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11. Juni 2009
Sven Jachmann
für satt.org

Cosey: Auf der Suche nach Peter Pan

Der Berg raubt

Cosey – Auf der Suche nach Peter Pan

Für den rastlosen Westerner ist die Suche gleichbedeutend mit der kolonialen Erschließung von Heimat. Deswegen ist in den klügsten Panoramaufnahmen von Monument Valley auch stets das insgeheime Wissen darüber verborgen, dass diese äußere Kolonialisierung nur mit einer inneren zu haben ist. Die dümmsten Aufnahmen hingegen wollen von dieser gegenseitigen Abhängigkeit nichts wissen. Sie unterwerfen die äußere Welt zur gestaltbaren Ressource. Sujet und Erzählmethode werden eins und der künstlerische Blick wird selbst ein kolonialistischer.

Ein Alpenwestern?

„Auf der Suche nach Peter Pan“, das erste, 1984 publizierte Comicepos vom Schweizer Künstler Bernard Cosandey, kurz Cosey, besitzt in der Tat eine klassische Western-Exposition: In stummen Bildern sehen wir darin einen uniformierten Kutscher, der seine Pferde stoisch durch eine riesige Felsenlandschaft, den Walliser Alpen, lenkt. Der schnelle Wechsel aus Totalen, Halbtotalen und extremen Totalen indiziert nicht nur Coseys Gespür für ein sehr filmisches und perspektivgesteuertes Erzählen, sondern auch die Anwesenheit eines Beobachters. Und tatsächlich schiebt sich ein kreisförmiges Panel in die sonst horizontal angeordnete Bilderstruktur: Ein bärtiger Mann mit tief heruntergezogenem Hut beobachtet das Treiben, bis er im rechten Augenblick unbemerkt auf die Postkutsche springt. Hier endet bereits die Westernanalogie, handelt es sich doch nicht um einen Überfall, sondern um die Flucht des Geldfälschers Baptistin, der in den Alpengebirgen regelmäßig Zuflucht vor den Dorfgendarmen sucht. In dieser Sequenz zeigt Cosey aber bereits, dass der Naturraum erzählerisch eine exponierte Stellung einnehmen wird. Er illustriert und verdoppelt nämlich die Sinnsuche des Schriftstellers Melvin Woodsworth, der eigentlichen Hauptfigur, der sich in dem kleinen Bergdorf Ardolaz zurückgezogen hat, um seine Schreibblockade zu bekämpfen. So lautet zumindest seine Selbsterklärung. Tatsächlich verbindet ihn mit diesem Ort auch der Tod seines Bruders und die daraus resultierende Sinnsuche offenbart sich eher als tastende Introspektion, als energische Suche nach irgendeinem Glück und zu guter Letzt auch waghalsige Konfrontation mit der Natur, die dieses Glück verwährt und zugleich beflügelt.

Cosey: Auf der Suche nach Peter Pan

Eine Schneeodyssee

Der eigentliche Clou der Geschichte besteht nun darin, dass Melvins Motivationen relativ nebulös bleiben und statt ihrer Erklärungen die Natur als Substitut seine Psyche im wahrsten Sinne bebildert. Das verleiht den Zeichnungen jene ehrfurchteinflößende Opulenz, die sie beidseitig lesen lässt: als Heimatikone und als zerstörerischen Seelenhaushalt, als psychologischer Ausdruck. Zu tollkühn, zu arglos, eben auch zu passiv begibt sich Melvin ins Eis, schlägt alle Warnungen in den Wind und bleibt selbst nach der Evakuierung des Dorfes aufgrund der unentwegten Lawinengefahr heimlich wie trotzig zurück – und liest Dickens und wartet. Damit wird er zum fatalistischen Abenteurer, seine Odyssee ein destruktives Spiel mit den Naturgewalten, ganz sicher aber kein martialisches Kräftemessen, an dessen Ende die Bewältigung und mit ihr die Restauration von Heimat steht. Im Prinzip erzählt Cosey die traurige und eben auch unheimliche Geschichte eines Mannes, der auszog, sein Ich in der Schönheit des Abweisenden zu finden – und dabei dessen Destruktivität unterschätzt. Dass Cosey ihm dafür das wohl kitschigste Happyend spendiert, welches überhaupt vorstellbar ist, lässt das Resultat auf eine sehr seltsame Art und Weise romantisch erscheinen.

Bleibt noch zu erwähnen, dass Cross Cult auch mit dieser Neu-Edition sein hohes Niveau beibehält: Zu den im Vergleich zur alten Carlsen-Ausgabe nun wesentlich satteren Farben gesellen sich noch ein Vorwort über das Wallis, eine Werkbetrachtung des Autors von Reddition-Mitarbeiter Volker Hamann und ein Interview mit Cosey himself.

Cosey: Auf der Suche nach Peter Pan


Cosey: Auf der Suche nach Peter Pan
Cross Cult 2009, 152 Seiten, 25 Euro
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