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19. September 2010
Felix Giesa
für satt.org

  Osamu Tezuka: Barbara 1

Osamu Tezuka: Barbara
Aus dem Japanischen
von Resel Rebiersch
Schreiber & Leser (shodoku) 2010
Band 1: 208 Seiten, 14,95 €
» Schreiber & Leser
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Osamu Tezuka: Barbara 2

Band 2: 248 Seiten, 14,95 Euro
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Das dekadente Leben der Poeten

Osamu Tezukas Gesamtwerk ist bekanntlich hierzulande noch kaum zugänglich. Neben seinen Kindermanga »Kimba« und »Astro Boy« liegt wenig Relevantes vor. Wer genügend gut Englisch lesen kann, findet auf dem amerikanischen Comicmarkt ein großes Angebot, aber auch das ist angesichts des schieren Umfangs eines 400bändigen Gesamtwerks eher bescheiden. Im verdienten shodoku-Label des Schreiber & Leser-Verlags ist nun mit »Barbara« der erste Band einer zweiteiligen Serie aus Tezukas mittlerer Schaffensperiode erschienen. Dieses knappe Jahrzehnt der Neuorientierung, in dem sich Tezuka an die veränderte Manga-Landschaft anpassen musste, begann Ende der 1960er Jahre mit so eigenwilligen Samurai-Erzählungen wie »Dororo« (1967/ 68) und fand mit einem Titel wie eben »Barbara« (1973/ 74) dann schon beinahe wieder ihr Ende.

In kurzen Episoden erzählt Tezuka aus dem Leben des Erfolgsautors Mikura Yosuke. Dieser sammelt eines Tages ganz unvermittelt die Säuferin Barbara am Bahnhof ein und nimmt sie bei sich auf. Zwischen den beiden entsteht nun ein nicht unkompliziertes Verhältnis. Mikura sieht sich zu Frauen hingezogen und gilt gemeinhin als idealer Partner oder Schiegersohn; groß, mit dichtem Bart und ständig mit einer Sonnenbrille im Gesicht entspricht er dem Typen des erfolgreichen Poeten in den 1970ern auch optisch. Barbara breitet sich nun in seiner Wohnung aus, führt ein regelrechtes Pennerdasein und verwahrlost Mikuras Wohnung, was ihrem Wohltäter natürlich auch immer wieder die Tour bei Frauen vermasselt. In der Folge kommt es immer wieder zu Streitigkeiten, an deren Ende der Autor die junge Frau nicht selten auf die Straße setzt. Jedoch sind diese Zäsuren immer nur von kurzer Dauer. Mikura entdeckt nämlich plötzlich, dass er ohne Barbara nicht mehr schreiben kann: die maßlose Frau ist seine Muse geworden.

Doch darüber hinaus noch mehr. Mikura hat eine offensichtliche sexuelle Störung, immer wieder bringt ihn diese in bedrohliche Situationen, aus denen ihn Barbara erlöst. Ob diese Geschehnisse dabei überhaupt real sind, wird oft genug nicht deutlich, wenn Mikura sich etwa auf eine große und schlanke Frau einlässt und diese sich nach Barbaras Intervention als Windhund entpuppt. In diesem uneigennützigen Eingreifen Barbaras entpuppt sich die besondere Rolle der Frau in diesem Manga. Anfang der 1970er Jahre brach auch in Japan das weibliche Geschlecht auf und stellte die tradierten Geschlechterrollen in Frage. Tezuka trägt diesem gesellschaftlichen Phänomen hier Rechnung, wenn er seine Muse Barbara Hosen tragen, freizügig und alkoholisiert feiern lässt, und sie sich im Zusammenleben mit dem Mann als die Überlebensfähigere herausstellt. Das sich bei Tezuka der Mann nunmehr mit Gewalt versuchen muss durchzusetzen, wird ebenfalls gesellschaftliche motiviert sein und die Verzweiflung ob der Angst um den eigenen, männlichen Stand im Leben abbilden.

Die großen Themen sind dabei immer die künstlerische Kreativität und ihr Ursprung, Tezuka dürfte hier durchaus auch am Ende seiner Phase der Neuorientierung an sein eigenes Schaffen gedacht haben. Barbara stellt sich schließlich als Tochter der mythologischen Mnemosyne, der Mutter der griechischen Musen, heraus. Folgt Mikura ihrem lasterhaft-dekadenten Lebenswandelt mit unzähligen Saufgelagen und Orgien, winkt ihm künstlerischer Erfolg; aber auch ein selbstzerstörerisches Leben. Der Autor spielt sicher und hat zu Lebzeiten keinen Erfolg mehr. Tezuka wurde noch zu Lebzeiten zum Gott des Manga. Ob sich an seiner Seite eine mythische Muse befand ist letztlich nicht auszuschließen.