Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen





13. März 2010
Sven Jachmann
für satt.org

  Robert Venditti & Brett Weldele – The Surrogates
Robert Venditti,
Brett Weldele:
The Surrogates

Aus dem amerikanischen Englisch
von Christian Langhagen
Cross Cult 2009, 208 Seiten, 26 Euro
» Cross Cult


Robert Venditti
& Brett Weldele

The Surrogates

Besonders fesselnd an diesem dystopischen Noir-Thriller ist die grundsätzliche Idee: Im Jahre 2054 haben die Menschen den Willen, Subjekt zu werden, endgültig ad acta gelegt und begegnen sich fast ausnahmslos in Gestalt von Maschinen, die vollkommen menschlich aussehen und von ihren Besitzern bequem, vor allem aber gefahrenlos von zuhause aus gelenkt werden können – so genannte Surrogate. Das Gefühl, wirklich jede Regung physisch gleichwertig zu spüren, ist dabei inbegriffen. (Nicht nur) der berufliche Alltag wird so stellvertretend delegiert, das Private ist also endgültig politisch, ist technologisch. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Sozietät: Kein Mensch besitzt mehr einen Anlass, die Straße zu betreten, der Sex wird mittels der Maschinen absolviert (sie sind schöner, altern nicht und haben keine Krankheiten), man liegt daheim und verfettet, die wenigen Polizisten wären zu einem echten Einsatz ohne ihr Duplikat kaum mehr fähig. Aber: Das Leben ist gefahrlos, solange für eine medialisierte Interaktion gesorgt ist.

Trotzdem hat sich der Klassenantagonismus nicht aufgelöst. Er wird stattdessen medial fortgesetzt: Denn die Surrogaten existieren in unterschiedlichen Größen, Fähigkeiten und Schönheitsvarianten, die sich selbstverständlich am Preis bemessen. Wer arm ist, bleibt es auch und wird seiner Einsamkeit einzig durch Verschuldung entgehen können. Dies wäre der ideale Nährboden für das Spiel mit der Neujustierung von Identitäts- und Realitätskonzepten, wie es beispielsweise David Cronenberg in „eXistenZ“ durchexerziert. Denn deren Auslöschung scheint zumindest stilistisch bereits eingetreten zu sein: ohne ihre schmutzigen, skizzierten Umrisse würden die Figuren mit ihrer Umgebung bis zur Unkenntlichkeit verschmelzen. Die Farben dominieren die Sequenzen in einem gleichhaltenden Ton, sodass die Transparenz der Akteure buchstäblich zur Ankündigung ihres vergeblichen Kampfes um ihre identitäre Selbstbehauptung (oder zum Zeichen ihrer Kapitulation) wird.

Und dann kommt der Konflikt. Und mit ihm der Noir-Thriller-Anteil, der das Gerüst zum Nachteil oszillieren lässt. Der personifiziert sich in Harvey Greer, der aufgrund seines neusten Falls in den Widerstreit mit seiner Funktion als Repräsentant der Ordnung und den idealistischen Motivationen des unbekannten Täters gerät. Denn Surrogate werden zerstört, offensichtlich mit dem Ziel, dieses Leben zweiter Ordnung wieder rückgängig zu machen. Für Harvey führt dieser Konflikt schließlich dazu, die Operation, nach einer für seinen Surrogaten „tödlichen“ ersten Begegnung mit dem Technoterroristen, trotz körperlicher Gebrechen fürderhin ganz real life fortzusetzen. Die Ermittlung (oder vielmehr die Kongruenz der Absichten) führt zu der Binnenstruktur einer religiös-militanten Sekte, die, unter der Führung des asketisch auftretenden Propheten Zaire Powell III, einem dem Täter vergleichbaren Credo gehorcht. Aber so simpel ist die Sachlage dann doch nicht.

Betulich legt sich nun jedoch das whodunnit-Motiv in die Simulation einer entfremdeten Welt und die gesellschaftliche Figuration, der sie eigentlich entspringt, wird zur Staffage degradiert. Aus der dystopischen Simulation wird schlicht ein zukunftsskeptisches Setting, das den gebrochenen Heroismus in Gestalt Harveys trägt. Von nun an offenbart sich der Identitätskonflikt vor allem als bedrohlich-religiöser Schwall der Sekten-Apokalyptiker, für die Sinnsuche Harveys lässt die Tätersuche hingegen keinen Raum. Der Identitätskonflikt wird stattdessen in fiktive Textsorten verlagert, Zeitungsartikel und Beiträge aus Wissenschaftsjournals, in denen die stufenweise Umsetzung der Surrogatentechnik rekapituliert wird. Das führt dann zwar in der Summe zu einem gehobenen Pessimismus, aber nicht zu der dystopischen Gesellschaftskritik, die der Ansatz für sich zunächst beansprucht. Leider ist es dieser Pessimismus, der, so viel sei verraten, aus der nun anlaufenden Verfilmung ebenfalls getilgt wurde.