Snoopy, der Hund mit
den 1000 Gesichtern
Vermutlich war Snoopy der erste Hund der Moderne. Kennzeichnet sich diese doch (neben anderen Merkmalen) auch dadurch aus, dass man sich seine Identität, seine verschiedenen Rollen in der Gesellschaft, selbst aussucht. Anders als in vormodernen Zeiten, als der Bäckerssohn Bäcker wurde und der Landgrafssohn Landgraf und die Frau Hausfrau. In vormodernen Zeiten bestimmte praktisch ausschliesslich die Herkunft das Sein.
Auch Snoopy musste sein variables modernes Ich erst finden. In den ersten Jahren des „Peanuts“-Strips ab 1951 war er tatsächlich nur ein Hund auf vier Pfoten, ohne eigene Gedanken oder gar Sprache. Erst Mitte der fünfziger Jahre begann seine allmähliche Emanzipation zum aufrechten Gang und zum eigenen Denken.
Eine Entwicklung, die in dieser Sammlung von wahrscheinlich nicht ganz tausend „Peanuts“-Strips nicht nachgezeichnet wird. Das voluminöse Buch zeigt stattdessen den voll ausgereiften Snoopy in fünf seiner Aspekte: als lässiger Joe Cool (heute würde man Slacker dazu sagen), als Anwalt, als Flieger-Ass aus dem Ersten Weltkrieg, als Pfadfinderführer und als „weltberühmter“ Schriftsteller. Das sind nur einige wenige der Rollen, die Snoopy im Lauf seines langen Comiclebens ausfüllte, aber sie reichen, um das Grandiose der Figur zu vermitteln.
Denn vermutlich sind eben diese Rollen der Grund, weshalb Snoopy mehr noch als Charlie Brown den Lesern im Gedächtnis geblieben ist. Alle übrigen Figuren waren und blieben stets den ihnen einmal gegebenen Rollen verhaftet: Brown als ewiger Verlierer, Linus mit seiner Schmusedecke, Lucy und ihre altklugen Ratschläge. Vor dieser Kulisse der Vormoderne, in der ein Sohn eines Friseurs tatsächlich nicht mehr war als ein Sohn eines Friseurs (so wie Charles Schulz einer war und Charlie Brown auch), glänzte Snoopys Wille, auf immer andere Weisen er selbst zu sein, um so mehr. So stark, dass sie sogar auf die anderen Figuren abzufärben begann. Etwa wenn Snoopy die übrigen Charaktere tatsächlich auf seinem eingebildeten Flugzeug zu einem Rundflug mitnimmt oder wenn Charlie Brown seinen Hund tatsächlich anredet, als wäre der das Flieger-Ass aus dem ersten Weltkrieg. Snoopy definierte sich selbst und damit auch die Realität seiner Umgebung.
Der unveränderliche Kontrast, vor dem erst Snoopy so auffällig scheint (das in Ritualen wie dem vergeblichen Football-Treten Charlie Browns erstarrte Leben der „Peanuts“-Gang), fehlt in diesem Band leider fast zur Gänze. Infolge dessen hängen viele der Episoden, von Schulz in oft über Wochen gehenden längeren Geschichten entwickelt, etwas in der Luft oder wirken gar wie Fragmente. Einen Snoopy freilich kann das nicht erschüttern - in der Luft kennt sich das Flieger-Ass schliesslich aus.
Charles M. Schulz:
Snoopy, der Hund mit
den 1000 Gesichtern
Carlsen Comics 2008
360 S.; € 19,90
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