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April 2008
Stefan Pannor
für satt.org

Bernd Pfarr:
Sondermann

Volker Reiche:
Strizz - Das sechste Jahr

Frankfurt, deine Buchhalter. In der von Künstlern wie von Banken überreichen Mainmetropole musste es natürlich früher oder später zum Clash kommen. Der Buchhalter, der vermutlich langweiligste Beruf des Landes, als Comicheld. Und nicht nur in einer, sondern gleich in zwei Reihen, die zudem auch noch beide zu den ganz großen Werken der hiesigen Comicproduktion gezählt werden müssen.

Bernd Pfarr: Sondermann

Zuerst kam „Sondermann“. Das war im Herbst 1987, in der „Titanic“, dem selbsternannten „endgültigen Satiremagazin“. Zuerst im Wechsel zwischen Einzelbildern und ganzseitigen Comics, schilderte Bernd Pfarr darin den mehr als seltsamen Alltag eines nicht näher definierten Buchhalters. Ursprünglich innerhalb des Nonsens-Supplements des Magazins, mauserte sich die Reihe bald zur eigenständigen Rubrik des Heftes. Und bereits 1989 bekannte Sondermann in einer Bildfolge angesichts eines wohlmeinenden Graffitis über ihn, „... gefällt mir sehr gut in Frankfurt. Ich denke, ich werde hier eine Weile bleiben.“

Bis 2004 sollte diese Weile dauern, bis zum Tod von Bernd Pfarr. Nicht zuletzt wegen der Treue, die Pfarr seiner Figur hielt, kann diese Serie als das zentrale Werk in Pfarrs vielseitigem Schaffen gelten. Unter dem schlichten Titel „Sondermann“ erschien beim Steidl-Verlag bereits im Vorjahr eine Sammlung wirklich aller Pfarrschen Buchhalterbildchen in einem ebenso schönen wie voluminösen Band, der nicht nur Freude macht, sondern auch aufs Beste die Entwicklung der Figur widerspiegelt.

Von der simplen Witzfigur, der mit mehr oder weniger abstrusem Alltagsunbill kämpft, mausert sich Sondermann bei chronologischer Lektüre immer mehr zum Staunemann. Bereits in den ersten Jahren legte er seine Comicseiten ab - obwohl Pfarr auch einige hervorragende Comics im klassischen Sinn geschaffen hat, wollte dieses Format nie so recht zum „Sondermann“ passen. In den großen Einzelbildern, deren er jeden Monat zwei produzierte, destilierte Pfarr stattdessen all jene Paradoxien und Poesien, die sonst auf mehrere Bilder verteilt nahezu völlig wirkungslos gewesen wären.

Negerradios, Negerschrubben, Plüschbügeleisen, der „Verein der Freunde der Würzmittel“, ein Krokodil als Skilehrer. Das alles in einer für die Serie typischen perspektivischen Verzerrung, in der jeder Horizont krumm ist, jeder Fußboden schief, jeder Schrank wacklig, in der permanent eigentlich alles wegzurutschen und zu zerfliessen scheint. Eigentlich eine Alptraumwelt. Aber mittendrin der schmächtige Sondermann mit freundlichem Lächeln und ewigem Hut: eine überaus lässige, nichtsdestotrotz verträumte Gestalt, die selbst die allerunwahrscheinlichsten Ereignisse mit fröhlicher Gelassenheit nimmt.

„Sondermann wäre sicher verzweifelt, hätte er nicht gewusst, daß ihm manches Mißgeschick bei der Hausarbeit nur widerfuhr, damit er karmische Schuld abtragen konnte“, heisst es an einer Stelle. Und an anderer: „Sondermann dachte, daß er wohl sicherlich der einzige sei, der sich von einer Kanalratte überreden läßt, in einer Tonne abgestandenen Regenwassers nach einem verlorengegangenen Kuchenkrümelchen zu suchen.“

Volker Reiche: Strizz - Das sechste Jahr

Ob Strizz wohl auch nach Kuchenkrümeln suchen würde? Auch in Volker Reiches inzwischen überaus bekannter Strip-Reihe für die FAZ spielen zwei Ratten zwei überaus prominente Rollen. Neben diversen Hunden, Katzen und nicht zuletzt Menschen. Weit über zwanzig regelmäßig wiederkehrende, aufs Verschiedenste miteinander verbundene Figuren bevölkern die Serie um den ebenfalls in Frankfurt am Main ansässigen Buchhalter, der ebenfalls wie Sondermann vornamenslos ist und in den letzten Jahren auch einige erstaunliche Wandlungen durchgemacht hat.

Vom simplen Buchhalter mit leichten charakterlichen Anleihen an Donald Duck, der stets versucht, sich vor der Arbeit zu drücken, über die dezidiert politischen Strips, in denen die verschiedenen Figuren die tagesaktuelle Politik analysieren, ist „Strizz“ inzwischen zur Familienserie geworden. Natürlich spielt Politik immer noch eine große Rolle, und es vergeht auch im sechsten Band der Buchausgabe, welcher das komplette Jahr 2007 der FAZ-Strips nachdruckt, kaum eine Woche, in denen Kater Paul nicht über Merkel schwadroniert oder Neffe Rafael über Lohnnebenkosten und ähnliches.

Aber Strizz ist Vater geworden. Volker Reiche sucht im geschilderten Familienalltag eher nach Harmonien als nach Mißklängen. Das und die inzwischen unübersichtlich ins Kraut wuchernde Zahl an Nebenfiguren, die kaum noch alle Platz finden, nimmt dem Strip viel von seinem ursprünglichen Witz und Tempo. „Strizz“ ist weiterhin ein intelligenter Strip, und er ist ein gebildeter Strip. Aber die permanente Analyse des politischen Alltags, wie sie Reiche seit mittlerweile sieben Jahren betreibt, scheinen seinen Witz ermüdet zu haben, seine Satire ausgelaugt.

„Strizz - Das sechste Jahr“ ist weiterhin eine unterhaltsame Lektüre. Aber es sprüht und funkelt nicht mehr so schön wie in den Jahren zuvor.



Bernd Pfarr: Sondermann
Steidl Verlag, 500 Seiten, 48,00 €
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Volker Reiche: Strizz - Das sechste Jahr
Frankfurter Allgemeine Buchverlag, 300 Seiten; 19,90 €
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