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20. März 2011
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Felix Giesa
für satt.org |
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Die Penisangst des KampfrobotersEin Comic eines arabischstämmigen in Frankreich lebenden Comiczeichners über dessen Kindheit in seinem Mutterland. Wer sich jetzt denkt ‚Kenn ich doch’ und dabei Persepolis im Auge hat, liegt natürlich so falsch nicht. Doch ist damit nur ein wenig über Riad Sattoufs Meine Beschneidung gesagt, auch wenn sich die Parallelen nicht in den genannten erschöpfen. Sattouf, der hierzulande eher durch seinen Film Jungs bleiben Jungs als mit seinen Comics bekannt ist, ist eine ganze Generation jünger als die Zeichnerin Satrapi, stammt aus Syrien und nicht aus dem Iran, und ist eben männlich. Der Comic verspricht also eine andere Sicht auf eine Kindheit in einem islamisch geprägten Land, nämlich aus derjenigen, die vermeintlich mehr Rechte durch ihre Religion zugesprochen bekommt. Der kritische Zugriff auf das Geschilderte steht durchaus in der Tradition von Persepolis, die kindlich-naive Schilderung der Ereignisse pflegt ebenfalls diesen Ton und reiht sich ein in die Folge der in den letzten Jahren vermehrt erscheinenden autobiographischen Kindheitscomics wie Der kleine Christian von Blutch oder Nicolas von Pascal Girard. Die eigentliche Geschichte ist dabei schon beinahe redundant: Der achtjährige Riad hat »noch nicht das Rad des Schmerzes erduldet« und soll nun daher bald beschnitten werden. So einfach die Ausgangslage, so überaus kompliziert ist diese für den Jungen nachzuvollziehen. Sein Vater stellt ihn lediglich vor vollendete Tatsachen, Diskussionen und Erklärungen gibt es nicht. Letztlich fügt er sich in sein Schicksal, wird eher gefügig gemacht, mit Versprechungen auf einen Riesen-Kampfroboter und der Hoffnung, durch den beschnittenen »Pimmel« wenigstens äußerlich von den verhassten Juden unterscheidbar zu sein. Für all diese kindlichen Verwirrungen findet Sattouf schöne Bilder; etwa das des Riesen-Goldorak, der im Verlauf der Handlung sowohl für Riads antisemitische Vernichtungsphantasien als auch für den in Bälde verstümmelten Penis steht. Wie auch der Goldorak stammt auch Conan der Cimmerier als weiteres Bild aus dem Fernsehen der 1980er Jahre. Mit den Cimmeriern fühlen sich die nicht aufgeklärten – und Aufklärung ist hier durchaus in doppelter, also auch humanistischer Hinsicht, zu verstehen – Jungen verbunden, leben sie doch in der Verblendung eines romantisch-kriegerischen Lebens gegen den israelischen Feind und seine amerikanisch-europäischen Verbündeten. Doch erschöpfen sich diese Bildanalogien doch schnell. Aber überhaupt die Bilder: Es ist sicherlich mehr als streitbar, ob Meine Beschneidung überhaupt ein Comic ist. Sattouf bedient sich freier Illustrationen, die von Texten begleitet werden, Dialoge werden in Sprechblasen abgebildet, konkrete Sequenzen bilden die Ausnahme. Mit dem Begriff der Bildgeschichte wäre man vermutlich auf der sichereren Seite, was ja für thematisch ähnlich gelagerte Geschichten wie eben Nicolas oder auch Meine Mutter ist in Amerika und hat Buffalo Bill getroffen, ebenfalls zutrifft. Auffällig ist, dass die begleitenden Texte im Unterschied zu den schlicht kolorierten Bildern maschinengesetzt sind. Einhergehend mit dem leicht erklärenden Duktus dieser Passagen entsteht viel stärker der Eindruck einer Sacherzählung, als bei vergleichbaren Bildgeschichten. Bleibt abschließend festzuhalten, dass Meine Beschneidung einen zwar nicht neuen, aber dennoch erfrischenden und auch für eine jüngere Leserschaft geeigneten Bericht aus einer nach wie vor fremden Region liefert, die in der kindlichen Sicht scheinbar ausnahmslos durch antisemitische und chauvinistische Ressentiments geprägt ist. Das der Blick neben aller Kritik auch immer wieder urkomisch ist, zählt zu den Stärken des Bändchens.
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