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9. Januar 2011
Sven Jachmann
für satt.org

  Alex Robinson: Unvergessene Zeiten.
Alex Robinson:
Unvergessene Zeiten

Aus dem Englischen
von Frank Plein
Edition 52 2010
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Alex Robinson – Unvergessene Zeiten

Es ist natürlich eine verlockende Vorstellung: Der 40jährige Robert Andrew Wicks begibt sich in eine Hypnosetherapie, deren Ziel eigentlich darin besteht, ihm endlich das Rauchen abzugewöhnen. Doch anstatt, wie vermutet, einen spirituell aufgeladenen Spuk zu erleben, befindet er sich urplötzlich wieder in der High School und erlebt seine Teenager-Zeit ein zweites Mal, allerdings mit dem erwachsenen Bewusstsein um seine eigene Vergangenheit. Ein popkulturell schon oftmals erprobtes Szenario, und das weiß natürlich auch Robert, der sich sofort ans Zeitreiseparadoxon der »Zurück in die Zukunft«-Trilogie erinnert fühlt. Tatsächlich gleicht das Setting aber eher dem aus Coppolas High School-Romanze »Peggy Sue hat geheiratet« oder Jiro Taniguchis epochaler Jugendreflexion »Vertraute Fremde«. Robert muss sich nicht vor seinem jugendlichen Doppelgänger verbergen, sondern durchlebt selbst physisch seine Vergangenheit erneut, wenige Tage vor seinem ersten Zug an einer Zigarette. Angespornt von dem Glauben, in dieser Situation bloß triumphierend ablehnen zu müssen und damit die notwendige Katharsis auszulösen, versucht er die jungen Tage zu genießen, holt ein wenig versäumte Rebellion nach, verabredet sich mit dem Mädchen, das ihm früher so unnahbar erschien und begegnet den innerfamiliären Konflikten nun mit mehr Empathie. Trotzdem bleibt eine Leerstelle bestehen. Denn obwohl Robert schließlich der angebotenen Zigarette widersteht, kehrt er nicht in sein gegenwärtiges Leben zurück.

Und diese Leerstelle ist es auch, die aus der für Alex Robinsons Verhältnisse außerordentlich kurzen Erzählung im Gewand einer posthumen coming of age-Geschichte mit dem Esprit einer beherzten High School-Pubertätskomödie eine dramatische Introspektion uneingestandener Ängste zaubert. Bereits in seinen vorherigen, mehrere 100 Seiten fassenden Mammutwerken »Tricked« (unter dem Titel »Ausgetrickst« ebenfalls bei der Edition 52 erschienen) und »Box Office Poison« tänzelten die Figuren leichtfüßig am Abgrund, zusammengeführt von einem roten, schicksalhaften Faden, der sie vom Glück schlagartig ins existenzielle Elend delegierte. Das erinnerte strukturell hie und da, insbesondere was die immer bedrohlichere und so unausweichlich erscheinende Engführung der individuellen Krisen betrifft, an »Magnolia« von Regisseur Paul Thomas Anderson. Und so wie Anderson sich im Anschluss an sein filmisches understatement begab, dem Portrait einer Liebespathologie »Punch Drunk Love«, gewinnt man auch bei Robinson den Eindruck, dass sich hier einer nach den zahlreichen Auszeichnungen für seine Vorgänger erst mal Luft verschaffen musste und sich nun an der kleineren Form versucht.

Der Plot kapriziert sich völlig auf Roberts jüngeres Pendant, und dank des Twists am Schluss gerät der heitere Duktus der Schulerlebnisse zum bitteren Durchmarsch ins Herz eines fortwesenden Traumas. Das wirkt umso bedrückender, weil Robinsons schwarzweißen Zeichnungen vor allem auf ein differenziertes Mimenspiel fokussieren und Robert eine unwissentliche Unschuld andichten, die er als Erwachsener nur mittels Verdrängung aufrechterhalten kann. Immer wieder brechen die Panels auseinander, überlappen sich in parallelen Montagen, als wollten die verborgenen Erinnerungen in den Erzählkosmos brechen. Somit offenbart sich Roberts Odyssee durch seine eigene Vergangenheit auch für den Leser als unerwartetes Puzzlespiel, der, wie Robert, zum Schluss realisieren muss, dass das Rauchen die sicherlich unbedeutendste Chiffre dieser nachgeholten Sinnsuche war. Letztlich fügt sich also auch Roberts Figur in die Phalanx von Robinsons gebrochenen Alltagshelden, deren mannigfaltige Fluchtversuche stets und meist recht tragisch in der kathartischen Konfrontation mit ihrer mentalen Verdrängungspraxis enden. Dass Alex Robinson dieses Muster auch in ein im Kern humoristisches Sujet brillant zu integrieren schafft, ist nur geringfügiges Zeichen für seine exponierte Stellung innerhalb der gegenwärtigen amerikanischen Comicautorengarde.