Ein Junge mit übergroßer Brille, der aussieht wie ein Geek, eine Eule als
gute Seele und eine Begabung zum Übernatürlichen: Man könnte denken, hier
habe sich einer an den Harry-Potter-Trend angehängt. Wäre da nicht die
Tatsache, dass "Die Bücher der Magie" von Neil Gaiman schon in den frühen
90er Jahren entstanden, als Mrs. Rowling noch nicht die reichste Frau
Großbritanniens, sondern ein rechtes Landei war. Folgerichtig erstaunt es
auch nicht, dass der Altmeister Gaiman ein sehr viel umfassenderes und
düstereres Universum entwirft, in dem es härter und unbarmherziger zugeht
als im letztendlich doch recht heimeligen und spießigen Hogwarts.
Auf Neil Gaimans überbordende Phantasie ist Verlass. Hier ist er also, der
wahre Geisterjäger: Tim Hunter, ein zwölfjähriger, skateboardfahrender
Schüler aus der Provinz, wird eines Tages von vier undurchsichtigen Männern
in Trenchcoats angesprochen. Er habe das Potential, einer der größten Magier
zu werden, der Merlin des 21. Jahrhunderts. Tim ist von diesen Neuigkeiten
nicht begeistert, denn er glaubt nicht an Magie. Vor den vier Männern hat er
zunächst nicht viel mehr Respekt als vor seinen Lehrern. Doch dann nehmen
ihn die vier, einer nach dem andern, mit auf Reisen, von denen Tim
verändert zurückkehren wird - denn er bekommt Dinge zu sehen, die mit
Rationalität nicht erklärbar sind. Die vier Trenchcoat-Typen sind auch alles
andere als perfekt: einer hat ein Faible für hübsche Frauen, von denen er
sich regelmäßig Ohrfeigen für rüdes Benehmen einholt, ein anderer ist blind
und sieht doch mehr als andere. Es ist wohl doch was dran an der Magie.
Mittlerweile sind die "Bücher der Magie" in Form von sieben Sammelbänden
erschienen. Mir lag der erste dieser sieben vor, der bereits das gesamte
Panorama dessen entwirft, was noch auf Tim Hunter zukommen wird. Denn –
natürlich – entscheidet er sich am Ende des vierten Bandes für die Magie und für ein
Leben als Zauberer. Es ist einfach zu aufregend, dieses Leben in den anderen
Welten, als dass man es missachten könnte.
Da ist zum Beispiel die Reise in die Vergangenheit, bei der Tim Luzifer vom
Himmel stürzen sieht, die Erzengel erscheinen und die Sonne noch Äonen Jahre
Zeit hat, sich auf ihre Rolle als Zentralgestirn vorzubereiten. Tim wird
Zeuge einer kurzen Geschichte der menschlichen Frühzeit, und das Ganze ist
so rasant und neu, dass ihm buchstäblich speiübel wird. Oder die Reise zum
Ende der Welt, eine der verstörendsten Episoden des Bandes, bei der eine
Wiederbegegnung mit Death und Dream aus dem Sandman-Epos wartet und nur noch die Eule ihren Meister retten kann.
Jedes der vier Bücher ist von einem anderen Illustrator bearbeitet. Die
Unterschiede sind deutlich, aber nicht störend. Vielmehr zeigt sich eine
eigenständige Dynamik. So ist Paul Johnsons Tim im letzten Band deutlich
gereift; die Erlebnisse mit den Mächten der Dunkelheit haben ihre Spuren
hinterlassen. Aber wie gesagt: Die richtigen Abenteuer stehen noch bevor -
nachzulesen in den Sammelbänden zwei bis sieben und hiermit ausdrücklich
empfohlen.