Vom Stellenwert des Künstlers
im dekonstruierten Medium
Art Spiegelman – Breakdowns:
Portrait des Künstlers als junger %@*!
In den 1970er Jahren, an deren Ende Spiegelmans damaliges Werkkompendium erstmals erschien, war die Welt natürlich nicht in Ordnung. Allenfalls die Comicproduktion gestaltete sich, vor allem im amerikanischen Raum, überschaubarer. In Frankreich war der Comic als opulente Buchausgabe längst etabliert, und auch Formexperimente in Magazinen wie Pilote und später vor allem in Métal Hurlant und À Suivre loteten die vermeintlichen Grenzen der Gattung redlich aus. In Amerika zuckte derweil in letzten Zügen der mit Blick auf die Zahl seiner Vertreter ungemein vielfältige, mit Blick auf die Vielfalt der dargebotenen Inhalte allerdings auch durchaus einfältige Underground, der komplementär Themen wie Sex, Drogen, Gewalt und Politik dank neuer Vertriebswege unbehelligt von Zensurrestriktionen ins Feld brachte, auch wenn oftmals die Provokation und der Tabubruch Anstoß fürs Stiftschwingen waren. Spiegelman befand sich exakt an der Schnittstelle beider Entwicklungen, und Breakdowns ist ein, wenn auch bereinigtes (denn die Auswahl der ausnahmslos in diversen Fanzines und Magazinen vorveröffentlichten Arbeiten traf der Künstler selbst), beredtes Zeugnis dieses Aufbruchs im Aufbruch.
Was dereinst hermetisch, sperrig und vielleicht sogar elitär erscheinen mochte, zeitigt sich heute wesentlich zugänglicher (dass für eine Neuauflage des von Klaus Theweleit und Martin Langbein verfassten, umfangreichen und nach wie vor lesenswerten Beihefts der 1981 publizierten deutschen Erstausgabe im Stroemfeld-Verlag nunmehr bei Fischer keine Notwendigkeit mehr bestand, spricht diesbezüglich vielleicht Bände). Das liegt nicht bloß daran, dass Spiegelmans Werk für den Comicbereich in fast schon beispielloser Form akademisch und feuilletonistisch breitenwirksam erschlossen ist, sondern auch an der eigens von ihm erweiterten Edition, die nun mit einem gezeichnetem Vor- und einem geschriebenen Nachwort versehen wurde. Was damals einer regelrechten Anmaßung glich – nämlich eine in Aufmachung dem Kunstband vergleichbare Werkschau zu bieten, und dabei als relativ unbeachteter Autor noch die Chuzpe zu besitzen, dass noch verfemte Metier und die eigene Person in den Status der Kunst und des Künstlers zu hieven -, muss heute nicht mehr wirklich kommuniziert werden (und das gilt natürlich nicht erst, seitdem der Comic, zumindest in deutschen Gefilden, kurzfristig zur habituellen Statussteigerung in ,graphic novel‘ umgetauft wurde). Vor- und Nachwort rahmen also die Breakdowns-Geschichten und fügen sie in einen erzählerischen und formspielerischen Kontext, der nun vom Künstler selbst für die Leserschaft erschlossen wird. Durch diese Erweiterung jedoch erlangt das Frühwerk gleichzeitig die Aura eines Spätwerks.
Denn das Ergebnis eint nun die zentralen Themen und Methoden Spiegelmans zu einem Gesamtentwurf: die Dekonstruktion des Mediums, besonders die Komplementarität von Form und Inhalt und das Aufbrechen der narratologischen Grenzen des Mediums, die Autobiographie und die Suche nach dem Stellenwert des Künstlers im eigenen Werk. In den Breakdowns-Erzählungen selbst etwa findet sich die erste dreiseitige Blaupause zu Maus, eingebettet in philosophischen Abhandlungen über den Witz und der Frage nach seiner comicspezifischen Umsetzbarkeit, und formalästhetischen Versuchen die Linearität von Zeit im Comic zu brechen, und gleichermaßen zu dehnen. Die Kurzgeschichte „Gefangener auf dem Höllenplaneten“ verbindet die Erzähltechnik des Comic mit expressionistischen Ausdrucksmitteln: Was eine sequentielle Lesart einfordert, lädt aufgrund der graphischen Opulenz der holzschnittartigen Zeichnungen beständig zum Goutieren ein, wohlgemerkt bei einer Geschichte, die den Selbstmord der eigenen Mutter behandelt (auch in Maus wird dieses Werk nochmals kontextual neu eingebunden werden). Wesentlich zugänglicher gestaltet sich da das 19-seitige Vorwort, in dem Spiegelman elliptisch und in relativ einheitlicher Seitengestaltung in erster Linie seinen eigenen Werdegang, dann aber auch eine (analytische) Reminiszenz an den Comic präsentiert. Dabei sind die einzelnen Episoden im jeweils populären Stil ihrer Zeit gezeichnet. So wandelt sich das Faszinosum einer Gebrauchsform des jungen Spiegelman zum ikonographischen, comicmedialen Setzkasten des arrivierten Künstlers. Ein Konzentrat dieser unterschiedlichen Methoden befindet sich als sechs stumme Panels umfassende Synopsis auf der letzten Seite des Buchs. Dort sehen wir Spiegelman in verschiedenen Zeitperioden die Welt erkunden – von klein auf bis zum bitteren Ende. Verbindendes Element der Zeichnungen ist ein den Tim & Struppi-Comics entlehnter Kringel, der für jeden Zeitraum eine andere Bedeutung evoziert, sich dem Entwicklungsstadium der Künstleridentität angleicht (und somit auch die besondere Relevanz und Vielgestaltigkeit der Zeichensprache im Comic illustriert): als Zeichen der Neugier des Kleinkindes zunächst über dem Kopf eines krabbelnden Babys platziert, findet er sich auf dem T-Shirt des jungen, später dem Comic des lesenden Spiegelman, wandelt sich zur Bewegungslinie des rauchenden und dann auf einer Bananenschale ausrutschenden Autors, um im letzten Panel seinen Tod zu symbolisieren. Das Covermotiv enstpricht dem fünften Panel, mit dem Unterschied, das hier nicht eine Bananenschale, sondern die Erstauflage des vorliegenden Buchs für den tödlichen Sturz verantwortlich ist. Hier sind die zentralen Motive wieder vereint: Der Künstler selbst zerbricht an seinem Werk in jenem Medium, dessen Form er beständig voranzutreiben, wie auch seiner Historie zu gedenken versucht.
Ob sich der oben angesprochene Eindruck eines Spätwerks tatsächlich bestätigen sollte, kann nun jeder selbst herausfinden. Denn mit Breakdowns sind die wichtigsten Werke aus Spiegelmans Œuvre nun auch im deutschsprachigen Raum wieder erhältlich.
Art Spiegelmann: Breakdowns.
Portrait des Künstlers als junger %@*!
S. Fischer Verlag
84 S.; € 29,90
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