Frank Le Gall:
Spirou Spezial:
Die Sümpfe der Zeit
Man kann sich freuen, daß ein neuer „Spirou“ erschienen ist. Man kann sich freuen, daß ein neuer Comic von Frank Le Gall erschienen ist. Man kann sich - und das ist das allerschönste - freuen, daß beides zugleich geschehen ist.
Frank Le Gall gilt als einer der besten europäischen Comicerzähler. Und das nicht nur, weil er Hergés Ligne Claire mitgeholfen hat zu modernisieren - unter anderem in seiner zwölfteiligen Alben-Serie „Theodor Pussel“. Moment Mal - Ligne Claire? War „Spirou“ mit seinen detailverliebten, kurvigen, weichen Bildern nicht immer so eine Art Gegenentwurf zum durchgestylten, aufs nötigste reduzierten Comicbild, wie es Hergé etwa in „Tim & Struppi“ vorexerzierte?
Ja, natürlich. Und das ist das eine, was diesen Band so spannend macht. Le Gall liefert einen grafisch aufgeräumten, Ligne-Claire-mäßig flächig wirkenden Band ab. Alles ist schön überschaubar. Aber dann auch wieder nicht. Beim Abstieg in die Pariser Unterwelt, beim Stolpern durch die Zeit auf der Suche nach dem Freund und Erzschurken Zyklotrop, beben die Bilder nur so vor Dichte. Ein dreckiges, stockfleckiges, unverputzt graues Paris 1865 bildet den Schauplatz der Handlung. Und das bietet Atmosphäre satt, kompakter, als jeder Londoner Nebel es je sein könnte. Wenn die Helden schließlich verzweifelt versuchen, der Vergangenheit zu entkommen, in der sie unerwartet feststecken - zurück in die Zukunft - wünscht man sich fast, sie würden es nicht schaffen.
Ist doch das alte Paris ein weithin unterschätzter Ort für Abenteuer. Trotz großartiger Vorlagen wie „Die Abenteuer von Paris“ oder „Kinder des Olymp“, trotz der Romane von Victor Hugo gilt Paris heute als Stadt der Romantik. Völlig falsch, zeigt Le Gall. Verbrecherbanden, Spelunken und zerlumpten Straßenhändlerinnen. Kopfsteinpflaster, so uneben, daß man meint, jeden Schritt der Figuren klackern zu hören. Und natürlich eine im wahrsten Sinn des Wortes verzweigte Unterwelt, ein gigantisches Tunnelsystem unterhalb von Paris als Schauplatz für das Finale.
Das alles sieht man in diesem Band, von Le Gall meisterlich in Szene gesetzt (und vom Übersetzer in allen Feinheiten des Pariser Straßenslangs großartig übersetzt). Leser des klassischen „Spirou“ werden sich vermutlich erst an die ungewöhnte Darstellung der Figuren gewöhnen müßen. Aber „Die Sümpfe der Zeit“, dieser Brückenschlag zwischen Franquin und Hergé, der Zeitsprung in ein heute fast vergessenes Paris ist jeden Centime wert.
Frank Le Gall:
Spirou und Fantasio Spezial:
Die Sümpfe der Zeit
Carlsen Comics, 64 S., € 10,00
» amazon