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5. Juni 2009
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Felix Giesa
für satt.org |
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Die einfachen Dinge im LebenEs gibt ein „Peanuts“-Poster, auf dem Snoopy und Woodstock dabei zu beobachten sind, wie sie in hohem Bogen in einen Haufen Laub springen. „We enjoy the simple things in life“ steht darüber. Jiro Taniguchis „Spazierender Mann“ ist in den Weiten der Comicwelt sicherlich ein Seelenverwandter der beiden Lebenskünstler von Charles M. Schulz’. In 18 kurzen Episoden begleiten wir einen Mann mittleren Alters auf seinen Streifzügen durch seinen japanischen Wohnort. Wenig, eigentlich fast gar nicht erfahren wir dabei über ihn. Er hat eine Frau, mit der er soeben in ein eigenes Haus gezogen ist, und anscheinend geht er auch einer geregelten Arbeit nach. Ansonsten scheint er viel Zeit zu haben, um ausgedehnte Spaziergänge zu machen. Begleitet wird er dabei gelegentlich von seinem Hund, den die Vormieter zurückgelassen haben. Es ist zwar kein Beagle, aber auch er strahlt eine gewisse Weltgelassenheit aus. Doch obwohl wir eigentlich nichts über den Mann erfahren und in den kurzen Geschichten nicht viel passiert, lernen wir den Mann „auf eine Weise kennen, die intensiver ist als jegliche andere Bekanntschaft, die man mit literarischen oder auch realen Personen machen kann“, wie Andreas Platthaus in seinem Nachwort so schön ausführt. Für Platthaus liegt diese Erfahrung darin, dass man dem Geschehen manches Mal aus den Augen des spazierenden Mannes folgen kann. Und die Technik des Wechsels zwischen Betrachter- und Erzählerblick, die Taniguchi allen Anschein nach erst langsam für sich entdeckt, erst mit ihr spielt und sie dann pointiert einsetzt, gehört zur erzählerischen Meisterschaft dieses Manga. Am überzeugendsten eingesetzt sicherlich, wenn die Brille des Mannes von einem Fußball vom Kopf geschossen wird und auf dem Boden zu Bruch geht. Wie er sich die Brille wieder aufsetzt, erkennt der Leser im folgenden Bild die haarfeinen Risse erst gar nicht. Taniguchi spielt hier also nicht nur mit der Blickführung im Comic, er unterwandert auch geschickt die Erwartung seiner Leser. Er wolle seine Landsleute zum Innehalten anregen, zum Pausieren in der Hektik des Alltages, schildert Taniguchi über sein bereits vor 17 Jahren in Japan veröffentlichtes Werk, in einem Gespräch mit Christian Gasser (in der aktuellen Nummer des „Strapazin“ findet sich ein komplettes Interview von Gasser mit Taniguchi, sowie die Episode „Auf dem Baum“). In der Geschichte mit der kaputten Brille, „Verschwommene Landschaft“, folgt dieses Innehalten durch ein doppelseitiges Bild, das so weit von jeglicher Alltagshektik entfernt ist, wie es nur möglich ist. Unser Spaziergänger hat sich entschieden, seine zerbrochene Brille nicht weiter zu tragen, und schweift mit seinem kurzsichtigen Blick über eine Parklandschaft, in der Familien picknicken, Kinder miteinander spielen und der Alltag einfach mal zu Hause geblieben ist. Im Jahr 2003 entstand die letzte, die achtzehnte, Geschichte für das französische Magazin „Bang“. Darin meldet sich der Mann dann auch persönlich zu Wort. Auf einem seiner Spaziergänge entdeckt er einen Fluss und folgt dessen Verlauf. Unter eine Brücke trifft er einen älteren Mann beim Angeln. In einem kurzen Gespräch erklärt dieser, dass er hoffe, gar nichts zu fangen. Er hatte früher genug Stress und wolle es heute lieber ruhig angehen. Auf seinem Weg zurück, sinniert der Spaziergänger vor sich hin: „Was war es, das diesen Ort so friedlich machte? Vielleicht die Luft? Hier am Wasser schien sie einfach anders zu sein ... Die Zeit floss dahin ... So langsam wie der Fluss. Ein kurzes Zwischenspiel im Alltag. Es stimmt ... Wozu sich immer hetzen müssen ...“ Diese kurzen Episoden, die eben so gar nicht alltäglich sind, haben Taniguchi den internationalen Durchbruch verschafft. Dass sie nun auf Deutsch erscheinen, war längst überfällig. Könnte man doch sagen, dass sie die Quintessenz von Taniguchis Manga darstellen. Jiro Taniguchi: Der spazierende Mann Ein bisschen erschreckend wirkt die Welt, so zerstückelt, aber doch auch irgendwie witzig. Dem spazierenden Mann jedenfalls gefällt dieser alltägliche Zufall. Im Wechsel zwischen Figurenblick und Betrachterblick wird der Mann zwischen den Ästen eines Kirschbaumes gerahmt, so dass die Ruhe und Gelassenheit des Baumes sich auf ihn zu übertragen scheinen. |
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