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31. Oktober 2011
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Sven Jachmann
für satt.org |
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Israel verstehen - in 60 Tagen oder weniger?Es mag ein wenig kurios anmuten, dass ausgerechnet der hiesige Superhelden-Verlag Panini das derzeit recht breite Angebot an autobiographischen Comics vor politischem Hintergrund mit einem exzellenten Debüt bereichert. Vom Lizenzgeber Vertigo, einem Imprint des DC-Verlags, ist man schließlich eher unkonventionellere Genrereihen wie The Sandman, 100 Bullets oder Y: The Last Man gewohnt – keineswegs jedenfalls erwartet man die feinfühlige Beschreibung einer jungen Jüdin, die mit ihrer kritischen Haltung gegenüber Israel hadert. Der Titel, Israel verstehen – In 60 Tagen oder weniger, verspricht das Gegenteil von dem, was dieser Reisebericht letztlich erfüllt, denn am Ende der Geschichte steht nicht das Verstehen, sondern das Alter Ego der Autorin Sarah Glidden muß sich von einem politischen Paradigma verabschieden. Die zu Beginn recht apodiktische Haltung ist einer kathartischen Konfusion gewichen: Womöglich ist doch nicht nur Propaganda im Spiel, wenn die US-Presse vermeintlich tendenziös über den Nahostkonflikt berichtet? Und vielleicht steht am Anfang jeder Kritik erst mal die Schwierigkeit, festgefügte Überzeugungen aufzugeben, um Widersprüche aushalten zu können? Dabei fing alles so überschaubar an. Ihrem Freund prophezeite Sarah halbironisch beim Abschied: »Ich werde also hinfahren und die Wahrheit in diesem Durcheinander suchen. Wenn ich zurück bin, ist alles kristallklar!« Um sich mit ihrem jüdischen Erbe zu konfrontieren, fliegt die linksliberale, agnostische Amerikanerin 2007 zusammen mit ihrer gläubigen Freundin Melissa nach Israel. Die Initiative »Birthright Israel«, eine Stiftung, die weltweit jungen jüdischen Erwachsenen (so auch den beiden Frauen) kostenlos eine Erstbegegnung mit Israel ermöglicht, ist Sarah schon aus Prinzip verdächtig: als Rekrutierungsmaßnahme für Nachwuchszionisten, die einzig dem großen Projekt Alliyah, der Einwanderung von Juden nach Israel, dienen sollen. Ein skurriles und für alle Teilnehmer obligatorisches Fragezeremoniell am Flughafen vor der Einreise entkräftet nicht gerade Sarahs Mißtrauen. Doch der Reiseführer entpuppt sich bereits auf der ersten Busfahrt weniger als glühender Propagandist denn als Skeptiker, als er die drastischen Folgen des Baus der Trennmauer für die palästinensischen Bewohner des Gebietes beklagt, obgleich an der Notwendigkeit kein Zweifel besteht: »Nach dem Bau ist die Zahl der Anschläge in Tel Aviv von zwei pro Woche auf vier pro Jahr gesunken.« Der Zwiespalt bleibt fortan das Ordnungsprinzip der Erzählung, denn gleichgültig, ob die Reisegruppe die Golanhöhlen, Jerusalem oder Tel Aviv besucht, immer muß Sarah feststellen, daß ihre umfangreichen Recherchen zur Prophylaxe gegen Indoktrination zwar zur historischen Einordnung nützen, jedoch wenig vor einem paradoxen Alltag in einem paradoxen Land feien, in dem der drohende Ausnahmezustand zur institutionalisierten Normalität geworden ist. Als sie nach einem aufwühlenden Vortrag über die israelische Unabhängigkeitserklärung die fast noch jugendlichen Soldaten sieht, die die Gruppe als Ansprechpartner für einige Tage begleiten werden, bricht Sarah für Stunden in Tränen aus. Hinter den Tränen verbirgt sich die Erosion eines Weltbildes: Der Frau wird klar, dass Israel als Steigbügelhalter einer imperialistischen Expansionspolitik wenig taugt. Die Autorin wählt, um diese Entwicklung zu beschreiben, eine dezidiert subjektive Perspektive. Der Comic bewegt sich an der Schnittstelle von Reportage und Reisebericht. Sachliche Informationen vermitteln vornehmlich die Vorträge der Referenten, in den Gesprächen hingegen offenbart sich Gliddens Ringen um deren korrekte Deutung. Für eine Reportage besitzt die Introspektion einen zu großen Anteil. Joe Sacco, der namhafteste Kollege dieses Metiers, beschreitet mit seinem am gleichen Schauplatz angesiedelten Comic Palästina (Gaza erschien dieser Tage) den umgekehrten Weg und ist so massiv parteiisch, dass Israel einzig als rassistische Besatzungsmacht erscheint. Gliddens hingegen konstruiert sich nicht als allwissendes Medium, das die politische Bilderagenda der US-Berichterstattung mit deren Wahrheitsgehalt kontrastieren soll, sondern als von seinen Erfahrungen irritiertes Subjekt. Sie verschwindet nicht hinter dem Impetus einer (im Falle Saccos äußerst fragwürdigen) Gegenaufklärung, sondern dominiert jede Sequenz und dokumentiert den Wandel ihres eigenen Tunnelblicks. Fixiert darauf, sich keinesfalls einer allerorts vermuteten Gehirnwäsche auszusetzen, gelangt sie immer wieder an Bruchstellen. An ihnen offenbart sich das Trauma des einzigen Landes, das permanent seine Grenzen und damit seine Existenz verteidigen muß. Die formal unaufgeregte Erzählung ordnet sich vom Seitenaufbau (in der Regel drei dreireihige Panels pro Seite) über den skizzenhaften Zeichenstil bis zur dezenten Wasserfarbenkolorierung in toto dem Plot unter. Das inhaltlich auffälligste Merkmal ist, dass sich die Protagonistin immer wieder in die Innerlichkeit zurückzieht. Dann befindet Sarah sich etwa in einer Gerichtsverhandlung, bei der sie als Anwältin, Richterin und Geschworene in Personalunion ihre Argumentationsketten auf die Probe stellt, oder wähnt historische Gestalten als schemenhafte Gesprächspartner an ihrer Seite. Die Autorin hütet sich davor, ins Fahrwasser einer naiven Begegnungspädagogik zu geraten. Durch den Zweifel der Hauptfigur erhellt sich der widersprüchliche Kampf Israels um Selbstbehauptung im Angesicht der vergangenen wie einer drohenden Vernichtung ab. Wer sich vom Titel also flotte Hilfeleistung verspricht, sollte sich auf einen unliebsamen Schub ziemlich lehrreicher Desillusionierung vorbereiten. Erstveröffentlichung in Konkret 08/2011
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