Anzeige: |
satt.org | Literatur | Comic | Film | Musik | Kunst | Gesellschaft | Freizeit | SUKULTUR |
20. November 2008
|
Stefan Pannor
für satt.org |
|
Die Maxiausgabe der MinimenschenEnde der sechziger Jahre befand sich das belgische Comicmagazin „Spirou“ an einem Tiefpunkt. Das Heft, das der europäischen Comictradition in den 50er Jahren entscheidende Impulse der Modernisierung gegeben hatte, war zur eigenen Kopie geworden. Vorrangig belanglose Abenteuergeschichten, optisch im von André Franquin geprägten Knollennasenstil, zeichneten das Heft aus, während anderswo schon der Aufstand gewagt wurde - auch im Comic. Einer der perfektesten Zeichenschüler Franquins war Seron. Damit hatte er in „Spirou“ einen festen Platz. 1967 kreierte Seron die „Minimenschen“, jene Serie, die ihn in den nächsten Jahrzehnten als aktiver Comiczeichner am meisten beschäftigen sollte. Und obwohl die bis heute fast 50 Alben der Serie inzwischen als Semi-Klassiker gelten, zeigt sich an ihnen doch auch der Niedergang der vorrangig an der äußeren Form statt an Inhalten orientierten Franquin-Epigonen. Von Beginn an wirkten die „Minimenschen“ ein wenig wie aus der Zeit gefallen. Und das, obwohl es sich um eine Science-Fiction-Serie handelte! Die Minimenschen sind eine Gemeinde ehemaliger Wissenschaftler und Dorfbewohner, die durch einen Meteoriten mysteriöserweise auf Zwergengröße verkleinert wurden und nun heimlich, aber unheimlich gut ausgestattet in umgebauten Zisternen leben. Es sind dem Komfort nach wahre High-Tech-Schlümpfe, mit eigenen Gleitern und anderem hypermodernen Fluggerät, mit glasblank-blitzenden eleganten eckigen Häusern, Nierentischwohnzimmern und überhaupt voller ganz auf der Höhe der damaligen Zeit designten Möbeln. Also mit jeder Art von Annehmlichkeiten, die sich ein betuchter moderner Franzose Ende der sechziger Jahre wünschen konnte, und mit noch ein paar mehr. Alles hip? Grafisch war das tatsächlich alles modern bis futuristisch, auch wenn diese zukunftsorientierte Moderne heute wie ein Dokument vergangener Zeiten wirkt. Das von der Serie vermittelte Weltbild blieb allerdings weit hinter der Zeit zurück. Neben der Größe der Figuren offenbaren die Geschichten, vor allem die frühen, nämlich noch eine weitere Parallele zu Peyos blauer Schlumpfgemeinde: keine Frauen. Die tauchen in den meisten Episoden allerhöchstens am Bildrand und als Nebenfiguren auf - als Mütter, Lehrerinnen oder kleine Mädchen. Darüber hinaus werden die Abenteuer - ob nun mit Aliens, drittrangigen Militärs, im Bermudadreieck oder gegen Mäuse - vorrangig von Männern erlebt und die Probleme von Männern gelöst. Somit war alles ganz harmlos präpubertär. Und sollte es über weite Strecken der Serie auch bleiben. Selbst dann noch, als Seron die Geschichten, die anfänglich von anderen Autoren stammten, selber textete. Dass es vielen der Episoden zusätzlich zum Mangel an weiblichem Personal - oder gerade deswegen? - etwas an Esprit und Anbindung an die reale Welt fehlt, sei zumindest erwähnt. Infolge all dessen sind „Die Minimenschen“ letztlich kaum mehr als der eskapistische Traum eines Elfjährigen, grafisch zwar elegant, technisch hochmodern, doch inhaltlich von kaum fassbarer Naivität und oft arg betulich. Trotz all des Staubes, den die Serie infolgedessen in den letzten Jahren angelegt hat, und des nicht unbedingt überragenden Erfolges der Einzelalben in Deutschland, plant die Ehapa Comic Collection eine Neuauflage aller Alben in knapp 15 voluminösen Sammelbänden - ein Konzept, das sich auch schon bei „Lucky Luke“ und „Blueberry“ bewährt hat. Im Vergleich zu diesen Serien wirken „Die Minimenschen“ freilich wirklich etwas klein.
Pierre Seron: |
satt.org | Literatur | Comic | Film | Musik | Kunst | Gesellschaft | Freizeit | SUKULTUR |