Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen





12. Juni 2008
Stefan Pannor
für satt.org

Michel Rabagliati: Pauls Ferienjob

Michel Rabagliati:
Pauls Ferienjob

„Ich zog in den Wald, weil ich den Wunsch hatte, mit Überlegung zu leben, dem eigentlichen, wirklichen Leben näher zu treten ...“ In Deutschland kennt man diese Sätze in leicht anderer Form aus Peter Weirs „Der Club der toten Dichter“. In Nordamerika zählen diese Zeilen aus Henry David Thoreaus Erinnerungsband „Walden“ zum literarischen und Schulbuchkanon wie hierzulande Goethes „Osterspaziergang“. Thoreau ist der amerikanische Vorzeigeonkel des friedlichen Widerstandes, der Weltflucht und des Umweltschutzes.

Kanada in den siebziger Jahren: Paul geht es ähnlich wie Thoreau, als dieser seine Blockhütte am Waldensee zimmerte. Er hat angemessen die Schnauze voll vom Alltag. In Pauls Leben ist das vor allem eine beschissene Lehre, die er schmeisst, und ein Gefühl von Ziellosigkeit. Aber Paul ist auch ein Teenager, während Thoreau ein erwachsener Mann war.

„Pauls Ferienjob“ ist natürlich keine moderne Fassung von Thoreaus Klassiker. Die Unterschiede sind klar: Paul nimmt den Sommerjob als Kinderbetreuer in einem Ferienlager im kanadischen Hinterland durchaus auch des Geldes wegen an. Was soll er auch sonst tun? Seine Flucht vor dem nervigen Vorort, den drängenden Eltern und der eigenen Ziellosigkeit ist deutlich weltlich motiviert. (Allerdings floh auch Thoreau seinerzeit vor Steuerschulden in den Wald.)

In Folge singt Rabagliatis Graphic Novel allerdings ein durchaus thoreaueskes Hohelied von „zurück zur Natur“. Paul muß nicht nur pädagogische Dinge lernen, um mit den Kindern umgehen zu können. Er muss auch lernen, Lager einzurichten, Zelte aufzuschlagen, er muß Latrinen ausheben und schwere Proviantkisten durch den Wald schleppen. Er muß damit klarkommen, daß Waschbären und Schlangen ihm sein Nachtlager streitig machen wollen und daß es statt eines Kühlschrankes nur ein Loch in der Erde gibt, welches die Lebensmittel leidlich kühl hält. Und es gefällt ihm.

Man könnte diese semi-autobiographische Erinnerungen als belanglos abtun. Denn die Dramaturgie ist dünn und hangelt sich im Grunde nur am stetigen Rhythmus von Ausflügen mit den Kindern und Szenen der Erwachsenen unter sich entlang. Aber - Atmosphäre galore! - das beschauliche Buch lebt vor allem von der Art der Erzählung, von der romantischen Darstellung eines zugleich lärmigen wie beschaulichen, dreckigen wie schönen Idylls abseits der Zivilisation.

Immer wieder steht Paul irgendwo am See, auf einem Hügel oder im Wald und stellt fest, wie schön das eigentlich alles ist. Und man seufzt und gibt ihm Recht.

Michel Rabagliati: Pauls Ferienjob
© Michel Rabagliati


Michel Rabagliati: Pauls Ferienjob
Edition 52, 152 S., € 17,00
» amazon