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2. Juli 2010
Christopher Pramstaller
für satt.org

  Florent Ruppert und Jérôme Mulot: Affentheater
Florent Ruppert
und Jérôme Mulot:
Affentheater

Aus dem Französischen
von Martin Budde
Edition Moderne 2009
112 Seiten, 16,80 Euro
» Edition Moderne
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Florent Ruppert und Jérôme Mulot: Affentheater
Florent Ruppert und Jerome Mulot sind die jungen Wilden des französischen Autorencomics. Ihre Protagonisten in „Affentheater“ sehen ihnen allzu ähnlich.


Sadomaso und Sodomie

Humor ist für den Comic eine janusköpfige Angelegenheit. Bildwitz, Funny und Cartoon – kaum etwas hat mehr zur Popularität von Bildergeschichten beigetragen, als das heitere Amüsement. Schon dem Wort „Comic“ ist das humoristische Moment unwiderlegbar eingeschrieben. Gleichzeitig ist Humor jenes Element, das der Anerkennung des Comics als ernsthafte Kunst lange im Wege stand. Dabei ist bildlichem Humor, und im Besonderen Satire, ein subversives Potential zu Eigen, das seines Gleichen sucht. Doch während Granden wie Nicolas Mahler, Katz und Goldt oder Ralf König durchaus bissig auf die Schippe nehmen, hat es lange Zeit kaum jemanden gegeben, der gekonnt so richtig die Sau ’raus lässt, und sich in Anarcho-Humor um nichts weniger schert als political correctness. Mit den beiden jungen Wilden des französischen Comics, Florent Ruppert und Jerome Mulot, haben sich zwei Zeichner gefunden, deren Anliegen genau das ist: provokativ, surreal, mitunter sogar direkt niederträchtig oder – wie Christian Gasser es ausgedrückt hat – ethisch verwerflich zu agieren, um dem Leser die eigenen Abgründe vor Augen zu führen.

„Affentheater“ ist die dritte Arbeit der beiden Zeichner, in deren Mittelpunkt meist zwei namenlose Porträtfotografen stehen, die trotz des reduziert schlichten schwarz-weißen DIY-Stils unverkennbar den beiden jungen Franzosen ähneln. Was die Fotografen in ihrem Studio oder außerhalb erleben, gleicht – zumindest für den Leser – stets einer moralischen Grenzerfahrung. Mal verschlägt es die beiden auf das Jahrestreffen der französischen Schwertschlucker – auf dem der halbtote Verlierer fotografiert werden muss und der stolze Gewinner posiert, während sein Schwert im Schlund einer Domina steckt. Oder sie beobachten mit dem Fernglas einen Blindenhund-Wettlauf, bei dem die Herrchen und Frauchen reihenweise über die Hindernisse fallen oder sich auf andere Weise die Nasen blutig schlagen. Immer wieder warten auch die Kunden ihres Ateliers mit skurrilen Sonderwünschen auf. So will sich ein Bombenfabrikant vor einer überlebensgroßen Rakete ablichten lassen, wobei er sich noch über die Drohbriefe einer Pazifistengruppe lustig macht, vor der er sich ob deren Gewaltlosigkeit sicher fühlt. Ein paar Bilder später jedoch sind es Mitglieder genau jener Gruppe, die alles andere als pazifistisch mit Revolvern das Set stürmen und ihn niederschießen.

Während dem Leser eigener Humor und Moralverständnis spiegelnd vorgehalten werden, indem Ruppert und Mulot menschliche Grausamkeit und Perversion darstellen, agieren die Fotografen mit einer gewissen nonchalanten Arroganz. Weder sind sie abgeschreckt von, noch weiden sie sich an den Absurditäten. Sie lichten schlicht alles ab, was ihnen vor die Linse kommt. Es ist dem Rezipienten überlassen, was er mit diesen Eindrücken anstellt. Die emotionale Palette mag dabei von sexueller Erregung bis zu angewidertem Ekel reichen. Brüsk hineingeworfen in eine allzu abenteuerliche Welt, gilt es sich zurechtzufinden, und ständig zwischen emotionaler Distanz und eigenen humoristischen Untiefen zu changieren. Das freudsche Über-Ich, das korriegierend eingreift, ist immerzu der Leser selbst.

Doch nicht nur humoristisch bietet „Affentheater“, das dem Duo beim Comicfestival Angoulême 2007 die Auszeichnung der besten Entdeckung des Jahres einbrachte, eine eigenwillige Leseerfahrung. Ihr Stil wechselt von rohen, mit dünnem Strich gezeichneten Bildern, hin zu detailverliebten Panels und Sequenzen. Der Höhepunkt ist erreicht, wenn das Flechten eines Zopfes ganze 58 Panels einnimmt oder eine Geschichte durch zahlreiche Phenakistiskope ergänzt wird, die im Internet in Bewegung zu bewundern sind.

„Affentheater“ ist eine Reise in die Abgründe der menschlichen Psyche. Moral gibt es nicht. Mulot und Ruppert haben dem Genre mit ihrem Comic ein Stück intellektuellen Anarcho-Humor hinzugefügt, dem ein nicht zu leugnendes subversives Potential innewohnt.

Florent Ruppert und Jérôme Mulot: Affentheater
Roh, reduziert und mit viel persönlichem Duktus ausgestattet, unterstützen die
Zeichnungen den Gesamteindruck der Szenarien, die skurriler kaum sein könnten.