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13. März 2010
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Christopher Pramstaller
für satt.org |
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Die Wende – Drei Comics zum Jubiläum
Historisch bedeutsame Jahrestage sind für Verlage geradezu ein Leckerbissen. Als Herausgeber kann man sich fast sicher sein, dass Kulturredakteure und Feuilletons tagesaktuell zum Erscheinungsdatum über die Neuerscheinungen berichten werden. Diese wiederum sind glücklich ein passendes Thema für den Tag gefunden zu haben – eine klassische win-win-Situation also. Zum 20. Jahrestag des Mauerfalls gab es nun ganz bestimmt kein Unterangebot an Titeln, die sich mit Teilung, Diktatur, Mauerfall und Wiedervereinigung auseinandergesetzt haben. Doch die drei Comics („Drüben!“ von Simon Schwartz, „Da war mal was ...“ von Flix, und „Grenzgebiete“ von Claire Lenkova), die rund um den 9. November erschienen sind, haben es dennoch recht oft in die Printausgaben geschafft – meist gleich im Dreierpack (und so auch hier). Ein wirklicher Knaller ist leider nicht dabei, soviel sei schon zu Anfang gesagt. Dabei hätten allein schon die vielschichtigen Ereignisse der Wendezeit genug actionreichen Stoff hergegeben, um einen intensiven und tiefgründigen Comic zu schaffen, der Zeitgeschichte mit Unterhaltung zu verbinden weiß. Dass es nicht dazu gekommen ist, mag mitunter daran liegen, dass Schwartz, Flix und Lenkova allesamt aus der jungen Riege der deutschen ComiczeicherInnen stammen, und jeweils mindestens die Hälfte ihres Lebens im geeinten Land verbracht haben. Keiner von ihnen war wirklich dabei, als die Mauer fiel. Alle haben das sozialistische Leben im Nachhinein reflektiert und durch Erzählungen erlebt – der älteste der drei Zeichner, Flix, war 1989 gerade 13 Jahre alt geworden. Doch Stärken und Schwächen sollen nicht daran gemessen werden, dass es nicht um das tatsächliche Ereignis geht, dessen Jubiläum gefeiert wurde. 40 Jahre Teilung geben schließlich genug andere Erzählungen her, um spannende Comics zu zeichnen. Was alle drei Comics nämlich vereint, ist, dass sie sich gerade nicht den Ereignissen von 1989 widmen, sondern sich aus ganz unterschiedlichen Perspektiven mit Lebensentwürfen und Erfahrungen in der DDR auseinandersetzen. Der eindeutig überzeugendste der drei Titel ist „drüben!“ von Simon Schwartz. Als Diplomarbeit an der HAW in Hamburg entstanden, setzt er sich darin in sehr persönlicher Art mit der Geschichte seiner Eltern in der DDR auseinander. Zunächst träumen diese noch von einer Karriere im SED-Staat, wollen an die Hochschule gehen und mithelfen, die sozialistische Idee zu stärken. Bald jedoch merken sie, dass Überwachung und Bespitzelung ihre eigene Freiheit zunehmend einschränken. Unglücklich über ihre Situation, stellen sie schließlich einen Ausreiseantrag, der 1984 bewilligt wird. Mit starken und plakativen Bildern erzählt Simon Schwartz die Geschichte seiner Eltern und damit auch seiner eigenen Wurzeln. Immer wieder spielt er mit den Zeitebenen und lässt so eine vielschichtige und äußerst persönliche Erzählung entstehen, spannend aufgebaut und flüssig zu lesen. Ganz anders hingegen zeigt sich „Da war mal was: Erinnerungen an hier und drüben“ von Flix, der mit seinen mehr oder weniger autobiographischen Comics (unter anderem „held“ und „sag was“) schon vor geraumer Zeit große Publikumserfolge feiern konnte. In „Da war mal was ...“ versammeln sich Comicstrips, die bis zum Sommer im Berliner „Tagesspiegel“ erschienen sind. Kurz, knapp und mit Witz auf die Pointe hingearbeitet, lautet das Grundschema. So lässt er Freunde, Bekannte und Fremde von ihren ganz persönlichen Erinnerungen in und mit der DDR erzählen. Flix verarbeitet diese zu dreiseitigen Strips, die zwar meist ein Schmunzeln auf die Lippen bringen, mehr aber leider auch nicht. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, Zeitungsstrips seien nur auf tumbe Unterhaltung angelegt. Die Strips sind schlicht zu kurz, um wirklich in die Tiefe gehen zu können – doch das scheint auch gar nicht das eigentliche Anliegen von Flix gewesen zu sein. Handwerklich ist bei Flix wie immer alles richtig. Doch in den engen formalen Grenzen, konnte er anscheinend nicht mehr ausrichten, als im Endprodukt nun nachzulesen ist. Beim Publikum kommt seine Stripsammlung jedoch ganz ohne Frage sehr gut an. Nach nur ein paar Monaten musste mittlerweile schon die zweite Auflage gedruckt werden und bescherte Flix seinen bisher größten Verkaufserfolg (mittlerweile gibt es den Comic auch auf polnisch) – history sells! Claire Lenkovas „Grenzgebiete – Eine Kindheit zwischen Ost und West“ macht schon durch die Ankündigung des Genres klar, dass es hier nicht darum geht, formale und stilitische Experimente einzugehen, handelt es sich dabei nämlich um einen Sachcomic. Auch sie verarbeitet, wie Simon Schwartz, eigene Erinnerungen und die ihrer Familie in der DDR (kurz nach dem Mauerfall zog sie mit ihren Eltern von Thüringen nach Bayern), doch entsteht durch den didaktischen Ansatz, verschiedene Facetten des Alltags in der DDR anhand zwei- bis vierseitiger Kurzepisoden darzustellen, eine sehr brüchige Geschichte. Was gar noch etwas störender ins Auge fällt, als die erzählerischen Defizite, sind die lexikalischen Erklärungen, die sich, passend zu den Geschichten, an den unteren Enden der Seiten finden. Hier werden in wenigen Sätzen VEB, NVA, MfS, Plumpsklo oder andere vermeintlich DDR-typische Eigenarten erklärt. Lesefluss oder gar Lesevergnügen mag in „Grenzgebiete“ daher leider kaum aufkommen, so schön und einladend die kolorierten Bleistiftzeichnungen Lenkovas auch sind. Zu viel didaktisches Ansinnen hat hier eine schöne Idee zunichte gemacht. So wird die Didaktisierung schnell zum Nervtöter. Durchwachsen – anders kann das Fazit kaum ausfallen. Zwar ist keiner der Comics komplett danebengegangen, doch überzeugen kann auch nur Simon Schwartz‘ „drüben!“. Was auffällt, ist die Unterschiedlichkeit der Ansätze, mit denen die drei jungen Zeichner Zeitgeschichte bearbeiten. Alle drei erscheinen sinnvoll und mit viel Potential ausgestattet, weder muss Geschichte immer ernst dargestellt werden, noch spricht etwas gegen die didaktische Aufarbeitung. Woran es eher hapert, ist die formale und erzählerische Umsetzung. Comics zur deutschen Geschichte wurden von einheimischen Zeichnern bisher kaum bearbeitet. Sehr verwunderlich eigentlich, wenn man bedenkt, wie intensiv sich einige wirkliche Könner des Genres schon sehr früh damit beschäftigt haben. Art Spiegelmanns „Maus“ zum Beispiel sorgte für einen unvergleichlichen Schub der Comic-Kultur in den USA und Europa. Und auch in Japan sorgte ein Kapitel deutscher Geschichte erstmals dafür, dass Mangas Einzug in die Belletristik-Abteilung der Buchhandlungen fanden. Osamu Tezukas „Adolf ni tsugu“ (dt. etwa Mitteilung an Adolf) von 1983, wurde schon bei der Veröffentlichung nicht als gewöhnlicher Manga betrachtet. Ereignisse aus der deutschen Geschichte, die es ohne Frage wert sind, in Bildern erzählt zu werden gibt es genug. Eines davon ist im 20jährigen Jubiläum des deutsch-deutschen Vereinigungstrubel einmal mehr schlichtweg untergegangen und übergangen worden. Die Ironie der Geschichte will es nicht anders, dass es ebenfalls auf den 9. November fällt – es ist die Pogromnacht 1939. Sich dieses Stoffes anzunehmen und ihn behutsam in Bildern umzusetzen – daran hat sich leider noch niemand gewagt. Dass daraus ein Erfolg werden würde, kann kaum zur Frage stehen. Das haben die drei Wende-Comics eindeutig gezeigt. |
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