Christophe Blain:
DAS GETRIEBE
Der Student George meldet sich bei der Marine, weil ihn das Fernweh und die Abenteuerlust gepackt haben. Dummerweise ist die Seefahrt dann doch nicht so unterhaltsam: auf dem Gigantschlachtschiff LEVIATHAN packt ihn die extreme Seekrankheit. Die Mitmatrosen sind rau, aber kaum herzlich, der Führungsstil dem militärischen Zweck des Bootes entsprechend rigide. Auf der Flucht vor der Bordpolizei finden sie in den Untiefen des Schiffes das gewaltige Getriebe, von dem das Schiff in Gang gehalten wird, und legen es aus Versehen still. Die gewaltige LEVIATHAN stoppt, und eine Jagd auf die unfrewilligen Saboteure beginnt.
„Das Getriebe“ erschien im Original bereits 1999 und ist eine frühe Arbeit von Christophe Blain. Insbesondere merkt man dem Band an, daß Blain hier erstmals ohne Szenaristen an einem Comic arbeitete. (Das bereits zuvor erschienene „Polartagebuch“ ist kein Comic, sondern ein illustrierter Erlebnisbericht.) Viel zu viel und gleichzeitig viel zu wenig findet sich in diesem Comic: des Zeichners Kernthema einerseits, nämlich das Verhältnis von Männern und Frauen und das Verhältnis von Männern untereinander, erneut in einem ins absurde übertriebene historischen Kontext, ähnlich wie in seinen nachfolgenden Serien „Isaac der Pirat“ und „Gus“.
Und eine Vielzahl von Zitaten, insbesondere an den expressionistischen und an den frühen Horrorfilm der 20er und 30er Jahre. Das gigantische Getriebe könnte direkt aus Chaplins „Moderne Zeiten“ stammen, die gewaltigen Abgründe der ins karikaturistische übertriebene gigantischen LEVIATHAN sowie die qualmende und scheinbar endlos zugebaute Hafenszenerie eine Erfindung des „Metropolis“-Lang sein. Die extremen Schattenwürfe und Lichtverhältnisse erinnern an Murnau und an die frühen Frankenstein-Filme.
Blain entwirft mit dem Gigant-Schiff eine zeitlose, fast mythologische Welt - der historische Kontext des Buches ist nie ganz eindeutig zu entschlüsseln und läßt sich nur annähernd auf die Epoche der zwei Weltkriege festlegen. Auffällig ist auch, daß er stärker abstrahiert als in seinen späteren Bänden. Gelegentlich bleiben von den Figuren nur ein paar sehr wenige Linien und Schatten.
Andererseits verliert Blain vor gewollter Aussage, vor Zitierwut und künstlerischem Experiment mehr als einmal die eigentliche Geschichte aus dem Auge. Die streckt sich auf nahezu 80 Seiten, ohne diesen Umfang wirklich herzugeben. „Das Getriebe“ ist sichtlich stärker das Werk eines Graphikers und Intellektuellen als das eines Erzählers. Es läßt nur erahnen, wie großartig Blain, der Erzähler, kurz darauf mit seiner Serie „Isaak, der Pirat“ wirklich werden sollte.
Christophe Blain: Das Getriebe
Reprodukt, 80 Seiten, € 15,00
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