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26. Februar 2012
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Andre Kagelmann
für satt.org |
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Der fragmentarische Phönix oder die Radikalisierung des Readers-Digest-PrinzipsAufgestiegen aus der eigenen Asche (‚Schmutz und Schund’), findet sich der Comic, verwandelt zur Graphic Novel, in der Beletage der deutschen Verlage wieder: Im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten zum vierzigjährigen Bestehen der Reihe Suhrkamp Taschenbuch veröffentlicht man als erstes Werk dieser Art überhaupt Nicolas Mahlers Bearbeitung von Thomas Bernhards Alte Meister. Komödie aus dem Jahr 1985 (Redaktion: Andreas Platthaus). Nicht irgendein Comic macht also den Anfang, sondern die Adaption des letzten Prosawerks des großen Sprachkünstlers Bernhard (1931-1989), der über Jahrzehnte dem Haus Suhrkamp sowohl geschäftlich als auch persönlich verbunden war (nachzulesen in dem beeindruckenden und lehrreichen Briefwechsel zwischen Bernhard und Siegfried Unseld). Insofern hätte man keine bessere Wahl treffen können als dieses humoristisch-subversive Spätwerk. Andererseits hat sich der renommierte Nicolas Mahler (Flaschko... oder Van Helsing macht blau) keine leichte Kost vorgesetzt, denn eine reine Komödie ist es „naturgemäß“ nicht, was Bernhard da auftischt, obwohl beziehungsweise weil der Plot denkbar knapp ausfällt: Seit 36 Jahren kommt der 82-jährige Musikwissenschaftler und -kritiker Reger jeden zweiten Tag ins Kunsthistorische Museum in Wien, um dort im so genannten Bordone-Saal auf der Sitzbank vor dem Bildnis eines Weißbärtiges Mannes von Tintoretto Platz zu nehmen. Dieser Reger, ein intellektueller Großspötter und feinsinnig-gebrechlicher Ästhet, hat an diesem Tag den Schriftsteller Atzbacher ‚zu sich‘ eingeladen, um Wichtiges mit ihm zu besprechen. Atzbacher aber kommt vor der Zeit in den Bordone-Saal und beobachtet Reger dort eine Zeit lang unbemerkt. Dritter im Bunde ist der Museumsbedienstete Irrsigler, der mit den Jahren zum Vertrauten und zum Sprachrohr Regers geworden ist. Im zweiten Teil des Romans entwirft Reger im Gespräch mit Atzbacher ausführlich und kontrastiv ein Konzept über das Verhältnis von Kunst, Mensch und Staat. Schließlich lädt er Atzbacher – und das ist tatsächlich der Plotpoint der Handlung – ins Burgtheater zur Aufführung von Heinrich von Kleists Der Zerbrochene Krug (1811) ein. Der Text endet mit dem für Bernhard symptomatischen Satz: „Die Vorstellung war entsetzlich.“
Dieser äußerlichen Handlungsarmut kontrastiert ein faszinierender philosophisch-ästhetischer Kern, denn Reger verfolgt jenseits des ätzenden Spotts seiner Schmähreden das Programm einer Rechtfertigung des künstlerischen Fragments. Er geht sogar soweit, das Fragmentarische als das Eigentliche zu postulieren, was Kunst im Akt der Rezeption überhaupt erträglich mache und dem Menschen als Mängelwesen korrespondiere: „Wir halten das Ganze und das Vollkommene nicht aus.“ Der eigentliche Bezugspunkt dieser (poetologischen) Überlegungen des „Geschichtenzerstörers“ Bernhard ist der Mensch beziehungsweise das Wunder des Verständnisses zwischen zwei Personen, das seinen vortrefflichsten Ausdruck in dem Konzept vom ‚Lebensmenschen’ findet. Freilich zeichnet sich dieses durch Fragilität aus, weil unsere Existenz nicht von Dauer ist – und so ist Reger durch den Tod seiner Ehefrau des inneren Zusammenhangs mit der Welt beraubt. Und deshalb ist Bernhards Werk auch keine „rabenschwarze“, wie es der Klappentext des Comics will, sondern nur in einem tieferen und existenzialistischen Sinn überhaupt eine Komödie. Symptomatisch dafür ist die Auflösung des Plots auf dem (Burg-)Theater, in einer übertragenen und gar nicht kathartischen Katastrophe. Diese komplexe innere Handlung findet ihren adäquaten Ausdruck in einer kunstvollen literarischen Gestaltung, die vor provokantem Sprachwitz strotzt: Bernhards oft an die Schmerzgrenze gehende Prosa ist kunstvoll verschachtelt, schwelgt in (liturgisch anmutenden) Parallelismen, nicht enden wollenden absatzlosen Satzungetümen mit Lexemwiederholungen und -variationen. Und sie führt über wüste Schimpftiraden hin zu grotesken Verunglimpfungsgipfeln insbesondere des österreichischen Staates (und auch der vielgeschmähten Staatskunst). In einer Art doppelten indirekten Rede, kühn assoziierend und durch das Gebiet des Geistes mäandernd, folgt der Text allerdings seiner sicheren inneren Landkarte.
Mahler hat es sich also zur Aufgabe gesetzt, ein komplexes poetisch-philosophisches Konzept von einem Medium ins andere zu überführen, was ihm allerdings nur mit Abstrichen gelingt. Auffällig bei der Adaption ist zunächst, dass sie zwar Bernhards originale Figurenrede wiedergibt, von der aber nur schätzungsweise zehn Prozent übrigbleiben (158 Seiten Comic stehen [311] Romanseiten gegenüber). Insofern kann man hier von einer Radikalisierung des Readers-Digest-Prinzips sprechen, womit allerdings kein rein quantitatives, sondern auch ein qualitatives Problem bezeichnet ist. Will man dieses genauer fassen, bietet sich ein Seitenblick auf ‚Literaturverfilmungen‘ an, schließlich beschäftigt die Frage nach dem Verhältnis von literarischen Prä- und filmischen Posttexten schon seit geraumer Zeit die Wissenschaft: Man unterscheidet hier grob zwischen drei Grundtypen der Adaption, nämlich zwischen einer reinen Stofforientierung, die eine Vorlage als reines Materialreservoir benutzt, einer illustrierenden Adaption, die eine literarische Geschichte ‚bebildert‘ und schließlich einer Transformation, die ein Kunstwerk in einem anderen Medium – und mit dem diesem Medium eigenen Mitteln – wieder zu Kunst werden lässt. Mahlers Alte Meister ist nun hauptsächlich als illustrierende Adaption zu bezeichnen, sie bebildert einen schon vorhandenen Text, den sie zudem radikal (stofforientiert) kürzt; es fehlt dem Comic also, wie den allermeisten ‚Literaturverfilmungen‘, an transformatorischer Kraft. Mahler bewältigt diese Herausforderung deshalb nicht genug, weil er bildliches und sprachliches Erzählen nicht schlüssig verschränkt: Die Handlung wird hauptsächlich durch Figurenrede transportiert, die Bilder erweitern nur selten die sprachliche Bedeutung oder drücken eigenständig etwas aus. Wie es gehen könnte, zeigen v.a. die Seiten 142 bis 150, wo der Leser zum Zuschauer der Handlung wird. Innovative erzählende Bildgestaltungen finden sich auch auf den Seiten 16, 44, 56-58, 75 oder 103. Trefflich veranschaulicht der Comic zudem Regers besondere Technik des ‚talentierten Umblätterns‘ (S. 40-43). Abbildungen © Nicolas Mahler/ Suhrkamp Verlag
Stilistisch fällt bei Mahlers ‚Bildern in Bildern’ die nonchalante Schwarz-weiß-Schraffur ins Auge, diese kontrastiert mit der Goldfarbe in und um die trefflich karikierten Gemälde der Alten Meister. Negativ fällt aber ins Gewicht, dass die Figuren reine (verlängerte und verbreiterte) Karikaturen sind, die, wie bei Mahler üblich, gänzlich ohne Mimik auskommen müssen. Diese wirken allerdings in den oft emblematischen monoszenischen Panels, die mit inscriptio und/ oder subscriptio sowie teilweise noch in die pictura eingelassenen Textfeldern versehen sind, der Thematik angemessen verloren: Die Kunst reicht eben nie aus. – Eine quantitative und qualitative gestalterische Ausnahme bietet die wunderbare Episode um den „nationalsozialistischen Pumphosenspießer“ beziehungsweise „Voralpenschwachdenker“ Heidegger, die zwei Doppelseiten in jeweils zehn Panels auflöst, davon je drei Reihen mit jeweils drei Bildern.
Mahlers Vorstellung von Bernhards Alten Meistern ist zwar einerseits ein durchaus oft kurzweiliges und mitunter erhellendes Kunstwerk, eine „kongeniale Adaption“ (wie nicht selten zu lesen war) ist es indes nicht. Auf einer Metaebene könnte man nun zwar versucht sein, Mahlers Technik der Reduktion als Anwendung des Bernhardschen Plädoyers für das Fragment aufzufassen. Auch könnte man – freilich in einer konstruktivistischen Umkehr – in der Zeichnung der Figuren den Versuch sehen, Bernhards Dekonstruktion der Kunst als Karikatur nachzuvollziehen. Genauso gut könnte man allerdings davon sprechen, dass die Graphic Novel nur mehr den Horizont Irrsiglers abbilde... Diese Überlegungen kommen aber nie ohne Bernhards Alte Meister als Prätext der Adaption aus, insofern bewerten sie Mahlers Werk als unselbständig. Dies mag zwar in das Konzept der geplanten Suhrkamp-Comic-Reihe zu den verlagseigenen Klassikern passen, als Maßstab für den Comic taugt es entweder nicht oder klassifiziert ihn als unterkomplex erzählend. – Wir entscheiden uns bei einer der nächsten Vorstellungen.
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