Alison Bechdel:
Fun Home
Bechdels Fun Home, das ist in Wirklichkeit das Funeral Home, das Beerdigungsinstitut, das ihre Familie in den sechziger Jahren in einer Kleinstadt im Nordosten der USA betreibt. Es ist aber auch der sarkastische Ausdruck für ihre Lebensumstände als Kind. Mit einem Vater, der jahrzehntelang seine Homosexualität unterdrückt, einen permanenten Haß auf Frau und Kinder entwickelt und das Haus der Familie nach und nach zu einem Spielzeughaus umbaut: voller Rüschen, Troddeln, viktorianischer Relikte, ziselierter Türumrahmungen, rosa Vorhänge und vor allem Spiegel.
Ein Puppenhaus, ein Spiegelkabinett also. In dem Bechdel schon mit zehn Jahren eine gehörige Zahl Zwangsneurosen entwickelt und in dem sich am Ende jedes Familienmitglied in seine eigene Traumwelt flüchtet. Die Mutter als Laienschauspielerin, der Bruder als Bastler von Flugzeugmodellen, Alison schließlich erst in ihr Tagebuch und dann in das Zeichnen.
Rückblickend versucht Bechdel diesen Haufen von Neurotikern durch Beschreibung zu analysieren. Dabei zerfällt das Buch in zwei Teile: zum einen die Erzählungen über den Vater, zum anderen die der Künstlerin über sich selbst. Diese Erzählungen hängen sich nicht am zeitlichen Ablauf auf, sondern an literarischen Oberthemen. Jedes der sieben Kapitel in „Fun Home“ bezieht sich auf eines von sieben Lieblingsbüchern des Vaters. Von Fitzgerald bis Joyce, von Wilde bis Proust, von griechischen Sagen bis Kenneth Grahams „Der Wind in den Weiden“.
Es ist Bechdels große Stärke, dass sich der Leser in diesem literarischen Labyrinth nicht verliert. Bechdels klare Erzählstimme, ihre aufgeräumten Zeichnungen sind der großartige Führer durch diesen Lebensroman einer „Familie von Gezeichneten“, wie es doppeldeutig im Untertitel heisst.
Mit „Fun Home“ leistet Alison Bechdel eine unglaubliche Detektivarbeit im eigenen Leben, die weit über alle bisher erhältlichen autobiografischen Comics hinausgeht.
Alison Bechdel: Fun Home
Kiepenheuer & Witsch; 240 S., € 19,90 (D)
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