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20. November 2010
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Felix Giesa
für satt.org |
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Die Welt, ein Comic›Alles, was ich weiß, habe ich aus Comics gelernt.‹ Konnte man mit dieser Aussage bisher schnell als leicht verblödet gelten, dürfte sich das Urteil in letzter Zeit geändert haben. Der Grund hierfür liegt im Erscheinen von Jens Harders »Alpha ... directions« und dem überschwänglichen Lob der Kritiker, die in »Alpha« nicht nur einen Sachcomic, sondern einen Wissenschaftscomic, wenn nicht gleich eine gezeichnete Dissertation sehen. Und tatsächlich ist man nach der ›Lektüre‹ erst einmal ähnlich geistig angeregt, wie nach vergleichsweiser Lektüre eines wissenschaftlichen Buches. Doch worin liegt dafür der Grund, was ›zeichnet‹ Harders Comic aus? Knapp dargestellt beschreibt »Alpha ... directions« die Entwicklung des Universums ab dem Urknall, die Entstehung der Erde und das Aufkommen von Leben bis zum Auftritt des Menschen in Bild und Wort, eben wie ein Sachcomic. Aber das stimmt nur zur Hälfte, Harder geht noch weiter. Seine am aktuellen Forschungsstand der Urgeschichte ausgerichteten Ausführungen bricht der Zeichner immer wieder. Denn nicht ursächlich die Entstehung der Erde erzählt Harder, sondern er erzählt auch vom Menschen und wie dieser sich schon immer einen Reim versuchte auf die Entstehung des (eigenen) Seins und all seiner Phänomene zu machen. Dafür schöpft er aus den Vollen des kollektiven Bilderwissens der Menschheit. So sind in Panels zwischen die Urszenen des Alls Fragmente der indischen Gottheit Shiva gezeichnet. Auf den nächsten Seiten folgen diesen Einschüben der abrahamitische Gott auf einer Wolke und Engel, aber auch die Abbildung eines Puzzles, eines Billardspiels und schließlich eine mikrobiologische Pipette sowie das Bild eines Foucaultschen Pendels. Harder schafft hier, was sich Aby Warburg in der Einleitung seines Bildatlas' »Mnemosyne« als für den »zwischen religiöser und mathematischer Weltanschauung schwankenden künstlerischen Menschen« zwingend vorstellte: Er verbindet im Kunstwerk die religiöse mit der naturwissenschaftlichen Erkenntnis zu einem zukunftsweisenden Ganzen. Und im Grunde ist Jens Harders Vorgehen gar nicht so viel anders als das Warburgs bei dessen Zusammenstellungen für den unvollendet gebliebenen Bildatlas. Warburg suchte das Nachwirken der Antike in der Kunst bis in die Gegenwart aufzuzeigen. Er paarte dabei immer Bilder der Kunst und Alltagswelt zu einem thematischen Begriff. Ähnlich funktionieren die Assoziationsketten in »Alpha ... directions«, wenn dort in die Panelsequenz zum Beginn der atomaren Entwicklungen ein newtonsches Kugelstoßpendel, das Atomium in Brüssel und schließlich ein Atompilz eingefügt werden. Das weist in diesem Fall natürlich kein Nachwirken der antiken Kunst bis in die Jetztzeit nach, aber die Bedeutung ist ähnlich grundlegend: Der Mensch situiert sich in seinem ganzen Schaffen und Sein immer um die Frage nach der eigenen Herkunft, dem eigenen Dasein. Solch eine Erkenntnis lässt einen mystischen Grundton erahnen und warum auch nicht. Kreationistisch, wie dem Comic vorgeworfen wurde, ist das in keinem Fall; dafür sind die naturwissenschaftlichen Ausführungen zu prägnant wiedergegeben. Doch über dieses intellektuelle graphische Vexierspiel hinaus, sind es natürlich die Bilder, die einen in »Alpha« in ihren Bann ziehen. Seine Zeichnungen – besonders natürlich im Hauptteil des Comics, zu den Dinosauriern – muten wie Sachbuchillustrationen der 1980er Jahre an. Fein und aufwendig, voller Detailfreude sind die Abbildungen und man kann nur vermuten, wie aufwendig die vierjährige Arbeit an diesem 350seitigen Bilderschinken gewesen sein muss. Für die Zukunft bedeutet das für denjenigen, der auf eine Fortsetzung wartet, vor allem das, nämlich Warten. Denn dass es eine Fortsetzung geben wird, steht fest, zumal die Fortsetzung ja die Form des Comics beherrscht. In »Beta« plant Harder die Menschheitsgeschichte bis zur Gegenwart nachzuzeichnen, »Alpha« schließt die Hominiden bis auf wenige Panels aus. »Gamma« soll schließlich die Zukunftsvisionen der Menschheit thematisieren. Somit bricht Harder den Comic-Globus von Scott McCloud, den dieser als Symbol für die Welt der Comics – übrigens in Anlehnung an eine Abbildung Hildegard von Bingens – geschaffen hat, wieder zurück ins Comicformat und es gelingt ihm so die ganze Welt als Comic zu beschreiben. Kein geringes Unterfangen. |
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