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16. Januar 2011
Felix Giesa
für satt.org

  Jan Fischer: Als ich noch jung war, gab es nur 150 Pokémon
Jan Fischer:
Als ich noch jung war,
gab es nur 150 Pokémon

Manga und Anime, Jugendliche und Kinder. Ein kurzer Überblick von innen (Schriftenreihe zur Kinderliteratur, 5.)
Autumnus 2008
30 S., € 8,00
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Jan Fischer: Comic plus X
Jan Fischer: Comic plus X
Anmerkungen zu den Umrissen der Graphic Novel (Schriftenreihe zur Kinderliteratur, 8.)
Autumnus 2010
28 S., € 8,00
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Jan Fischer – Essays zum Comic

Der kleine, in Berlin ansässige Autumnus Verlag gibt seit wenigen Jahren eine Schriftenreihe mit dem Titel »Essays zur Kinderliteratur« heraus. In den liebevoll als DinA 5-Zeichenhefte aufgemachten Essays wird zuvorderst die Frage nach ästhetischen und poetischen Maßstäben und Bewertungskriterien von Kinderbüchern verhandelt. Jedoch sind in dieser Reihe auch zwei Bändchen zum Comic erschienen, wobei man nun wieder natürlich trefflich darüber streiten könnte, was es über die Sicht auf Comics aussagt, dass Essays zu ihnen in einer Schriftenreihe für Kinderliteratur erscheinen. Doch solche Spitzfindigkeiten könnten Gegenstand eines eigenen Essays sein. Hier soll es nun um Manga und Graphic Novels gehen, denn zu diesen Themen hat sich Jan Fischer in den vorliegenden Heften geäußert.

In seinen »Anmerkungen zu den Umrissen der Graphic Novel« versucht Fischer eine Standpunktbestimmung des Begriffs, indem er nach dessen Anfängen jenseits der Prägung durch Will Eisner sucht und ihn als Marketing-Strategie outet. Ihn dennoch abzulehnen, so urteilt er salomonisch, wäre vertan: »Schließlich ist er etabliert und wird verwendet.« Was die Graphic Novel nun sei, dass vermag auch Fischer letztlich nicht zu klären, es bleibt bei der auf dem Umschlag prangenden Formal »Comic + X«. Das mag einem dünn erscheinen, aber es geht ja ‚nur‘ um »Anmerkungen zu den Umrissen der Graphic Novel« und diese liefert Fischer durchaus. Der Begriff sei von Eisner zwar nicht erfunden worden, aber zumindest geprägt und verbreitet worden. Er habe ihn mit ‚literarischen‘ Themen im Comic in Verbindung gebracht und im Grunde ist das ja bis heute die Argumentationsstruktur: Graphic Novels seien anspruchsvollere Comics, die sich vornehmlich an Erwachsene richteten; alle anderen Comics richteten sich an Kinder und Jugendliche. Diese, im Flyer »Was sind Graphic Novels« vertretene, Dichotomie greift Fischer zu Recht an, Comics seien zu keinem Zeitpunkt exklusive Kinderliteratur gewesen. Denn damit schwingt natürlich auch mit, dass Graphic Novels anspruchsvoll seien und herkömmliche Comics schlicht trivialer Schund. Dass dies so nicht haltbar wäre, zeigt Fischer sehr schön mit seinem Hinweis, dass besonders in den USA Comichefte einfach zu sechsen gesammelt werden und als Graphic Novel-Collection verkauft werden. Der Begriff ist also wenig konkret, dient offensichtlich nur der Vermarktung?

Schon, aber es ließen sich eben doch Comics finden, die als Graphic Novel vermarktet werden und sich besonders durch literarische Qualitäten auszeichneten. Warum er als Beispiele ausgerechnet »Maus« und »Barfuß durch Hiroshima« anführt, ist allerdings wenig einleuchtend. Ersteres wurde nicht als Graphic Novel vermarktet, das zweite ist ein Manga (und eben keine Graphic Novel). Leider unterläuft Fischer so in seiner Argumentation der gleiche Fehler, wie auch denjenigen, die den Begriff der ‚Graphic Novel‘ inflationär verwenden: Er achtet nicht genügend auf Trennschärfe (auch der Hinweis auf »Persepolis« ist zumindest schwierig, erschien der Titel doch in Frankreich in vier kürzeren Bänden). Er versucht zwar den Begriff in eine Tradition längeren Erzählens in Bildern des 20. Jahrhundert zu stellen, doch reicht hier der Hinweis auf Lynd Ward oder Max Ernst kaum aus, um eine tatsächliche Tradition nachzuvollziehen. Plump könnte man sagen, es gibt schon seit Jahrhunderten gezeichnete Geschichten in Buchlänge, aber niemand käme auf die Idee, mittelalterliche Armenbibeln als Graphic Novels zu bezeichnen. Es ist ähnlich wie bei der Suche nach dem ersten Comic: Es macht kaum Sinn, mit einem Begriff jüngster Gegenwart ausgerüstet in die Vergangenheit zu blicken und zu versuchen, diesen allem, was passen könnte, überzustülpen. Auch wenn das seit McCloud sehr populär ist.

Doch mag man sich an solchen Punkten nur bedingt stören, denn der Autor liefert ja, was er verspricht: Anmerkungen zu einen aktuellen Problem. Und eins scheint sicher: Von hier aus wird sich vortrefflich streiten lassen. Eins allerdings sei noch angemerkt, denn es gibt dem Ganzen einen schalen Beigeschmack. »Comics + X« liest sich zwar als griffige Formel – und die Tatsache, dass diese aus dem Titelsong der »Power Puff Girls« abgeleitet wurde ist durchaus charmant – aber sie läuft auf einen gefährlichen Schluss zu: Graphic Novels sind mehr, und damit implizit: besser, weil sie im Vergleich zum Comic »X« haben. So griffig sie ist, wertungsfrei ist sie keineswegs.

In seinem zweiten Essay greift Jan Fischer seine frühen Jugenderfahrungen zu Anime und Manga auf und liefert hierzu »Einen Überblick von innen«. Die Marketing-Geschichte der Comics ist eine von Wellen und Blasen. In den frühen 1990er Jahren in den USA etwa mit dem Heftchen-Boom und dem Versuch, diese als Anlage zu verkaufen, oder hierzulande der Alben-Boom ungefähr zur gleichen Zeit. Das Ergebnis waren bei beiden ausgetrocknete Landschaften, weil der Markt – und damit der Käufer – in zu kurzer Zeit überschwemmt wurde. Wenn nun argumentiert wird, dass ‚Comics unter falscher Flagge einen Siegeszug‘ (gemeint ist als Graphic Novel) anträten, dann wird dabei übersehen, dass Comics immer mal wieder einen Siegeszug antraten. Vor der Graphic Novel mischten Manga den Markt hierzulande auf und schafften, was auch die Graphic Novel bisher nicht schaffte, sie aktivierten Unmengen von Lesern, auch und vor allem Mädchen. Seither laufen sie zwar Gefahr ebenfalls zu einem ehemaligen Boom, einer ablandenden Welle zu werden, doch behaupten sie sich einen festen Platz. Doch darum geht es Jan Fischer erst einmal nicht. Er schildert vielmehr den Aufstieg des Manga in Deutschland im Medienverbund, denn, so seine Argumentation, hierzulande konnte der Manga nur erfolgreich werden, da zeitgleich Anime, also japanische Trickfilme, im Fernsehen den Boden bereiteten. Das Ergebnis ist weniger eine genaue Analyse, auch wenn es natürlich analytische Passagen gibt, als eine Beschreibung der Entwicklung »von innen heraus«.

Das mag dem einen oder der anderen beides nicht zwingend genug in die Tiefe gehen, aber beide Texte lösen ihre Titelversprechen ein und schließen an aktuelle Fragestellungen an. Idealerweise würde sich hieraus eine Diskussionsreihe entspannen, die auch in zeitlicher Nähe Repliken und Gegendarstellungen publiziert. Der Verlag zumindest nimmt Manuskripte entgegen.