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19. Oktober 2009
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Sven Jachmann
für satt.org |
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Aus Kolpor- wird ReportageWollte man der Unverbindlichkeit der Subjektivität das Wort reden, dann besäße Delisles autobiographischer Reisecomic über eine der weltweit repressivsten Militärdiktaturen keine große Relevanz - sofern man denn eine vielschichtige Gesellschaftsanalyse erwartet, wie sie so manche euphorische Kritik in Aussicht stellt. Hinter dieser Einschätzung liegt wohl der Irrglaube an eine ominöse Authentizität des Beobachtens, die sich aus einer ebenfalls recht ominösen Erfahrung speist: Für Guy Delisle bestände sie dann aus einem 14-monatigen Aufenthalt in Birma, wohin es ihn bzw. sein gezeichnetes Pendant als Begleiter seiner Frau während ihres Einsatzes mit der NGO Ärzte ohne Grenzen verschlägt. Authentizität der Erfahrung, das muss gar nicht als medienpraktisches Problem erörtert werden: Der tägliche Blick in die hiesige Presselandschaft genügt, um herauszufinden, dass auch die lebenslange Präsenz in einem Land nicht davor feit, an einer an Autismus grenzenden Beurteilungsfähigkeit dessen politischer Lage zu leiden. Delisle ist weder Reporter, noch teilnehmender Beobachter (und das unterscheidet diesen dritten Band seiner Südostasien-Trilogie am gravierendsten von seinen ebenfalls bei Reprodukt erschienenen Vorgängern „Shenzhen“ und „Pjöngjang“ – dort war er auch als Supervisor in die Produktionsbedingungen einer in Billiglohnländern auslagernden Animationsfilmindustrie involviert), er inszeniert sich stattdessen als Touristen und Vater, der sich staunenden Auges durch ein ihm fremdes Land bewegt und Beobachtungen anstellt, schöne, unschöne, skurrile, groteske. An diese gleicht sich der Tonfall entsprechend an: Amüsement, Entrüstung, Furcht, Trauer, Sachlichkeit, Apathie verlängern und spiegeln die Einblicke in die teils widersprüchlichen Organisationsstrukturen der NGOs, in die absurden Zensurmaßnahmen des Staats, in die problematischen Alltagswehen eines Vaters. Sollte dieser aufzählende Charakter nun missfallen: Er entspricht in etwa Delisles narrativem Programm. Der Zeichenstil erhöht den Eindruck der Subjektivität. Cartoonesk, im besten Sinne Scott McCloud verpflichtet, evoziert er durch lediglich grau variierende Schattierungen, wenige bis geringe Hintergründe und simpel anmutende Figurenzeichnungen die größtmögliche Teilnahme des Lesers und Selbstpositionierung des Autors. Denn als Erzähler bleibt er omnipräsent, will dann aber auch nicht mehr, als seine Eindrücke kommunizierbar zu machen. Die Erzählung selbst bleibt sprunghaft und nur an ihren äußeren Rändern, beim An- und Abflug, chronologisch. So bleibt sie im Anekdotenhaften und genau das mag gelegentlich auch etwas langweilen, Delisle entgeht dabei jedoch auch der Gefahr, Wahrheit zu implementieren, wo lediglich schlaues Beobachten Not tut, und dieses Beobachten funktioniert dann am besten, wenn es sich und dem Leser die eigene Position ins Gedächtnis ruft. Das tut Delisle mit jedem Panel. Wollte man das Werk also zur Comicreportage deklarieren, wie es in der Kritik immer wieder geschieht, dann wohl deshalb, weil es als ihr Antipode die bessere Comicreportage darstellt. |
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