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18. Februar 2011
Andre Kagelmann
für satt.org

  Jacques Tardi und Jean-Pierre Verney: Elender Krieg
Jacques Tardi, Jean-Pierre Verney:
Elender Krieg. Bd. 1: 1914-1915-1916

Edition Moderne 2009
72 Seiten, Euro 19,80
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Jacques Tardi und Jean-Pierre Verney: Elender Krieg
Jacques Tardi, Jean-Pierre Verney:
Elender Krieg. Bd. 2: 1917-1918-1919

Edition Moderne 2010
72 Seiten, Euro 19,80
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Realistische Erinnerung

»In diesen Momenten begann das wahre 20. Jahrhundert, mit seiner Kriegsbegeisterung und Fantasielosigkeit. Aber ich, ich hatte viel zu viel Fantasie. Ich sah mich als Leiche, gegen meinen Willen von einer Horde von Schwachköpfen mitgerissen, zusammen mit tausenden anderer Leichen, und mir war nicht im Geringsten zum Lachen zumute.« (Elender Krieg, Bd.1, S.6)

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges endete einerseits das »lange 19. Jahrhundert« (Eric Hobswam), andererseits war dieser Krieg, der in der Erinnerung der Franzosen und Engländer noch immer der Große Krieg ist, auch die »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts« (George F. Kennan). Wenn sich der Kriegsausbruch nun im Jahr 2014 zum hundertsten Mal jährt, wird sich – neben der Wissenschaft – die multimediale Erinnerungsindustrie des Themas annehmen. Und unser Bild der Geschichte wird auch von diesen Neuinszenierungen geprägt werden und sich so von unserem heutigen unterscheiden. Als einen Vorboten dieses Prozesses kann man Ken Follets Saga Der Sturz der Titanen (Fall of Giants, 2010) betrachten: Der Bestsellerautor unterhält und unterrichtet mit seinem panoramatischen Werk ein Millionenpublikum, dessen Kriegsbild mit den Schicksalen der Protagonisten des Romans von nun an verwoben sein wird. – In Deutschland sorgte, gewiss bei einem anderen Adressatenkreis, vor kurzem die Veröffentlichung der originalen Kriegstagebücher Ernst Jüngers, auf denen sein Werk In Stahlgewittern basiert, für Furore; freilich verbunden mit dem Interesse an einem umstrittenen Autor. Und in Frankreich war schon 2008 mit der Neuauflage von Gabriel Chevalliers Heldenangst der Krieg wieder in den Blick der literarischen Öffentlichkeit geraten, auch hier aus einer selbst historisch gewordenen Perspektive (La peur wurde zuerst 1930 verlegt). Ebenfalls aus dem Jahr 2008 und aus Frankreich stammt die zweibändige Graphic Novel Elender Krieg von Jacques Tardi, ergänzt durch einen ausführlichen Sachteil des Historikers Jean-Pierre Verney.

Bilder aus dem Menschenschlachthaus

Mit diesem Werk haben sich die Autoren einem aufklärerischen Projekt verschrieben, der programmatische Titel, im Französischen Original lautet er Putain de Guerre!, umreißt dies: Tardi und Verney geht es darum, die Grausamkeit des Ersten Weltkrieges in den Blick zu nehmen, und zwar ohne jegliche Schönfärberei. Tardy, dessen Adèle-Comics sich 2010 Luc Besson annahm, knüpft damit an Projekte wie Grabenkrieg (C'était la guerre des tranchées, 1993) oder Soldat Varlot (Varlot soldat, 1999) an. – Auch in Elender Krieg steht das Soldatenschicksal im Mittelpunkt: Konsequent verzichtet Tardy auf eine politische Aufarbeitung des Kriegsausbruchs, auf die Diskussion um die Kriegsschuldfrage. Vielmehr geht es ihm um den einzelnen Menschen, und so erzählt auch ein einfacher Frontsoldat, ein französischer Infanterist rückblickend seine Geschichte des Krieges. Diese Erzählanlage vereitelt also von vornherein eine großartige Schau über das Geschehen wie bei Follet, auch widersteht Tardy so jeglicher Heroisierungstendenz.

Wort-Bild-Hiatus

Elender Krieg zielt auf eine realistische und damit abschreckende Schilderung des Krieges, man kann hier getrost von einer erzieherischen Intention sprechen. Daher stellen die Bilder auch dezidiert Grausamkeiten dar, die einige Leserinnen und Leser verstören mögen: Schon die Covergestaltung wirkt durchaus erschreckend, im Comic finden sich dann noch abstoßendere Darstellungen. Dabei geht es Tardy aber nicht darum, Angstlust zu evozieren, sondern den Großen Krieg als das in der Erinnerung wachzuhalten, was er tatsächlich war: ein Menschenschlachthaus. So werden wir ohne Umschweife mit der Not der einfachen Soldaten (Poilus), dem Elend der Schützengräben, den Verstümmelungen und überhaupt mit herzzerreißendem Leid konfrontiert. Besonders eindringlich wird dies bei der Galerie der ‚Männer ohne Gesicht’ (S. 31f). Hier finden sich ausnahmsweise je 9 Panels pro Seite, ansonsten ist die Erzählung ganz überwiegend durch drei vertikalen Panels pro Seite organisiert, die teils schwarzweiß, teils mit Grau- und Blautönen unterlegt, teils auch (ganz) farbig gestaltet sind. – Es spricht hier übrigens für Tardi, dass er (in einem arte-Interview), trotz der eindringlichen Darstellungen, sein Scheitern bzgl. des Versuchs konstatiert, dem Leid des Krieges durch Bilder gerecht zu werden.

Doch ein Mangel an visuellem Realismus ist nicht der Schwachpunkt des Werkes, vielmehr scheitert Tardi auf der Wortebene: Die Erzählung, die durch die Kriegsjahre kapitelweise gegliedert ist, wird allein durch den Bericht des sich an die Schrecken des Krieges erinnernden invaliden Ich-Erzählers getragen; er verzichtet vollends auf Figurenrede. Dabei trifft der Erzähler aber sozusagen seinen eigenen Ton nicht: viel zu glatt und ausdruckslos kommt seine Rede daher, auch wenn an Kraftausdrücken nicht gespart wird. Nur mit dem letzten, dem über den Krieg hinausgehenden Kapitel »1919« ändert sich die Erzählanlage, denn nun werden (großteils) präsentisch Figuren direkt vom Erzähler angesprochen und ihr Schicksal wird schlaglichtartig eingeblendet. So gelingt es, eine Art Kriegspanorama von unten zu entwerfen, das zugleich international ausgerichtet ist und den Opfercharakter der einfachen Soldaten unterstreicht und zudem den Blick auf die ‚Heimatfronten’ erweitert.

Fiktion und Fakten

Neben diese mehr visuell- als sprachliterarische Antikriegserziehung gesellt sich ein bemerkenswerter Sachteil, der fast ein Drittel des gesamten Volumens der beiden Bände ausmacht: Hier wird den Leserinnen und Lesern durch den Historiker Jean-Pierre Verney ein durchaus detaillierter Überblick über den Ersten Weltkrieg gegeben. Verney skizziert überzeugend den Verlauf des Krieges; der Text ist mit Photos von Feldpostkarten, Aufmärschen, Bildern von Verletzungen und Statistiken durchsetzt, zudem findet sich Kartenmaterial. In Band 2 sind auch die berühmten 14 Punkte Woodrow Wilsons abgedruckt, leider fehlen Auszüge aus dem Versailler Vertrag. – Insgesamt unterstützt und ergänzt dieser informative und ausführliche Sachteil den prinzipiell begrüßenswerten aufklärerisch-realistischen Antikriegscharakter dieses Werkes.

Jacques Tardi und Jean-Pierre Verney: Elender Krieg