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Mai 2008
Stefan Pannor
für satt.org

Isabel Kreitz: Die Sache mit Sorge

Isabel Kreitz:
Die Sache mit Sorge

Das hat man auch selten: ein historischer Comic aus Deutschland, der sein Geld wert ist. In anderen Comickulturen ist die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit durchaus üblich. Nicht nur Art Spiegelmans „Maus, auch Alan Moores „From Hell“ oder Chester Browns „Louis Riel“ geben hervorragende Beispiele für die realistische, recherchierte Darstellung realer historischer Ereignisse ab. In Europa wagte sich Tardi mit „Grabenkrieg“ in neue Höhen des dokumentarischen Erzählens. Aber nicht nur die großen Blutbäder der Geschichte reizen: 2004 veröffentlichte der italienische Künstler Igort eine Comicbiografie des Jazzpianisten Fats Waller (dt. bei Avant).

Deutsche Historiencomics dagegen wirkten in der Vergangenheit häufig wie für die Oberstufe konzipiert: didaktisch, steif, langweilig. Mit „Die Sache mit Sorge“ hat Isabel Kreitz ein Buch vorgelegt, dem man nicht nur aufgrund des Umfanges anmerkt, dass es sich um einen Comic-ROMAN handelt. Der nicht nur belehren, sondern tatsächlich etwas erzählen will. Und das für diesen Teil der deutschen Comicszene Maßstäbe setzt.

Richard Sorge war „Stalins Mann in Tokio“, ein kommunistischer Agent unter den Deutschen in Japan, mit Zugang zu höchsten Kreisen. 1941 erfährt er frühzeitig vom Angriff der Deutschen auf die Sowjetunion, seine Warnmeldungen nach Moskau bleiben allerdings ungehört. Im gleichen Jahr kann er immerhin Informationen übermitteln, die es dem sowjetischen General Schukow ermöglichen, den Vormarsch der deutschen knapp vor Moskau zu stoppen. Kurz danach wird Sorge von der japanischen Geheimpolizei verhaftet, und die Sowjetunion zeigt auf Anweisung Stalins keinerlei Interesse an seiner Rettung.

Diese Geschichte erzählt Kreitz, und sie erzählt sie mit Sorgfalt. Statt sich in historischen Details zu verzetteln, rekonstruiert sie in einem sanften Bleistiftstrich das Tokio der frühen 40er Jahre. Hier ist Alltag zu spüren, in Sorges Arbeitszimmer, in den Räumen der Botschaft, bei den Treffen der Nazis und der Konspiranten. Nicht Sorge selbst steht im Zentrum der Erzählung. Isabel Kreitz entwirft ein Panoptikum der historischen Situation, wobei vor allem jene Menschen zu Wort kommen und eine tragende Rolle spielen, die Sorge aus diesem oder jenem Grund in seiner Zeit in Japan begegnet sind.

Aus ihren Sichtweisen ergibt sich das differenzierte Portrait des glücklosen Agenten. Sorge als reizvoller Draufgänger, als Bonvivant mit Alkoholproblem, als Leidender unter der faschistischen Situation, als Fanatiker, der etwas beweisen will. Solche Differenziertheit kennt man aus den besseren Teilen der Spionage-Literatur - im deutschen Comic ist sie selten.

Nicht zu Unrecht gilt Isabel Kreitz als eine der besten Comicerzählerinnen des Landes, die ihre Vielfältigkeit bereits vom Gagstrip bis zum Horror-Comic unter Beweis gestellt hat. „Die Sache mit Sorge“ ist selbst in ihrem ebenso umfangreichen wie großartigem Oeuvre ein neuer Höhepunkt.



Isabel Kreitz: Die Sache mit Sorge
Carlsen Comics, 256 S., € 19,90
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