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9. August 2008
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Felix Giesa
für satt.org |
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Der elterliche AlptraumCyril Pedrosa erzählt in „Drei Schatten“ vom Kampf des Elternpaares Lise und Louis gegen den unabwendbaren Verlust ihres Sohnes Joachim. Gemeinsam lebt die Kleinfamilie abseits der Stadt in einer mittelalterlich-phantastisch anmutenden Natur und lebt von dem, was Feld und Wald offerieren. Es ist das idyllische Paradies auf Erden; bis eines Abends drei Reiter auftauchen, die Joachim zuerst als „drei Schatten“ wahrnimmt. Schnell wird offenbar, dass es sich keineswegs um Durchreisende handelt, sondern dass sie eine Bedrohung für Joachim darstellen. Jedoch lassen sie sich nicht vertreiben und von alleine verschwinden wollen sie auch nicht. Schemenhaft lauern sie ab jetzt immer an der Peripherie des familiären Alltags. Da Louis wie durch eine fürchterliche Vorahnung gelähmt ist und seinen Sohn immer enger an sich klammert, ist es Lise, die letztendlich handelt und Rat sucht. Von der schrulligen, ein bisschen an Meister Yoda erinnernden, Madame Pique erfährt sie, was Lise und der Leser im Grunde schon wußten: Die Schatten wollen Joachim holen! Was nun folgt, ist ein beeindruckender, auf den Seiten in Symbolik überbordender, Versuch des Vaters Louis, dem Unvermeidlichen zu entkommen. Kann Lise das Schicksal akzeptieren und annehmen, fehlt Louis jegliche Empathie für diese Möglichkeit. Bei Nacht und Nebel reißt er Joachim aus dem geborgenen Heim und flieht, vor den Schatten, vor dem Schicksal. Cyril Pedrosa bedient sich bei der bildnerischen Darstellung des Geschehens der schwarz-weißen Zeichnung und ist dabei so wunderbar variabel, dass es den Leser nur so in die Geschichte hineinzieht. An hellen Tagen, vor den Schatten, reichen ihm lediglich einige Linien und Schraffuren, um die Szenerie zu „malen“ und schon meint man, das Glück der Familie körperlich spüren zu können. Doch ab jetzt kommen immer wieder dunklere Momente, sowohl im Leben der Familie, als auch in den Bildern. Etwa wenn Louis jegliche Beherrschung ob der Angst um seinen Sohn verliert und die Schatten anschreit, sie sollten verschwinden. Pedrosa greift die ganze Wut und Verzweiflung auf und versucht erst gar nicht, filigran zu zeichnen, wenn er mit dem groben Tuschepinsel Louis als Inkarnation eines Protovaters schlechthin erscheinen lässt. Joachims und Louis nun folgende Odyssee verschlägt die beiden aufs Meer, um in der jenseitigen Welt weiterleben zu können. Im biblisch anmutenden Scheitern dieser Überfahrt jedoch offenbart sich dann auch für den letzten Leser die Unmöglichkeit dieses Unterfangens. Das es gerade der Vater ist, den Pedrosa am meisten leiden lässt, mag einen verwundern. Stellt er sich doch auf der Seite wie ein atlasgleicher Hüne dar, der jedem Sturm eichengleich zu trotzen vermag. Die Verzweiflung und das Verleugnen des Schicksals würde man vom rein Optischen her viel eher bei Lise vermuten. Beim Anblick ihres zierlichen, regelrecht schmächtigen Äußeren wundert sich der Leser immer wieder, wie sie es schafft in der Einöde zu überleben oder beispielsweise nur einen Eimer Wasser von der Quelle zum Haus zu tragen. Es ist ein mystisch-naturalistisches Frauenbild, welches der Autor hier erkennen lässt: Durch die Schmerzen der Geburt zur Frau gereift, ist die Mutter das Zentrum der Familie, der unbezwingbare Fels. Aus dieser mystischen Verbindung mit der Natur heraus weiß sie, dass es keinen Sinn hat, fortzulaufen. Den einzigen Sinn sieht sie im Rat der alten Pique: „Genieße jede Stunde mit Joachim, solange er noch bei euch ist.“ Doch dies wird Lise von ihrem Mann verwährt. Dass sie ihm nicht zürnt, zeugt von ihrer Weitsicht und uneingeschränkten Liebe zu ihrer Familie, von der sie weiß, dass es sie in der Zukunft auch wieder geben wird. Und so ist „Drei Schatten“ auch keineswegs als phantastisches Märchen zu verstehen, sondern viel mehr als eine Allegorie für unerschütterliche elterliche Liebe und den Horror des Loslassens, wenn Eltern ihre eigenen Kinder überleben müssen. Pedrosa bedient sich einer entrückten, organisch anmutenden Erzählwelt, um die Zeitlosigkeit dieser tief in der menschlichen Seele verwurzelten Gefühle zu veranschaulichen. „Zu jener Zeit“ ist also mitnichten als ein verklausuliertes Märchen-„Es war einmal“ zu lesen, sondern als der Beginn der von schmerzhafter Verarbeitung geprägten Erinnerung des Vaters. Cyril Pedrosa: Drei Schatten Abbildungen aus Drei Schatten: Wenn der Vater mit Sohne: Vor den „Schatten“ herrschte noch die Idylle, was Pedrose auch mit klarer Einfachheit auf der Seite zu erkennen gibt. Louis als Inkarnation väterlichen Seins, mit beeindruckend kräftigen Strich macht der Zeichner Ängste und Beklemmungen sichtbar. Einer umgekehrten Geburt gleich stürzen Joachim und sein Vater in die Tiefen des Meeres, doch finden sie dort keine Geborgenheit, da die Mutter sie nicht begleitet. Schließlich vor Verzweiflung zur Urgewalt mutiert, geht Louis bis zum Äußersten, um seinen Sohn zu retten. |
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