Joann Sfar:
Die Katze des Rabbiners
Le Chat du Rabbin
Joann Sfar ist vermutlich der fleißigste Comicautor der Welt: Mit gerade mal dreißig Jahren hat er schon ein kaum überschaubares Werk vorgelegt und arbeitet an mehreren, teils auf einigen Umfang angelegten Serien gleichzeitig. Am bekanntesten und peu à peu auch ins Deutsche übersetzt die Donjon-Serie, die er mit Lewis Trondheim - auch der kein Fauler - konzipiert hat und deren Bände, angelegt ist das ganze auf rund 300 in mehreren Unterserien, beide als Szenaristen betreuen, während sie die zeichnerische Ausführung zum Teil anderen Kollegen überlassen.
Ganz allein aber schreibt und zeichnet Sfar die in diesem Jahr mit einem Doppelschlag eröffnete Reihe um "Le Chat du Rabbin". Der Titel führt keineswegs in die Irre, denn erzählt wird von der Katze eines Rabbiners, die neben dem von der Spezies zu erwartenden tyrannischen Geist eine weitere Fähigkeit besitzt: sie spricht. Wenngleich: nicht sofort. Erst erzählt sie nur, ihr Text bleibt auf die abgeschlossenen extradiegetischen Blasen am Paneloberrand beschränkt. So stellt sie erst einmal den Rabbiner vor, bei dem sie lebt und den sie schon stumm zur Weißglut treibt (oder triebe, wäre er nicht ein überaus geduldiger Mensch), und von seiner Tochter, die der Kater innig liebt. Dann aber, als einem das alles so recht freundlich und gemütlich vorkommen will, verspeist der Kater den Papagei, nicht zuletzt, weil der allzeit nichts als Unsinn redete. Und voilà: die Katze spricht - und leugnet sogleich, mit dem Verschwinden des Vogels etwas zu tun zu haben.
Sie lügt nicht nur, sie rechtet auch. Lesen, erfahren wir, konnte sie schon immer und so erweist sie sich als bibelkundiger als ihr Herrchen, das sich die sophistischsten Diskussionen zu den Feinheiten des jüdischen Glaubens gefallen lassen muss. Vor allem: Die Katze hat beschlossen, die Bar-Mitzwa hinter sich zu bringen. Alle Argumente, die dagegen sprechen, räumt sie mit der Weisheit eines Rabbinerzöglings beiseite, den Rabbiner des Rabbiners, bei dem der Rabbiner Rat sucht, treibt sie mit raffinierten Reden und hinterhältigen Tricks in die Verzweiflung, bis der Rabbiner nachgibt, sie soll ihre Bar-Mitzwa haben. Allerdings: die Tochter ist vor Schaden zu bewahren, in ihrer Gegenwart soll die Katze ihr Schandmaul nicht mehr öffnen (keine Frage: sie hält sich nicht daran). Kein bisschen weniger fantastisch geht es zu im zweiten Band, in dem der Rabbiner in Gefahr gerät, seinen Posten zu verlieren, was die Katze verhindert, indem sie die schreckliche Sünde begeht, Gottes Namen im Munde zu führen. Darauf verstummt sie zur Strafe wieder. Es folgt der Auftritt eines edlen Wüstenkriegers, der stets seinen Löwen mit sich führt. Und der eines sehr zivilisierten Herrn aus Frankreich, in den die Tochter des Rabbiners sich verguckt (die Katze ist, kann man sich denken, entsetzt).
Höchst eigentümlich ist diese Mischung: aus fabelhaften Elementen, die aufs natürlichste in die üppig orientalischen Hintergründe des meisterhaften Zeichners Sfar eingebettet werden und aus zwar komischer, im Grunde aber recht ernster theologischer Diskussion. Empört verwahrt sich die Katze, nur zum Beispiel, gegen die literale Auslegung der biblischen Weltschöpfungsberichte, denen zufolge das Universum gerade ein paar tausend Jahre alt sein darf. Mit allen wissenschaftlichen Wassern gewaschen, führt sie die C14-Altersbestimmungsmethode ins Feld und bringt den Rabbiner in Bedrängnis. Die Streiterein dieser Art kulminieren im schlitzohrigen Umgang beider mit Bibelzitaten zum heiklen Thema: Hunde.
Was Sfar im Ganzen verweigert, ist die genaue Situierung der Vorgänge, das betrifft Zeit und Ort eben genauso wie den Realitätsstatus. Dem entspricht der Zeichenstil, der von verschwenderischer Fülle von Farben und Details bis zu fast abstrakten Close-Ups leuchtender Katzenaugen vor schwarzem Hintergrund reicht, ohne je naturalistisch zu werden. Wunderbar beispielsweise, wie Sfar den vielen Lichtern von Kerzen und Leuchtern mit wenigen Strichen und Übergängen Materialiät und überhaupt dem Raum eine geradezu bildteppichartige Dichte verleiht. In beinah jedem der in strikter Regelmäßigkeit neun Panels pro Seite verliert sich das Auge mit Genuss. Und da Humor, Intelligenz und jede Menge witzig vorgetragener theologischer Informationen wie selbstverständlich zum optischen Vergnügen noch hinzu kommen, kann man Joann Sfar für diese neue Serie kaum laut genug preisen.