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Oktober 2007
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Felix Giesa
für satt.org |
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Wer nicht das Glück hat in Hamburg, Berlin oder ähnlichen Städten mit einer „größeren“ eigenen Comicszene zu leben und somit auch nicht an die vielen im Eigenverlag erschienen Comics der in diesen Szenen Aktiven seine Finger bekommt, der ist darauf angewiesen, dass manchmal ein Sammelband diese Leute zusammenbringt und überregional präsentiert. „Spring“ und „Panik Elektro“ sind zwei solche Titel und beide haben dieses Jahr wieder einmal einen Band veröffentlicht. Bereits die vierte Ausgabe des Magazins „Spring“ aus Hamburg ist im September erschienen. Dieses reine Frauenprojekt unterscheidet sich inhaltlich von anderen vergleichbaren Anthologien: „Spring fängt jene grafischen Exemplare ein, die im unbekannten Raum zwischen Illustration, Comic und Kunst umhertreiben.“ Viele der zwölf „Geschichten“ warten nicht mit einer linearen Handlung auf, sie müssen vielmehr erlesen werden. Handlung muss in den Bildern und Illustrationen entdeckt und entwickelt werden. Und selbst dort, wo eine Story vermeintlich erzählt wird, muss ihr Anliegen erst entschlüsselt werden. Inhaltlicher Zusammenhalt für alle Geschichten ist in jeder Ausgabe ein Rahmenthema; in der hier besprochenen Ausgabe war dies „Garten Eden“. Dabei sind alle Zeichnungen in schwarz-weiß gehalten und wurden lediglich durch die Farbe Grün ergänzt. Dem biblischen Garten Eden nähert sich Claire Lenkova in ihrem Comic. Lange nach der Vertreibung aus dem Paradies gelingt es ihrer Heldin wieder dorthin zu gelangen. Und wirklich: im Paradies ist alles besser. Bis auf Gott. Der immer noch nicht dazu gelernt hat und den Menschen, und besonders der Frau, Vorschriften macht. „Nicht mal der Garten Eden war das Paradies“ ist dann auch die abschließende zynische Bewertung. Dem verleiht Lenkova durch naiv anmutende Bilder Kontrast. Den Garten Eden aus Menschenhand thematisiert Barbara Yelin in ihrer düster und bedrohlich gezeichneten Story. Einen Garten wünscht sich die Frau eines alten Ehepaars – und erhält einen Riesenbaum. Es ist natürlich der weibliche Entdeckergeist und die Neugier, die die Frau den Baum erklimmen lässt. Auf dem Weg zur Spitze begegnet sie allerlei Volk, welches ihr allerdings auch nicht verraten kann, „wo das alles hinführt.“ Die Spitze hält einen Apfel als Antwort parat, aber diesen kann sie nicht erreichen. So bleibt der Mensch, der, trotz seiner Errungenschaften, immer noch keine wahre Erkenntnis erlangt hat, zurück.
Bedienen sich die beiden bisher genannten Beispiele bekannter Strukturen des Comics, so stellt Maria Luisa Witte den Leser/die Leserin im wahrsten Sinne des Wortes vor eine Lese-Wand bzw. eine Mauer. Auf jeweils doppelseitigen Illustrationen ist bei ihr der Garten Eden eingeschlossen, ummauert. Lediglich am Rand sprießt ein wenig Grass und Gestrüpp. Die Mauer bietet keine Lösung für den „nicht eingeladenen“ Menschen, lediglich Phrasen: „Another world is possible“, „respect“ und Verheißungen: „Ficken 1,- €“. Wie ist dem zu entkommen? Durch „love and peace“. Aber dafür sieht es grau aus, so grau wie die Mauer. Ähnlich wie „Spring“ so wählt auch „Panik Elektro“ immer ein Thema für jede Nummer. Für die aktuelle Nummer fünf entschied sich Herausgeber Wittek für „Disco“. Und wie diesmal in „Spring“ wird auch hier das sonst übliche schwarz-weiß durch eine Zusatzfarbe ergänzt: Neon-Orange! In den meisten Geschichten ist dieses behutsam, zum Beispiel als Schattenfläche, integriert, bei anderen überstrahlt es aber beinahe den gesamten Strip. Aber noch etwas ist bei dieser Nummer anders als bisher. Die Künstler sind jeweils ihren kreativen Kollektiven zugeordnet, so sie denn eins haben. So finden sich neben den üblichen Verdächtigen von „Alligatorfarm“, „Tentakel“ und „Herrensahne“, die weniger bekannten „Team Gudmundson“ und „Einsam statt Zweisam“ und vor allem das hierzulande bisher kaum aufgefallenen „Monipodio“ aus Südtirol in Italien. Insgesamt hat Wittek wieder einmal fast 60 Comicschaffende vereint und ermöglicht so einen Querschnitt durch den aktuellen deutschsprachigen Comicuntergrund. Überraschend bleibt dabei auch in der aktuellen Folge zum einen die enorme Bandbreite der graphischen Arbeiten, die von schlichten Krakeleien (Jivan) über Funnys (Jakob Werth) und Mangas (Royal Welschs) bis zu abstrakten Formenexperimenten (Arnulf Rödler) reicht. Zum anderen ist einfach spannend, wie so viele Künstler es schaffen, sich ein und demselben Thema fast immer unterschiedlich zu nähern. Dass „Disco“ ein für dieses Unterfangen dankbares Thema ist, zeigt sich in der Fülle der Zugänge, welche die ZeichnerInnen gefunden haben.
Tobi Dahmen erinnert sich in seiner Geschichte an seine Rude Boy-Tage. Wenn er auf einer ganzen Seite in Szene setzt, wie in der Dorfdisco seiner Jugend das erste Mal „One Step beyond“ läuft, dann fällt es dem geneigten Leser schwer die Füße still zu halten. Neben solchen autobiographischen Ansätzen, finden sich allerdings auch einige Geschichten, die gerade in ihren teilweise absurden Ansätzen begeistern können. Gleich der erste Strip, Andy Fischlis „dann eben“, ist eine der sowohl graphisch als auch erzählerisch stimmigsten Geschichten. Hier werden alle menschlichen (Um)Triebe, die im weitesten Feld von Disco aktiv sein können, personifiziert und begleiten den „Helden“ durch die Nacht. Getrieben von „Lust und Gier“ macht er sich auf in die Disco, wo ihm dank des „Alkohols“ die „Perversion und das Ungeschick“ die Tour bei der „Erotik“ vermasseln. Aber zum Glück wartet daheim ja die „Onanie“. Das ist so schreiend komisch und dabei so grundehrlich, dass man hofft, sich beim nächsten Discobesuch nicht daran zu erinnern. Wer wissen möchte, wie man aus Mary Shelleys „Frankenstein“ und dem Neuen Testament eine Disco-Story in bester „Alligator Farm“-Hack-und-Slash-Manier macht, der sollte Philip Cassierers „Das Licht der Welt“ lesen. In einem Zitatspiel aus beiden Texten entwirft er eine Geschichte, in der ein Priester einen Zombie-Jesus erschafft, der in der Disco das Jüngste Gericht einläutet. Beschaulicher geht es hingegen in Jakob Werths Geschichte zu. Wenn das Tierreich die Freuden der Disco für sich entdeckt, muss der Mensch weichen. So auch der Bewohner einer einsamen Insel, die sich als Party-Resort für Pinguine entpuppt. Schade ist lediglich, dass beide Titel seit der letzten Ausgabe den Preis angehoben haben. Dass mag sicherlich auch damit zusammenhängen, dass beide Ausgaben dieses Mal mehrfarbig sind. Hinzukommt aber wahrscheinlich, dass es in Deutschland einfach schwer ist, solche Titel in einem ansprechenden Rahmen zu veröffentlichen. So bleibt beiden viel Erfolg mit den aktuellen Ausgaben zu wünschen, auf das noch viele Nummern folgen werden. Claudia Ahlering und Claire Lenkova (Hrsg.): |
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