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Februar 2007
Stefan Pannor
für satt.org

Bill Willingham, Lan Medina:
Fables 1 – Legenden im Exil

DCs Sublabel Vertigo war in den 80er und 90er Jahren eine der heissesten Spielwiesen englischsprachiger Comickünstler. Mit Neil Gaimans „Sandman“ entstand im Haus einer der Überklassiker des Mediums, Ennis und Dillon schossen sich mit „Preacher“ in die Seele des amerikanischen Alptraums. Nicht ganz Mainstream, nicht ganz Indie, war Vertigo die Twilight Zone des Comic-Business – hier konnte alles geschehen.


Bill Willingham, Lan Medina:
Fables 1 – Legenden im Exil

Panini Comics/Vertigo 2007

Frederik Peeters: Blaue Pillen

160 S. Softcover Farbe; € 14,95
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Zuletzt schien aber doch ein wenig die Luft raus. Kaum eines der neugestarteten Projekte konnte wirklich punkten, weder bei Lesern noch bei Kritikern. Viele der neugestarteten Titel überlebten nur mit Mühe das erste Jahr.

Bis „Fables“ kam. Bill Willingham, bis dahin eher hoffnungsvoller Nachwuchsautor als bekannter Name, hatte eine gar nicht so neue Idee. Sämtliche Märchenfiguren sind real und leben, nachdem das Märchenreich vom geheimnisvollen 'Feind' (im englischen Original viel schöner 'Adversary' – 'Widersacher' genannt) überrannt wurde, im New York der Gegenwart versteckt unter Menschen. Eine eigene Sub-Community hat sich so herausgebildet, mit eigenen Regeln und ganz speziellen Konsequenzen für Regelbrüche.

Eine der reizvollsten Seiten der Serie ist dann auch das Mit-, Neben- und Gegeneinander der Figuren. Eine Art gigantisches Crossover der Welt der Gebrüder Grimm, aber auch unzähliger anderer Märchenerzähler und Sagensammler, ein Meta-Märchen, in dem eines der drei kleinen Schweine beim Bösen Wolf auf der Couch pennt, weil dieser mal sein Haus umgepustet hat.

Das erinnert ein wenig an die tschechische TV-Serie „Arabella, die Märchenbraut“, in der durchaus ähnliches vorkam. Auch dort wurden einige der Märchenfiguren vertrieben und gezwungen, sich im (realsozialistischen) Alltag zurechtzufinden. Mehr noch aber erinnert es an „Shrek“, der vergleichbare Spielereien im Mainstream hoffähig machte und ohne dessen Erfolg sicher auch „Fables“ kein grünes Licht bekommen hätte.

Anders als „Märchenbraut“ und „Shrek“ sucht Willingham in seinen Erzählungen aber die düstere Seite der Märchen. Und findet klassisches Drama, in dem Rosenrot für ihren ausschweifenden Lebensstil sterben muss und Prince Charming seine willfährigen weiblichen Gespielinnen kontinuierlich ins Unglück treibt. Das Leben ist nicht bunt in der „Fables“-Community, es ist kompliziert – und belastet noch dazu vom dauernden Versteckspiel vor der „normalen“ Welt. Wen wundert es, dass Mord und andere Verbrechen in dieser neurotischen Gemeinde normal normal sind.

Willingham balanciert mit „Fables“ auf einen schmalen Grat zwischen launischer Verspieltheit und depressionstreibender Ausweglosigkeit, die natürlich auch die eine oder andere seiner Figuren erfasst. Und das ist sicher der Reiz der Serie, die fast vom Fleck weg nicht nur zur bestverkauften Vertigo-Serie wurde. Sondern auch vom Start weg auf die begehrten Eisner-Awards nahezu abonniert war – Jahr für Jahr erhält die Serie mindestens einen der begehrten „Comic-Oskars“. Inzwischen ist sogar ein regelmässiger „Fables“-Spin-off am Start. Mit fünf Jahren Verspätung startet „Fables“ jetzt auch in deutscher Ausgabe – was zumindest bedeutet, dass genug Material für den hiesigen Verlag vorhanden ist.