Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen


 

Juni 2004
Marc Degens
für satt.org


Henner Löffler: Wie Enten hausen
Die Ducks von A bis Z
C.H. Beck, München 2004

Henner Löffler: Wie Enten hausen. Die Ducks von A bis Z.

470 S., 24,90 EUR
» amazon

Wie Enten hausen
Die Ducks von A bis Z


Der Ansatz des Buches "Wie Enten hausen" von Henner Löffler ist durchaus ehrbar. Der Autor möchte darin einen großen Teil der Duck-Comics von Carl Barks analysieren, aber anders als es etwa die Donaldisten, die Mitglieder der D.O.N.A.L.D. (Deutsche Organisation Nichtkommerzieller Anhänger des Lauteren Donaldismus) tun: "Das vorliegende Buch steht nur zum kleinen Teil in dieser Tradition. Vor allem ist es nicht parodistisch gemeint, da es auch die wesentliche Voraussetzung dieser Parodie nicht annimmt, die Hypothese der Existenz des Duck-Universums in einer parallelen Realität. Die Analyse von Entenhausen, die es beabsichtigt, die Beschreibung seines Funktionierens und seiner Funktion, ist eine Analyse des Barksschen Gesamtkunstwerkes." Löffler will also dem "Barksschen Gesamtkunstwerk" nicht mit naturwissenschaftlichen, sondern mit kunstgeschichtlichem, kultur- und literaturwissenschaftlichem Besteck zu Leibe rücken. Das ist lobenswert, denn oftmals werden bei der Beschäftigung mit Werken der populären Kultur die handwerklichen Aspekte ausgeblendet. Das ist auch eine Form der künstlerischen Herabsetzung, denn eine ernsthafte Beschäftigung mit diesen Werken darf sich nicht nur auf Analogiebildungen beschränken – leider geschieht dies heutzutage im Wissenschaftsbetrieb und auch im Feuilleton immer noch viel zu häufig.

Unter dem "Barksschen Gesamtkunstwerk" versteht Löffler diejenigen Comicgeschichten von Carl Barks, die von den bekannten Entenhausener Enten handeln. Löffler will sie nicht als einzelne, sondern als ein großes zusammenhängendes Werk verstanden wissen, so wie etwa Marcel Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" oder James Joyces "Finnegans Wake". In seiner Arbeit analysiert Löffler allerdings bloß die Comics, die mindestens fünf Seiten umfassen, denn die "kürzeren Comics sind nach meiner Überzeugung kein Beitrag zum Kosmos Entenhausens, weil auf zu knappem Raum nichts entfaltet werden kann und in der Regel nichts entfaltet wird, sondern nur Streiflichter geworfen werden oder schlicht und einfach ein, wie immer guter, Witz erzählt wird". Diese Unterscheidung ist willkürlich und die Begründung schwach. Denn daß populäre Comicgeschichten neben der Aufgabe, Teil eines Gesamtkunstwerks zu sein, noch andere Aufgaben erfüllen müssen (etwa zu unterhalten und witzig zu sein, um den Konsumenten zum Kauf und Wiederkauf zu animieren), ist ein Wesensmerkmal der Gattung. Die Frage nach dem künstlerischen Gehalt der jeweiligen Massenkulturprodukte bleibt davon unberührt. Und so ist es methodisch unseriös, die Dagobert-Duck-Einseiter einerseits als belanglos abzustempeln, die längeren Abenteuer andererseits sogleich ins "L'art pour l'art"-Fach einzuordnen. Übrigens – wenn man gerade schon einmal dabei ist: Häufig liegt der Reiz komplexer "Gesamtkunstwerke" – wie z. B. in dem von Löffler angeführten Werk von Marcel Proust – gerade in den "Streiflichtern" und Seitenblicken. Der Begriff des "Gesamtkunstwerks" ist auf alle Fälle ein problematischer, weil unscharfer Begriff.

Nicht problematisch, sondern regelrecht ärgerlich ist Löfflers Unkenntnis der Comicgeschichte. Carl Barks ist nämlich nicht "der Erfinder der graphischen Erzählung" und auch nicht "der Erfinder der Comic-Erzählung". Denn der Übergang vom Zeitungsstrip zur Comicerzählung geschah schon in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts – spätestens 1938 mit dem Auftritt von Superman – und damit einige Jahre vor Barks' ersten Comicarbeiten. Und auch die Behauptung, daß aus "Gründen, die mit dem Medium Comic zusammenhängen und nicht mit einer Entscheidung Barks' [ …] in diesem [seinem Enten-] Kosmos solche Phänomene wie Liebe und Ehe, Krankheit und Tod, Drogen und Sex" fehlen, ist falsch. Unabhängig davon, daß vier der sechs Phänomene bei Barks zumindest am Rande vorkommen, hängt der Verzicht nicht mit dem Medium Comic, sondern mit der Eigenart der Disney-Erzeugnisse zusammen. Und Löfflers Feststellung, "im 20. Jahrhundert haben sich manche Comic-Erzählungen aus den Niederungen der Zeitungen und Monatshefte zu ernsthafter, was nicht immer heißt: ernst genommener, Literatur emporgeschwungen, wobei zunächst an 'Prinz Eisenherz' und 'Asterix' zu denken ist", würde man vielleicht in einem Comic-Sachbuch aus dem Jahre 1974 erwarten, nicht aber in einem aus dem Jahre 2004. (Wie auch die Behauptung, daß das Gedicht 'Gefunden' von Johann Wolfgang Goethe "ein jedem Studenten der Germanistik vertrautes Beispiel" ist.)

Was Henner Löffler mit seinem Buch beabsichtigt, ist zu zeigen, daß Carl Barks ein bedeutender Künstler ist, obwohl er Comics produziert hat – und nicht weil er Comics produziert hat. Das ist zweifellos ein entscheidender Unterschied. Löfflers Buch ist eine Kampfansage an die Gralshüter und Priester der Kunst, die Comics kategorisch ablehnen, sie verdammen und ihnen jeden künstlerischen Wert absprechen … Doch es wird Löffler schwerfallen, heutzutage noch eine Person zu finden, die dieses rigorose Urteil ernsthaft teilt, die Comics als "Schmutz und Schund" abtut und sie derart pauschal verurteilt. Ganz im Gegenteil. Fast alle Feuilletons berichten heutzutage ausführlich über Comics, Museen zeigen Comic-Ausstellungen, Comicexperten sprechen an Universitäten und Akademien … Das bedeutet aber nicht, daß Comics und andere populäre Kulturerzeugnisse im Wettstreit um die gesellschaftliche Anerkennung auf der Stufe der Hochkultur angelangt sind. Doch die Vorzeichen haben sich verkehrt. Wurden früher Goethe und Joyce und Proust in den Zeugenstand gerufen, um gegen die Populärkultur zu argumentieren, so werden sie heute, wie auch das vorliegende Buch zeigt, gerade aufgerufen, um dafür auszusagen. Doch derartige Aussagen sind so oder so irrelevant. Um es klipp und klar zu sagen: Wenn man sich mit der Bildhauerei als Kunstform beschäftigt, muß man sich zuallererst mit Bildhauerei auskennen – und nicht mit Joyce. Und wenn man sich mit Comics als Kunstform beschäftigt, muß man sich mit Comics auskennen – und nicht mit Joyce.

Löfflers Ahnungslosigkeit in diesem Punkt ist erschreckend. In seinem Bemühen, Carl Barks zu huldigen, diskreditiert Löffler im Nebensatz die jahrzehntelange Arbeit von unzähligen Comicmachern: "Daß in manchen Beiträgen zum Donaldismus sogar aus den 'Lustigen Taschenbüchern' zitiert wird, die fragwürdige Kopien sind und weder mit Donald und den Seinen noch mit Entenhausen mehr am Hut haben als den schnellen Euro, erscheint geradezu aberwitzig." Und schon ist es wieder da, das altbekannte Gegensatzpaar: Kunst versus Kommerz, Gut gegen Böse, das Erhabene gegen das Triviale. Natürlich sind Comics gut, wenn sie Kunst sind, behauptet Löffler, aber – wehe! wehe! – da steckt kein Barks dahinter. Dann werden die Messer gewetzt, dann muß das wahre Entenhausen verteidigt werden … So ein Unfug.

Offensichtlich sind Löfflers Vorbehalte gegen das Gros der Comicmacher die gleichen, die er seinen imaginären Gegnern unterstellt. Carl Barks hingegen wird von verehrt Löffler, ja sogar verklärt: "Carl Barks hat kulturelle Meilensteine im Hinterkopf, aber er hat keine Vorgänger." Keine Vorgänger? Was ist mit Al Taliaferro? Was mit Floyd Gottfredson? Und was mit den anderen Disney- und Comiczeichern? Ich lese weiter: Barks "war der erstaunliche und wohl einmalige Sonderfall eines Künstlers, der in ein schwarzes Loch hineinschrieb und -zeichnete. Es gab für Carl Barks keine Rezeption, weder eine kritische noch eine der Leser oder auch nur des Verlegers." Gewiß, über das schwarze Loch, über die vollkommene materielle Unabhängigkeit und die totale künstlerische Freiheit, die Walt Disney seinen Angestellten zugestand, wurden schon viele Bücher geschrieben. Spaß beiseite, solche Sätze sind schlimm. Hinter ihnen verbirgt sich ein Geniekult-Gedanke, der im neunzehnten Jahrhundert en vogue war, den man aber nicht in einem aktuellen Sachbuch lesen möchte.

Das Buch ist 470 Seiten lang, ungeheuer verplappert und voll von überflüssigem Prunkwissen. Zurück zu den erwähnten kulturellen Meilensteinen in Barks' Hinterkopf. Laut Löffler schrieb Barks zwar in ein schwarzes Loch hinein, aber immerhin – das gesteht er ihm zu – nicht aus einem solchen heraus: "Zu den Quellen, aus denen Barks schöpft, gehören auch eine Vielzahl von anderen Ikonen. [ …] Shakespeare, Dickens, Poe, Twain, Doyle, Stevenson, Gilbert & Sullivan [ …]" Das stimmt, denn Barks' außergewöhnliche erzählerische Meisterschaft bestand in dem Zusammenführen und Weiterfabulieren zahlreicher und unterschiedlichster überlieferter Stoffe, wenngleich ich Löfflers Behauptung "Obwohl viele Schriftsteller des 20. Jahrhunderts gelegentlich auf [Sherlock] Holmes anspielen, haben es wenige so häufig getan wie Joyce und Barks" in mehrfacher Weise gewagt finde.

Ganz zu Recht vertritt Löffler die These, daß das Comicwerk von Carl Barks spürbaren Einfluß auf die Kunst und Kultur des zwanzigsten Jahrhunderts ausgeübt hat – und die Vermutung, daß eines Tages "jemand eine dicke Abhandlung darüber schreiben [wird], welchen Einfluß Carl Barks auf ein paar Generationen von Europäern gehabt hat", ist gar nicht so absonderlich, wie Löffler sie darstellt, da solche Abhandlungen schon längst existieren. Auf alle Fälle könnte dieser Punkt ein wichtiger Bestandteil in Löfflers Argumentationskette sein, leider verschenkt der Autor diese Möglichkeit mit Beispielen, die zwar in der Mehrzahl sehr kurios, aber leider wenig aussagekräftig sind: "Einen Einfluß auf George Lucas sehe ich noch öfter, so in der Unterwasserstadt Gungan-City in 'Star Wars I: The Phantom Menace' zu Atlantis in SUNKEN CITY. Der Führer der Gunganer ist eine deutliche Parodie auf den obersten 'Frogman' der versunkenen Stadt." Andere Belege sind wiederum aufreizend unpräzise: "Wem das nichts sagt, sei auf 'O Brother where art thou?' (2000) verwiesen, wieder ein Film der Coen Brothers, bei denen ich sicher bin, sie kannten Barks ganz genau." Und manche Belege sind so abstrus und hanebüchen, daß man meint, der Autor möchte einen verkohlen: "'I hope the kids will feed me when I'm old and poor' sagt Donald in SPOIL THE ROD (1948). Und da natürlich auch die Beatles so wie Spielberg aufgewachsen sind mit Donald Duck, hatte John Lennon sicherlich den Erpel im Kopf, als er 'Will you still need me, will you still feed me, when I'm sixty-four?' rund zwanzig Jahre später zu Papier brachte." Auch daß sich Andy Warhol und Carl Barks ("Warhol vorwegnehmend und zugleich parodierend") künstlerisch gegenseitig beflügelten, ist eine sehr zweifelhafte Vermutung. Und was sagt es eigentlich über den kulturellen und gesellschaftlichen Stellenwert der Barksschen Comics aus, daß "der seit 2002 in der FAZ werktägig erscheinende Comicstrip 'Strizz' von Volker Reiche, der im Frühjahr 2004 auch in Buchform [übrigens im selben Verlag] vorliegt", "voller Anspielungen auf Barks ist"? Löffler hätte an dieser Stelle mehr Sorgfalt walten lassen müssen, um sein seltsam lustlos vorgebrachtes Fazit zu untermauern: "Die Zahl der bildenden Künstler, die Barks und den Ducks nachempfundene Werke geschaffen haben, ist jedenfalls recht groß."

Das Buch will eine ernsthafte und ernstzunehmende Untersuchung sein – ist es aber nicht. Zwar weist es Fußnoten, ein Literaturverzeichnis und ein Register auf, schmerzlich vermißt man hingegen das Inhaltsverzeichnis. Die Zitierweise der Panels ist unpraktisch ("Panel 76-78" – man zitiert ja auch nicht den vierunddreißigsten Abschnitt aus – sagen wir – "Finnegans Wake"), das Register unbrauchbar: Die relativ willkürlichen Stichworte des Registers (die ersten fünf lauten "Agrarwirtschaft", "Alkohol", "Alliteration", "Alphorn" und "Amerika") verweisen nicht auf die entsprechenden Seitenzahlen, sondern auf die jeweiligen, absolut willkürlich ausgewählten, anscheinend über fünfzig Themenkapitel (die ersten fünf lauten "Aggressivität", "Alter", "Automobile", "Bildkraft", "Chronologie"). In diesen soll der Leser eigentlich alles Wichtige über das Entenhausen von Carl Barks erfahren, in erster Linie erfährt er aber bloß Löfflers Ansichten, Mutmaßungen, Geschmacksurteile und Lebensratschläge. Das Buch ist eine Huldigung an den Laudator.

Sicherlich: Löffler hat seinen Barks gelesen und ermüdet den Leser regelmäßig mit ellenlangen Aufzählungen, etwa welche Berufe Donald Duck ausgeübt hat oder welche Speisen bei den Ducks auf den Tisch kommen. Das alles geschieht rein deskriptiv, ohne Esprit, ohne Erkenntniswert, und an diesen Stellen besitzt Löfflers Vorgehensweise enorme Ähnlichkeiten mit dem donaldistischer Listenleser. Viel zu selten kommt der Autor zu überraschenden oder witzigen Gedanken, bemerkenswerten Erkenntnissen, klugen Bemerkungen und geistreichen Abschweifungen. Und obwohl sich Löffler häufig wiederholt, verfängt er sich oftmals in Widersprüchen. So plädiert er einerseits für die von Arno Schmidt angeregte Trennung in 'gute' und 'schlechte' statt in 'ernste' und 'leichte' Literatur, kommt sechs Zeilen später aber zu dem Ergebnis: "Barks las viel, aber keine ernsthafte Literatur."

"Wie Enten hausen" ist ein Fanbuch im negativen Sinne, das als Nachschlagewerk aufgrund der fehlenden Übersichtlichkeit kaum etwas taugt. Das Buch ist teuer, das Vorwort ein Ärgernis, der Inhalt größtenteils belanglos und nicht auf der Höhe der Zeit. Manch einer mag dieses Urteil vielleicht ungerecht finden, doch es mißt das Werk an seinen eigenen Ansprüchen. Und diese sind keineswegs überzogen. Löffler wünscht dem "Buch vor allem eine Leserschaft, die über den Kreis der Spezialisten hinausgeht." Das wünsche ich ihm auch.