Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen





4. August 2010
Felix Giesa
für satt.org

  Wilhelm Busch: Der Kuchenteig

Wilhelm Busch:
Der Kuchenteig

Mit einem Essay
herausgegeben
von Andreas Platthaus
Insel 2010, 82 S., € 11,80
» Insel
» amazon





Wilhelm Busch: Der Kuchenteig
© Insel Verlag


Der Bilderbäcker

Als vor ziemlich genau zwei Jahren im Nachlass des Sulzbacher Johann Esaias von Seidel Verlages eine zehnteilige Bildgeschichte mit der Signatur »W.B.« entdeckt wurde, war sehr schnell klar, dass es sich hierbei um eine verschollene Erzählung Wilhelm Buschs handelte. Die Sensation war perfekt, zumal 2008 der Seidel Verlag 250jähriges Jubiläum feierte und sich Buschs Todestag zum 100. Mal jährte. Bereits damals berichtete Andreas Platthaus sehr ausführlich in der »F.A.Z.« über den Fund und seine Bedeutung. Handelt es sich bei der entdeckten Geschichte, die ihrer Handlung nach den Namen »Der Kuchenteig« erhielt, doch um einen direkten Vorläufer des sechsten Streichs von »Max und Moritz«: Eine Mutter rührt in einem großen Bottich eine Kuchenteig an, als sie das Zimmer verlässt, nascht ihr Sohn, verliert das Gleichgewicht und landet, eben wie später Max und Moritz, in dem Teig. Ganz entsprechend Buschs protestantisch geprägten Kindheitsbild, folgt zwar die Rettung durch die Eltern, aber eben auch die Züchtigung des ‚bösen’ Kindes durch den Vater. Datiert Buschs »Max und Moritz« auf das Jahr 1865, so konnte für die Wiederentdeckung der Sommer des Jahres 1863 festgelegt werden. »Der Kuchenteig« ist somit für Busch im Nachhinein ein Laboratorium der Bilderzählung geworden, an welchem der Betrachter die Entwicklung dieses Meisters der komischen Bildgeschichte nachvollziehen kann.

Zwei Jahre nach diesem Sensationsfund folgt nun, als kleine Überraschung, eine Publikation der zehn Bilder als Faksimile in der bibliophilen Insel-Bücherei. Ergänzt um einen gut 60seitigen Essay von Andreas Platthaus, der seine Überlegungen von vor zwei Jahren weiter ausführt, konkretisiert und ergänzt. Noch einmal wird die Entdeckung beschrieben, das Archiv des Seidel Verlags und dessen Publikationsgeschichte vorgestellt und schließlich wird die Datierung sowohl von der verlegerischen Tätigkeit her als auch von der stilistischen Entwicklung Buschs vorbildlich und gut nachvollziehbar vorgenommen. Busch hatte dem Verlag die Bildgeschichte zur Publikation in dessen Kalenderserien, explizit in der »Münchener Haus-Kalender«, angeboten und war abgelehnt worden. Anhand der üblichen Inhalte der Seidel’schen Kalender, die vor 1863 noch kaum Bildgeschichten enthielten, und eben an Buschs graphischem Stil nimmt Platthaus die Datierung vor, die ebenfalls wie die (noch) moderate Preisvorstellung des Zeichners von 50 Gulden auf einen Zeitpunkt zwei Jahre vor »Max und Moritz« schließen lassen.

Das Herzstück des Essays ist jedoch eine fast 30seitige Analyse der Geschichte Bild für Bild, in welcher Platthaus sich als versierter Bildbetrachter und Kenner Wilhelm Buschs zu erkennen gibt. Immer mit dem Blick auf Buschs gesamtes Œuvre beschreibt er Figuren, analysiert ihre Verhaltensweise und zeigt Parallelen zu anderen Geschichten auf. Zu guter Letzt untersucht Platthaus den Einfluss der Busch’schen Bildgeschichten trotz der Nichtveröffentlichung auf die Kalender des Seidel Verlages. Nach dem Durchbruch mit »Max und Moritz« erfreuten sich Bildgeschichten im Stile Wilhelm Buschs bekanntermaßen größter Beliebtheit, was zu einer Unzahl Nachahmer führte (von denen der bekannteste, Rudolph Diers, dann mit »The Katzenjammer Kids« einen der frühesten Comic-Strips in der Nachahmung von »Max und Moritz« schuf). Auch in den Seidel’schen Kalendern kann diese Entwicklung nachvollzogen werden und belegt somit Buschs frühen und nachhaltigen Einfluss auf die Bildgeschichte in Deutschland. Und, wie Platthaus zusammenfassend feststellt, »vielleicht hätte ein Abdruck der Bildergeschichte in einem der Sulzbacher Kalender sogar die Kuchenteigepisode in Max und Moritz verhindert«. Ein Glück, dass sie so lange verschollen blieb.

Eine kurze Bemerkung noch zum Schluss, denn allzu gelungen ist die Aufmachung dieses kleinen Bändleins. Der Verlag trägt dem gestiegenen Ansehen der Comics und Bildgeschichten mit dieser Publikation Rechnung, indem er die knappe Erzählung in diesem Format und dieser Reihe herausgibt. Wäre es da nicht wunderbar, neben lyrischen und essayistischen Publikationen in Zukunft auch kurze Comics, mit einer editorischen Notiz versehen, herauszugeben?