In der Kreuzberger Mathilda gibt es guten Kaffee. Der Nachbarjunge will so einen für seine Mutter holen. „Was liest’n da?“ – fragt er mit Blick auf das Comicbuch in meinen Händen. „Ähem, das ist eher ein Comic für Erwachsene …", versuche ich mich aus der Affäre zu ziehen. „Wieso das denn?! Worum geht’s denn da?“ – fragt er weiter und blättert schon in dem Band. „Da erzählt ein alter Mann seine Lebensgeschichte."
Verständnislos guckt der Bengel mich an. „Ist ja echt nur der quatschende Opa zu sehen! Hätte der auch gleich ein Buch schreiben können. Ohne Bilder!"
Zehnjährige wissen genau, was sie von einem ordentlichen Comic erwarten. In Anwesenheit von Zehnjährigen sollte man solche Comics also nicht lesen. Macht keinen guten Eindruck!
Seth Comic „Clyde Fans“ ist kein ordentlicher Comic. Es passiert nicht viel. Der Klappentext spricht von einer „Aura pathologischer Stille". Und tatsächlich: Opa von rechts, Opa von links, Opa im Schnee, Opa im Sessel. Die melancholische Bilderwahl untermalt einen sachlichen und durchdachten Rapport über das Leben eines Ventilatoren-Vertreters. Seine Firma Clyde Fans ist längst schon pleite. Wie es dazu kam erfuhr man bereits in der Serien-Auskopplung „Palooka".
Hier nun lesen wir das Resumee des alten Abe Matchcard und im zweiten Teil des Bandes die ersten erfolglosen Versuche seines Bruders Simon als Handlungsreisender im Belüftungsgeschäft. Es sind Instruktionen vom Scheitern und Weitermachen, und davon, sich selbst nicht allzu sehr zu wichtig zu nehmen. Denn genau das versperrt den Blick auf die wichtigen Dinge. Seth bleibt bei seinem sparsamen, warmen Cartoonstrich, der mehr über die Menschen offenbart als es die lebensnahen Dialoge/Monologe allein vermögen.
Auch der zweite Band „Eigentlich ist das Leben schön“ macht einen Roadmovie zum Rahmen für selbstzweifelnde Zwiegespräche. Der Erzähler dokumentiert seine Suche nach einem ehemaligen Cartoonzeichner aus dem „New Yorker". Der Kanadier Seth (oder bürgerlich: Gregory Gallant) zeichnet sich dabei selbst wie eine Old-Style-Cartoonfigur aus den 40ern. In Hut und Mantel und mit einem altertümlichen Arztköfferchen bewaffnet durchstreift er Museen, Antiquariate sowie den Heimatort des von ihm bewunderten Cartoonisten Kalo.
Ob es diesen imaginären Kalo tatsächlich einmal gab, ist dabei zweitrangig. Denn wie so oft, entfernt sich der Reisende, um herauszukriegen, wo er herkommt. Und seine mühsame Suche verhandelt eine echte Leidenschaft: Die ganz großen Striche in den ganz kleinen Witzzeichnungen früherer Tage …