|
Reddition
Zeitschrift für Graphische Literatur
Ausgabe 49/50
100 Seiten, € 10,-
» reddition
|
Der Comic, dieser subversive Bastard,
er will sich einfach nicht zuordnen lassen
Was sind Comics? Seitdem sich (pseudo-)wissenschaftlich mit dem Comic auseinandergesetzt wird, wird auch versucht, ihn zu definieren und zu klassifizieren. Lässt der Definierungswahn allmählich etwas nach, anscheinend hat man eingesehen, dass es dem Gegenstand wenig zuträglich ist, ihn in ein Korsett gießen zu wollen, wird hingegen weiterhin versucht, den Comic dieser oder jener Disziplin einzuverleiben. Ganz selten von kunsthistorischer Seite, was verwundern mag, wenn man sich besieht, dass ein Großteil der zeitgenössischen Comiczeichner Abschlüsse an Kunsthochschulen gemacht haben. Öfters versucht man ihn von Seiten der Filmwissenschaften analytisch auf die Pelle zu rücken. Das mag aus offensichtlichen Gründen sinnvoll erscheinen, aber aus ebenso offensichtlichen Gründen eben auch nicht. Zumal es eigentümlich erscheinen mag, bei zwei gleichalten Erzählformen, die eine der anderen vorzuziehen. Doch am häufigsten wird versucht, den Comic als Literatur zu klassifizieren. Vehement, und oftmals fanatisch, wird behauptet, Comics seien „keine Kunst“, sondern Literatur. Graphische Literatur, immerhin.
In diesen Grabenkampf, der einem beinahe schon ideologisch anmuten könnte, mischt sich nun die altehrwürdige und renommierteste deutschsprachige Zeitschrift für Comics ein, die „Reddition“. In der hundert Seiten dicken Jubiläums-Doppelnummer 49/ 50 präsentiert Herausgeber Volker Hamann ein Dossier zum Thema „Comics & Literatur“. Unter den drei Gesichtspunkten „Autoren“, „Figuren und Werke“ und „Aufbau und Form“ wird versucht, sich den vielschichtigen Beziehungen zwischen Comics und Literatur zu nähern. Erfreulich ist, dass eben nicht erneut versucht wird, den Comic als Literatur zu noblieren, sondern es wird vielmehr angestrebt, narrative Schnittmengen aufzuzeigen und zu analysieren. Und so vielzählig diese Verstrickungen sind, so unterschiedlich sind auch die versammelten Ansätze.
Da wäre einleitend, und den drei Gesichtspunkten noch vorangestellt, eine Untersuchung von „Literarischen Techniken in der Sprache des Comics“ von Hannes Grote. Grote versucht die drei klassischen Gattungen der Literatur auf den Comic anzuwenden bzw. Spuren derselbigen im Comic nachzuzeichnen. So erkennt er etwa in Panelsequenzen von Frank Millers „The Dark Knight Returns“ oder Alberto Breccias „The Tell Tale Heart“ lyrische Aspekte einer Wiederholung. Aus der Epik entleiht er den Begriff des Erzählers und führt diesen gleich mit dem Zeichner einer Comicgeschichte. Für die Dramatik schlussendlich erkennt er in dem Panelausschnitt eine Allegorie zur Theaterbühne, in den Dialogen der Figuren ähnliche Handlungsmuster wie im Theater. So wünschenswert eine lyrische oder besser ästhetisch-sinnliche Betrachtung von Comics wäre, greift Grote hier doch zu kurz. Vielmehr dienen die Wiederholungen in Millers oder Breccias Comics einer Rhythmisierung, einer Sichtbarmachung des Tempos auf der Comicseite. Die Gleichführung eines Erzählers in der Epik mit dem Zeichner im Comic ist gleichwohl ebenfalls als schwierig aufzufassen. Grote stellt zwar richtig fest, dass es sich bei beiden nur um eine jeweils implizite Instanz handeln könne, dennoch ist deren Gleichsetzung faktisch falsch und auch nicht sinnvoll. Auch der Comiczeichner ist ja letztlich Erzähler, er nutzt eben nur die Sprache der Comics als sein Alphabet. Somit müssen graphische Spielereien wie das Eingreifen des Zeichners in das Panelformat oder ähnliches auch gleichwertig zum Spiel des literarischen Autors mit der Sprache betrachtet werden. Mit der Erzählung als solche haben sie jedoch nichts zu schaffen. So interessant Grotes Beobachtungen auch sein mögen, sind sie nicht unproblematisch. Zum einen ist es zumindest fraglich, drei klassische Gattungen auf eine in ihrer Erscheinung bisher unklar erfassten Erzählform anzuwenden. Zum anderen erschöpfen sich Grotes Feststellung in Beschreibungen, ein analytischer Mehrwert ist nicht zu erkennen.
Die weiteren Texte der Ausgabe spannen sich, wie man es von Sammelbänden kennt, in einem weiten qualitativen Feld. So findet sich etwa von Thomas Ballhausen eine Untersuchung der Begehrungskonzepte in Harlan Ellison „A Boy and His Dog“ (1969) und ihren jeweiligen Transformationen für den Comic (durch Richard Corben 1987) und für den Film (durch L. Q. Jones 1975). Ballhausens Ausführungen beschränken sich zwar auf diesen Vergleich und einen Ausblick auf Anders Nilsens „Dogs & Water“ (2007), der wegen seiner ähnlich gelagerten Figurenkonstellation gut ins Bild passt, sind dafür jedoch sehr genau. Dass nicht alle Texte dieses Niveau halten können, zeigt sich direkt im Folgenden: Bernd Weckwerts „Shakespeare potpourri“ ist eine zehnseitige Aneinanderreihung von Comics, in denen irgendwo einmal ein Shakespeare-Zitat untergebracht wurde. Die eher schwache Ausführung wird weder dem Ansatz einer Untersuchung von Shakespeares Einfluss auf das Werk einzelner Comicautoren gerecht, noch dem Comic als solchen. Dabei finden sich bereits ausführliche solcher Versuche, etwa über den Einfluss von „A Midsummers Night’s Dream“ auf Gaiman’s „The Sandman“. Weiter Aufsätze stammen von den üblichen Verdächtige, wie etwa Andreas Platthaus, Ole Frahm oder Klaus Schikowski, aber auch von einigen weniger bekannten Schreibern.
Zusätzlich gibt es zwei Interviews, wobei das umfassendere der beiden (immerhin zehn Seiten) aufgeteilt wurde; vermutlich, um den Charakter zweier Ausgaben zu unterstreichen. Ole Frahm und Volker Hamann haben hier Comicschaffende wie Martin tom Dieck oder Isabel Kreitz, die alle Literatur in Comicform adaptiert haben, nach ihrem Befinden in Sachen Comic und Literatur befragt. Leider stößt diese Art der Sinnfindung schnell an ihre Grenzen und verkommt zu einem beliebigen Geplänkel über persönliche Ansichten in Sachen Comic und Literatur. Ein eingreifendes Lektorat hätte man sich hier allemal gewünscht.
Ein bekanntes Problem in der Literatur über Comics ist die Art und Weise der visuellen Begleitung der Ausführungen. Ist die „Reddition“ gemeinhin für ihr gelungenes Layout bekannt, so wurde in der vorliegenden Nummer zu viel des guten probiert. Sechs und mehr Abbildungen auf einer Doppelseite grenzen an einen optischen Overkill und sind auch allein von ihren Größenverhältnissen her teilweise wenig hilfreich. Weniger wäre hier sprichwörtlich mehr gewesen. Jedoch verrät bereits das Umschlagbild das zugrundeliegende Problem: man wollte offensichtlich zu viel und alles auf einmal. So ist die Jubiläumsnummer zwar keine Trauernummer geworden, aber sich selbst haben die Macher damit wahrlich nicht zu Ruhme gereicht. So bleibt zu hoffen, dass weitere fünfzig Nummern folgen, auf dass die Nummer 100 gebührender gefeiert wird.