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29. Septemeber 2009
Christopher Pramstaller
für satt.org

  Otsuichi, Hiro Kiyohara: Kizu
Egmont 2009
198 Seiten, s/w
Klappbroschur, € 6,50
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Geteiltes Leid
ist halbes Leid

Das japanische Wort Kizu bedeutet „Wunde“. Das englische Wort Kids wird im japanischen ebenso Kizu ausgesprochen. Kann das Zufall sein? – es wäre ein zu großer. Die Vermutung liegt nahe, dass die Japaner bei der Aussprache des englischen Wortes Kids all die schmerzhaften Phasen und Momente des Heranwachsen gleich mitbedacht haben und sie in der Aussprache des Wortes zum Ausdruck gebracht haben. Denn schmerzhaft sind viele Erinnerungen an das Heranwachsen. Allzu einprägsam der ständige Kampf mit sich selbst und den Mitmenschen während der Jahre der Pubertät. Die ständigen emotionalen Auseinandersetzung mit dem jugendlichen Umfeld, den Eltern und den Lehren. Es ist eine Zeit Drucks der Konformität und nicht zuletzt der steinige Anfang der Suche nach der eigenen Identität.

Otsuichi / Zeichung: Hiro Kiyohara

Mit besonders vielen Wunden ist das Heranwachsen von Keigo und Asato verbunden, den beiden Protagonisten im One-Shot „Kizu“. Beide sind von der Gesellschaft in die Ecke gedrängt, fühlen sich nicht angenommen, um nicht zu sagen wertlos. Ihr zu Hause ist kein Ort wohlbehütender Eltern und heiler Familie. Hier setzt sich lediglich die soziale Isolierung fort, welche sie in ihrem Alltag zu ertragen haben.

Keigos Vater hat seine Alkoholiker-Laufbahn ins Koma gebracht und seine Mutter ist eines Tages vom Einkaufen nicht mehr zurückgekommen. Nun lebt er mit Onkel und Tante in seinem Elternhaus, die jedoch weniger an ihm selbst, sondern vielmehr der kostenlosen Unterkunft interessiert sind. In der Schule wird er auffällig, prügelt sich und kommt schließlich in die Klasse für Problemkinder. Dorthin, wo Kinder kommen, „die irgendeine Behinderung haben oder sich nicht in eine normale Klasse einfügen können.“ Und er findet auf Anhieb Gefallen daran. Denn hier scheint in niemand zu ärgern und aufzuziehen. Er fühlt sich dort akzeptiert, so wie er ist.

In seiner neuen Klasse trifft er auf Asato. Auch Asato lebt nicht mehr bei seinen Eltern. Seine Mutter sitzt im Gefängnis, nachdem sie seinen Vater im Schlaf ermordet und auch auf ihn eingestochen hat. Seitdem spricht er kaum. In sich gekehrt ist er, fühlt sich nutzlos und ungewollt. Doch er und Keigo nähern sich allmählich an. Sie spüren, dass sie von einem ähnlichen Schicksal heimgesucht wurden. Als sich Keigo beim Schnitzen mit einem Messer in den Arm schneidet, machen die beiden eine beeindruckende Entdeckung. Als Asato Keigos Arm berührt, überträgt er die Wunde und den Schmerz auf sich selbst. Denn „geteiltes Leid, ist halbes Leid“. Er will anderen helfen, um nicht mehr überflüssig zu fühlen. So freunden sich die beiden Jungen an und versuchen sich Halt zu geben. Halt, den sie in ihren Familien nicht finden können.

Metaphorisch stehen die körperlichen Wunden in „Kizu“ für die seelischen Schmerzen, welche die Protagonisten zu erleiden haben. Sie wollen ganz normale Jungen sein, bekommen dazu aber keine Chance. Immer wieder werden sie gegängelt und als Außenseiter gebrandmarkt. Für die Gleichaltrigen sind sie anders, da sie keine Eltern haben und die Erwachsenen nehmen sie nicht ernst, da sie die beiden für Kinder halten, die nicht viel zu sagen haben.

Otsuichi / Zeichung: Hiro Kiyohara

So vielversprechend die Anlage der Geschichte aus der Feder des Bestseller-Schreibers Otsuichi („Goth“) auch ist, so schnell driftet sie in fantastisch-metaphysischen Kitsch ab. Schnell wird das erlösergleiche Handauflegen Asatos zum einzigen Element, das die Geschichte voranzutreiben mag – und das ist sichtlich zu wenig. Stets ist die Bemühung zu spüren, eine Atmosphäre aufzubauen, die Identifikation und Mitleiden ermöglicht. Doch ausnahmslos allen Figuren fehlt dazu die nötige Tiefe. Gelingt dies Hiro Kiyohara, der sich für die Mangaumsetzung verantwortlich zeigt, bei den Hauptfiguren Asato und Keigo noch ansatzweise, so bleiben alle Nebenfiguren blass, statisch und leblos. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit ihrer Rolle in der sozialen Benachteiligung und ihrem Hadern mit sich selbst und ihrer Umwelt ist nicht möglich. Viel zu geradlinig und ohne Spannungsbogen verliert sich die Erzählung und endet Nichts sagend.

Die Geschichte Otuichis ist dabei jedoch nicht der einzige Grund. Kiyoharas Strich ist zwar detailgenau und technisch perfekt, die Bilder entbehren jedoch an Eigenleben und Aussage. An einigen Stellen blitzt zwar die persönliche Note des Mangaka auf, größtenteils erschöpfen sich die Darstellungen jedoch in Massenkompatibilität und Stereotypie. Zurück bleibt das Gefühl, nicht zu wissen, was dieser Manga sagen wollte.