ja gar keine Geschichte über Jack The Ripper geschrieben, ich habe über unsere Besessenheit von Jack The Ripper geschrieben. Niemand wird jemals erfahren, wer Jack The Ripper war, aber deshalb werden trotzdem weiter Bücher über ihn geschrieben und verkauft - bis alle ihr Interesse verloren haben, wann immer das auch sein wird. Es ist alles Erfindung und in einem gewissen Sinn ist es nicht mal besonders interessant, wer Jack The Ripper war. Ich meine: Es ist über 100 Jahre her, wer will´s wissen? Vermutlich war er wirklich nur ein anonymer Psychopat, ohne Motiv, der einige Frauen ermordet hat und dann verschwunden ist, Selbstmord begangen hat, gestorben ist - was auch immer. Das Wesen von Jack The Ripper liegt für mich in der Tatsache, das er nie geschnappt wurde. Hätte man ihn gekriegt, wäre das Geheimnis geschmälert worden. Jeder Serienmörder hat sich doch als Insasse entpuppt. Das sind kleine Menschen, das sind keine Hannibal Lectors, das sind keine großen Superschurken. Es sind Menschen, die weniger sind als wir, nicht mehr. Wenn man Jack geschnappt hätte, hätte er einen Umriß bekommen, er wäre definiert worden, er hätte Parameter. Da er nie enttarnt wurde ist er ein grenzenloser schwarzer Schatten, er kann alles sein, was wir uns ausdenken! Das wichtige an Jack The Ripper ist nicht er selber, sondern unsere Vorstellung von ihm, unsere Mythologie. Eigentlich ist das alles, was Jack The Ripper ist. Mit „From Hell“ habe ich versucht eine umfassende Studie, einen Bericht über diese Mythologie zu schreiben. Dieses Buch handelt mehr von uns, als von Jack The Ripper.
Zurück zu ihren leichteren Werken: Sie haben in diesem Jahr den wichtigsten deutschen Comicpreis, den Max und Moritz-Preis, erhalten …
Moore: Habe ich von gehört. Das fand ich sehr nett.
… und sie haben ihn teilweise für „From Hell“, teilweise für ihre Superman-Hommage „Supreme“ bekommen.
Moore: (lacht) Naja, so isses. „Supreme“ war ein sehr flüchtiger Job. Ich habe zu der Zeit viele andere Sachen geschrieben und ich hatte das Gefühl, daß ich den neuen amerikanischen Markt gar nicht mehr kenne. Ich hatte sehr lange außerhalb des Mainstream gearbeitet und so ernste Sachen wie „From Hell“ und „Lost Girls“ geschrieben. Während ich weg war ist eine ganze Generation von neuen Lesern nachgewachsen. Das war der Boom, ausgelöst durch den Verlag „Image“. Ich habe nicht mehr verstanden, was Comicleser haben wollen. Also habe ich mich anzgepasst. Dazu war keine große Zeitinvestition nötig, ich konnte trotzdem meinen Roman weiter schreiben. Ich habe versucht, ob ich dieses neue Zeug auch schreiben kann. Eine Zeitlang war ich mit meinen Sachen sehr unzufrieden. Nicht weil ich weniger Arbeit reingesteckt hätte, aber manchmal arbeitet man eben härter und was hinten rauskommt ist trotzdem Müll. Damit muß man leben. Bei „Supreme“ hatte mich Rob Liefeld gefragt, ob ich die Serie für einige Hefte übernehmen möchte. Ich zögerte, „Supreme“ war kein besonders toller Charakter, er war ein ziemlich billiger und sehr unkomischer Superman-Nachahmer. Aber ich dachte, naja, wenn ich daraus einen wirklich guten Superman-Nachahmer mache, habe ich vielleicht ein bißchen Spaß damit. Vielleicht könnte ich Rick Veitch überreden, einige Retrostories zu machen, das könnte lustig werden. Zunächst hatten wir noch in jedem Heft einen anderen Zeichner, das war nicht gerade hilfreich, aber dann kam Chris Sprouse an Bord und die Sache kam in Fahrt. Jedenfalls bis Rob Liefelds Awesome-Verlag mal wieder Pleite machte.
Trotzdem erscheinen seit Jahren immer neue Hefte von Ihnen bei Awesome. Wie viele Skripte hat Liefeld eigentlich noch vorliegen?
Moore: Nicht mehr viele: noch ein „Supreme“-Skript, zwei oder drei „Glory“, zwei oder drei „Youngblood“. Wenn er also weiter nur vier Hefte pro Jahr veröffentlicht hat er noch ein bißchen Stoff.
War „Supreme“ nicht auch eigentlich der Startschuß für ihr eigenes Label „ABC“-Comics, mit dem Sie erstaunlicherweise wieder bei DC landeten?
Moore: Zu der Zeit gab es eine Menge Pleiten am amerikanischen Markt. Rob Liefeld hat sich zwar inzwischen bis zu einem gewissen Grad wieder erholt, aber zeitweise sah es ganz schön schlimm aus.
Hat er sie wenigstens für alle Geschichten bezahlt? Ich habe von vielen Leuten gehört, denen er immer noch Geld schuldet
.
Moore: Da hab´ ich schon drauf geachtet. Wenn man ihn richtig unter Druck setzt, zahlt er auch. Aber es war zu der Zeit so, daß ich mit Leuten wie Jim Baikie, Rick Veitch, Melinda Gebbie und Chris Sprouse gearbeitet habe und mich für diese Menschen verantwortlich fühlte. Also habe ich mir etwas ausgedacht, damit wir weiter Spaß haben konnten und ich mit den Menschen zusammenarbeiten konnte, die ich mir ausgesucht hatte. das war das Label „America´s Best Comics“ (ABC) mit vier Serien: „Tom Strong“, „Top 10“, „Promethea“ und das Anthologie-Heft „Tomorrow Stories“. Ich konnte Jim Lee, den Gründer des „Wildstorm“-Studios und einer der Inhaber von Image dafür begeistern. Dann hat aber Lee sein Studio an DC verkauft. Jim Lee und sein Geschäftsführer Scott Dunbier kamen extra nach England um es mit mir darüber zu sprechen
Stimmt es eigentlich, daß Sie Großbritannien niemals verlassen?
Moore: Ja, ich verlasse England nicht. Ach, wissen Sie, überall wo ich war ist es gleich und ich hasse es zu reisen. Zurück zum Thema: Eigentlich wollte ich nie mehr für DC arbeiten und stand jetzt vor der Wahl. Also sagte ich mir: Ich stehe bei den Zeichnern im Wort und wer weiß welches Angebot um die Ecke wartet. Die Arbeit an ABC war reiner Mainstream, aber es war bemerkenswerter Mainstream. Wir hatten schöne Comics, wunderbare Zeichner tolle Cover. Also biß ich in den sauren Apfel. Und DC hat mir versprochen, daß sie mir nicht in meine Arbeit reinquatschen.
Sie haben´s dann aber doch getan?
Moore: Natürlich haben sie´s dann doch getan. Zunächst war das ja auch ziemlich albern: In der „League Of Extraordinary Gentlemen“ hatten wir mit gefakten historischen Anzeigen gearbeitet und in einer Anzeige wurde eine Genitalwaschspritze angeboten, die ich „Marvel Vagina“ nannte. Paul Levitz, der Chef von DC hat das Heft einstampfen lassen, weil er Ärger mit dem Konkurrenzverlag Marvel befürchtete. Ganz albern, wie gesagt.
Als nächstes kam der Ärger zwischen Rick Veitch und DC?
Moore: Das ist eine Sache zwischen Rick und DC und übrigens inzwischen bereinigt. Aber den nächsten Zwischenfall nehme ich weitaus ernster: In den „Tomorrow Stories“ sollte eine Geschichte um den Raketenforscher und Okkultisten John Parsons erscheinen, ein Mann der wirklich gelebt hatte und dem von dem Scientologygründer Lafayette Ron Hubbard die Freundin ausgespannt wurde. Parsons verfolgte die beiden nach Florida und rief dort in einem Zaubererritual einen Sturm herauf, der die Yacht von Hubbard auf Grund setzte. Levitz lehnte die Story ab, weil er Ärger mit der Scientology-Sekte befürchtete. Ich habe eine ganze Nacht lang mit der Anwältin von DC telefoniert, wir sind die Geschichte Wort für Wort durchgegangen und die Hausjuristin hatte nichts daran auszusetzen. Trotzdem blieb Levitz bei seinem „Nein“. Da habe ich ihm angeboten, Hubbards Namen in „LRH“ abzuändern, die Antwort blieb „Nein“. Nun wollte DC ja in diesem Jahr den 15. Geburtstag der „Watchmen“ ganz groß feiern, mit einer Hardcover-Sonderausgabe, die auch viele Seiten an Sketchmaterial enthalten sollte und einer ganzen Linie von Action Figuren. Da haben Dave Gibbons und ich jetzt unser Veto eingelegt. das Zeug wird also genausowenig erscheinen, wie die „Tomorrow Stories“-Geschichte. Das haben sie davon.
Glauben Sie nicht daß Levitz´ Angst vor Scientology begründet ist? Die Sekte ist den Staaten sehr mächtig.
Moore: Ach Unsinn, genau diese Geschichte, die wie erwähnt wahr ist, wurde schon in DCs „Big Book Of Conspiracies“ veröffentlicht. Bei DC weiß einfach die rechte Hand nicht, was die Linke macht.
Vielleicht haben Sie auch einige der Mächtigen bei DC erzürnt, weil sich alle Ihre ABC-Comics viel besser verkaufen, als einige der alteingesessenen DC-Serien, wie „Green Lantern“, „Wonder Woman“ usw.?
Moore: Das vermute ich ja auch. Aber das ist ja wohl kaum mein Problem. Dann sollen sie doch vernünftige Autoren rekrutieren. Für mich war das jedenfalls die letzte Warnung. Noch mal so etwas und ich gehe.
Können Sie die ABC-Serien denn zu einem anderen Verlag mitnehmen?
Moore: Nein, Teil des Deals war, daß mir lediglich die „League Of Extraordinary Gentlemen“ gehört. Alles andere gehört dem Verlag. Aber die können sich gerne einen anderen Autoren suchen, wenn ich gehe: Viel Glück dabei. Ich bleibe weil jeder, der in ABC involviert ist, großartige Arbeit leistet, jeder gibt 100 Prozent. Und das alles ohne Unterstützung von DC! Alles was ich von DC verlange ist, das sie mich beim Herausgeben unterstützen. Wenn sie das nicht tun und weiter ihre Egospiele spielen, dann bin ich weg.
Mr.Moore, vielen Dank für das Interview.