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Juni 2004
Marc Degens
für satt.org


Teufel und Pistolen
Nummer 1-8
Berlin Comix 20März 2004

Teufel und Pistolen 4

Je 32-36 Seiten, 1 Euro

Teufel und Pistolen


Für die Berliner Comicszene der neunziger Jahre war der Verlag Jochen Enterprises (1989–2000) von zentraler Bedeutung. Die Lücke, die Jochen Enterprises nicht nur als Verlagshaus, sondern auch als Comicvermittler hinterließ, ist gewaltig und kann auch von so engagierten Verlagen wie Reprodukt (Berlin, seit 1991) oder dem 2003 gegründeten Comicspezialversand Das Sortiment nicht gefüllt werden.

Viele, auch längst etablierte Comicmacher sind zur Eigeninitiative gezwungen – und eines der ungewöhnlichsten und interessantesten Heftprojekte startete letzten August anläßlich des Berliner Comicfestivals in der Backfabrik: Die monatlich erscheinende Heftchenreihe "Teufel und Pistolen".

Teufel und Pistolen

"Teufel und Pistolen" wurde von der Gruppe Berlin Comix initiiert, dahinter verbirgt sich die in der Kastanienallee ansässige Ateliergemeinschaft der Comiczeichner Fil, Mawil, Andreas Michalke und Reinhard Kleist inklusive dem quirligen Comicschaffenden Oliver Naatz. "Teufel und Pistolen" ist ein DIN A6 großes, zweiunddreißig bis sechsunddreißig Seiten langes, schwarzweißes Comicheft mit einem blauweißen Cover und einem unschlagbaren Preis: einem Euro. Die Aufmachung und das Konzept der Reihe trägt dem Umstand Rechnung, daß Comics aus deutschen Landen immer noch ein Nischenprodukt sind – und ein niedriger Preis und also auch geringe Herstellungskosten senken nicht nur das eigene verlegerische Risiko, sie sollen ebenfalls neue Leser- und Käuferschichten zum Erwerb des Heftes verlocken. So weit die Idee.

Der Untertitel der Heftreihe lautet "Abenteuer für Jungen" und man könnte ihn noch um den Zusatz "von Jungen" erweitern – wenn man davon absieht, daß für das schöne, klare Layout der Reihe die Comicmacherin und Mediendesignerin Minou Zaribaf verantwortlich ist. Bislang erschienen acht "Teufel und Pistolen"-Ausgaben, unter anderem mit Geschichten von Mawil – der letztes Jahr mit seiner bei Reprodukt verlegten Diplomabschlußarbeit "Wir können ja Freunde bleiben" ein furioses Debüt als Comicschaffender ablieferte –, einer längeren Bildgeschichte von Calle Claus und mehreren skurrilen Einseitern von Piwi. Die graphisch ansprechendsten Arbeiten stammen aus der Feder von Andreas Michalke, der seinen schwungvollen Zeichenstil in den letzten Jahren perfektioniert hat. Michalkes zunächst im Selbstverlag publizierte Comicserie "Artige Zeiten" (sieben Ausgaben; 1991-1997) ist ein Markstein der deutschen Comicszene und setzt bis heute Maßstäbe für den hiesigen autobiographischen Comic.

Mehr als die Hälfte der in "Teufel und Pistolen" veröffentlichten Comics stammen von Oliver Naatz (76 Seiten) und Fil (83 Seiten) – und die oftmals festzustellende Schlichtheit der Zeichnungen ist sicherlich der ungeheueren Produktivität der beiden geschuldet. Fil, der als Entertainer, Liedermacher und Schöpfer der zitty-Comicserie "Didi und Stulle" seit vielen Jahren Kultstatus genießt, zieht in "Teufel und Pistolen" viele Register seines Könnens und die Superheldenparodie "Angriff aus der Vergangenheit" mit dem Publikumsliebling Playmo in der Hauptrolle ist gewiß ein Glanzlicht der Reihe. Bizarr, bisweilen verstörend und bis zur Unverständlichkeit anspielungsreich sind die Arbeiten von Oliver Naatz, der als Übersetzer (Hate, Alan Moore, MAD), Kolumnist (Hit Comics, Comixene), Zeichner (Lilli & Poldi) und Agent (Die kleine Mechthild) seit vielen Jahren in der Comicszene aktiv ist. Oliver Naatz’ Serie "Unser Lehrer Dr. Ehrhard" ist eine krude Schuljungenabenteuerphantasie um Freundschaft, Düsenjets und Anal-Action. Die Serie liest sich wie eine Mixtur aus biederen italienischen Abenteuerpiccolos der 50er Jahre wie "Blitz der Zeitungsjunge" oder "Peterle", aus französischen Comicserien der 60er und 70er Jahren mit Rennfahrern und Piloten als Titelhelden und dem todernsten, trashigen Antihumor von Punkstrips wie "The Eggmen’s". Kein Zweifel, "Unser Lehrer Dr. Ehrhard" hinterläßt einen nachhaltigen Eindruck – und auch wenn man häufig nichts versteht und manchmal auch nichts erkennt, so hat die Serie durchaus ihren Reiz und schärft das Profil der "Abenteuer für Jungen"-Reihe.

Die Reihe wirbt mit dem schönen Spruch "Teufel und Pistolen - jeden Monat holen". Leider haben sich bis heute zu wenige Käufer und Leser diesen Satz zu Herzen genommen: im April erschien die achte und vorläufig letzte Ausgabe von "Teufel und Pistolen". Bedauerlicherweise gelang es den Machern von Berlin Comix nicht, neue Vertriebsorte und -wege abseits der üblichen, vielleicht einer Handvoll interessierten Berliner Comicläden zu finden. Doch das Konzept der Reihe ist reizvoll, die Inhalte sind ungewöhnlich und lesenswert und die Umsetzung gelang hervorragend. Die "Teufel und Pistolen"-Macher beabsichtigen deshalb auch, das Projekt fortzuführen, wenn neue Vertriebswege gefunden werden und sobald sich die noch vollen Lager spürbar geleert haben. Jeder einzelne Käufer kann also ein Stück dazu beitragen, daß die Zeit, bis man "Teufel und Pistolen" wieder jeden Monat holen kann, nicht allzu lang wird.