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9. Dezember 2008
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Sven Jachmann
für satt.org |
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Die Brüchigkeit der Rationalität
Die Mondlandung im Jahre 1969 und die Erschließung des roten Planeten waren seit jeher gern genutzte Topoi für mannigfaltige Verschwörungstheorien. Verschwörungstheoretiker wiederum generieren sich gerne als Herrschaftsskeptiker, um die ihren Positionen zu Grunde liegenden Symptome der Paranoia zu verschleiern. Für die Science Fiction zu guter Letzt ist die Paranoia ein konstitutives Element. Sie bietet die Möglichkeit zur konkreten Gesellschafts- wie zur universalen Zivilisationskritik, ohne zu sehr vom realpolitischen Tagesgeschäft, folglich auch von saisonaler Popularität, abhängig zu sein. So kann der Mensch entweder an seiner miserablen Sozietät scheitern oder sollte sich gleich von der Hybris, die höchst entwickelte Lebensform des Universums zu sein, verabschieden. Dieses Spannungsfeld bietet den Nährboden für die Erklärungen des Verschwörungstheoretikers: Kommt er gesellschaftsintern nicht weiter, müssen externe Faktoren herangezogen werden. Es wird schon seinen dramaturgischen Grund haben, warum Brian de Palma in „Mission to Mars“ die Unterscheidung zwischen göttlichen Kräften und außerirdischen Mächten nicht explizit lösen wollte. Im jüngst veröffentlichten zweiten Band des als Trilogie konzipierten „Schimpansenkomplexes“ werden ebenfalls Mond und Mars angesteuert. Der ausschlaggebende Anlass wurde bereits im ersten Band breit entfaltet: Im Jahre 2035 stürzt eine bemannte Weltraumkapsel in den Indischen Ozean. Das wäre nicht weiter verwunderlich, lauteten die Namen ihrer Insassen nicht ausgerechnet Neil Armstrong und Buzz Aldrin, die verwirrt, aber quicklebendig ihre eigene Situation ebenso wenig begreifen, wie die ratlose Wissenschaftskommission. Wenige Tage später werden sie verwest in ihrem Quartier aufgefunden.In Gestalt der flugs abkommandierten Astronautin Helen Freeman wird der Leser an das Geflecht aus undurchschaubaren politischen Intrigen (die immer wieder auf Ereignisse des Kalten Kriegs rekurrieren), mysteriösen, undeutbaren Botschaften und Zeitparadoxien herangeführt und erfährt dabei, bar jeder Suspense, nie mehr, als die Protagonistin selber weiß. Der zweite Band setzt nun an mit der Erfüllung ihres lang gehegten Traums: nämlich dem Privileg, als erste Frau den Mars zu betreten. Damit lässt sie jedoch zugleich die ohnehin angeschlagene Beziehung zu ihrer Tochter Sofia schleifen, so dass sich auch auf der Erde ein mehr oder weniger dramatischer Nebenschauplatz eröffnet. Auf dem Mars angekommen, überspitzen sich die Ereignisse: Die vor 70 Jahren aufgegebene sowjetische Basis ist von drei Überlebenden bewohnt, die indes nicht gealtert zu sein scheinen. Ob sie allerdings dem Wahnsinn verfallen oder mit der Rationalität des geheimen Wissens ausgestattet sind, bleibt angesichts der sich häufenden unerklärlichen Phänomene im Dunkeln. Szenarist Richard Ponzio begibt sich tief in die Gefilde der Paranoia-Images der Science Fiction und destilliert hieraus einen Plot, der zwar unschwer einer Patchwork-Montage der Genre-Größen gleicht, dem es aber gleichermaßen auch gelingt, durch originelle Perspektivierungen dem Geschehen neue Aspekte abzugewinnen. Die verschwörungstheoretische Exposition des ersten Bandes weicht sukzessive einer metaphysischen Bedrohung, deren Sinn und Funktion sich dank des wirklich hundsgemeinen Cliffhangers allerdings erst mit dem abschließenden dritten Band erschließen lassen wird. Aber insbesondere die Mutter-Tochter-Konstellation offeriert dem Verlauf seinen langen Atem: Analog zu den fortwährend irritierenderen Beobachtungen auf dem Mars, wächst die Entfremdung Sofias zu ihrer Mutter und mündet in einer quälenden tour de force durchs amerikanische Hinterland, in der sich im Kleinen die Verabschiedung der Mars-Crew von den Gesetzen der Rationalität spiegelt. Zwei Entfremdungen, ein Resultat: der Garant, verlässlich Sicherheit zu stiften, macht Platz für die Dunkelheit: Am Ende wartet auf die Überlebenden der Mission statt der Erde nur noch das bedrohliche Schwarz ihrer Erinnerung. Der Schimpanse in diesem existenzialistisch angelegten Experiment ist also nicht bloß der Mensch als Spielball ihm unbekannter Kräfte, sondern vor allem auch als Opfer seines widersprüchlichen Gefühlshaushalts, der ihm selbstredend bei der Erforschung der Welten außerhalb seiner Grenzen nicht zum Vorteil gereicht. Diese den Prämissen der Hard-SciFi zuzurechnenden Elemente sollen kongeniale Unterstützung in den fotorealistischen Zeichnungen finden, deren Statik einer regelrecht dokumentarischen Diktion gehorchen. Ihre Montage hingegen gleicht einem geradlinigen filmischen Fluss, der durch Perspektivenwechsel, dem Schnitt von Panorama- zu Detailaufnahmen, Rückblenden, dem Wechselspiel von Licht und Schatten und derartiges mehr in Gänze auf Überwältigung abzielt. Besonders das Mimenspiel gleicht dabei der eingefrorenen Bewegung eines film-stills und torpediert regelrecht die Charakterisierung der Figuren über ihre Physiognomie. In der Konsequenz zeugt dieser problematische Hang zur Authentizität gar gelegentlich von einer Bedrohung in ihren Gesichtern, die ihnen ursprünglich gar nicht – soviel offenbart der Handlungsverlauf – angediehen war. Dessen jedoch ungeachtet erweist sich „Der Schimpansenkomplex“ als ungemein spannendes Spiel zwischen Wissenschaftsthriller, Sci-Fi-Drama und Melodram, das in seiner Verschränkung dieser Elemente der zeitgenössischen Sci-Fi im Comic eine absolut lesenswerte Note abzuringen weiß. |
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