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14. Februar 2012
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Felix Giesa
für satt.org |
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Wimmen's ComixComics von Frauen sind nun wahrlich nichts Neues und auch die Zahl der Zeichnerinnen ist eher immer größer geworden. Eine Vielzahl von ihnen genießt eine hervorragende Reputation und man kann wohl behaupten, dass es einer Zeichnerin, Marjane Satrapi, oder genauer dem Comic einer Zeichnerin, Persepolis, mit zu verdanken ist, dass der Comic seit einigen Jahren eine vermehrte Aufmerksamkeit genießt. Spätestes mit Fun Home von Alison Bechdel ist das weibliche Erzählen von sich selbst in Comics dann auch als literarische Form anerkannt. Weibliche Comickünstler scheinen also gerade im (auto)biographischen Erzählen ihr Genre gefunden zu haben. Wobei dies jedoch nicht so separierend wie das ‚literarische Fräuleinwunder’ zu verstehen ist, zumal der weibliche autobiographische Comic seine frühen Formen in den Wimmen's Comix um Zeichnerinnen wie Trina Robbins und Aline Kominsky hatte. Die geradezu programmatische Drastik gerade feministischer Themen dieser frühen Arbeiten ist den neuen, jungen Erzählerinnen so nicht mehr eigen. Sie müssen auch gar nicht mehr um jeden Preis schockieren, um wahrgenommen zu werden. Geblieben ist hingegen die hundertprozentige Hingabe zur Exposition des eigenen, des weiblichen Lebens. Eine solche junge Comiczeichnerin ist Judith Vanistendael, die mit ihrem Debüt Kafka für Afrikaner. Sofie und der Schwarze Mann einen semiautobiographischen Comic geschaffen hat, der all das in sich vereint: Das Leben und die Liebe einer jungen selbstbewussten Frau, politisches Statement und Dokument des Zeitgeschehens. Die noch nicht einmal zwanzigjährige Belgierin Sofie verliebt sich in Abou, einen jungen Togolesen ohne Aufenthaltsgenehmigung. Aus dieser knappen Ausgangssituation entwickelt Vanistendael ihr Erzählgeflecht, dass Sofie mit einer Vielzahl Biographiesplitter in Verbindung setzt. Ihre Erzählungen von Abou, über Abou finden diese Fragmente verschiedener Leben ihre Entsprechung in einer verwischenden Erzählerstimme, die zwischen der wohl ansatzweise autobiographischen Erzählerin, der Erzählstimme des Vaters sowie zum Ende hin in einer Binnenerzählung zwischen Sofie und ihrer Tochter. Letztendlich wird die Faktizität der Autobiographie durch die Zeichnungen bezeugt. Vanistendaels Comic-Handschrift, ihre schwarz-weißen Zeichnungen stehen in der Tradition der frühen Frauencomics, sind jedoch in ihrem Stil an den graphischen Lebenserzählungen heutiger Comiczeichnerinnen geschult und so selber Teil einer Generationenfolge zeichnender und erzählender Frauen, die ihre Leben und Themen in der Mittelpunkt ihrer Erzählungen rücken. Was in diesem Zusammenhang autobiographisch heißen mag, ist im Grunde genommen auch egal. Es geht darum, einen Lebensweg nachzuzeichnen und seine Anknüpfungspunkte, -überkreuzungen und Gemeinsamkeiten mit anderen Lebenslinien festzuhalten. Im Kern also darum, eine Genealogie auf der Comicseite zu erstellen. Dass ein solches genealogisches Prinzip heute nur mehr transnational stattfinden kann, zeigt sich in Kafka für Afrikaner bereits in Ansätzen. Konsequent verwirklicht und in einem komplett anderen Ansatz, findet es sich bei Brigitte Weyhe.
Weyhe erzählt eine Geschichte des 20. Jahrhunderts über eine Vielzahl Länder und Kontinente hinweg, verknüpft Familien, Personen, Einzelschicksale aber auch Zeitgeschehen zu einem Reigen geschichtlicher und menschlicher Episoden. Als Ausgangspunkt dient ihr dabei eine knappe Familienbegegnung 1955 in Kanada. Ein kleiner Anhänger wird hier von einer Großmutter an die Enkelin weitergereicht und eröffnet so rückblickend den Reigen, der dem Leser in kurzen Vignetten vor Augen führt, wie der Anhänger in den Besitz der Großmutter gelangte – und was danach geschah bis in die Gegenwart. Auffällig ist dabei das bildnerische Erzählen. Wie auch schon in ihrem Debüt Ich weiß (Mami Verlag) setzt Birgit Weyhe auf ein assoziatives Bildinventar. In der Panelfolge präsentieren sich nicht immer nur Bilder des tatsächlichen Handlungsgeschehens, sondern auch eben assoziativ verknüpfte Bilder des kulturellen und zeithistorischen Kontextes. So etwa auf einer Seite, in der Lucille von ihrem Leben im besetzten Frankreich erzählt, während ihr Freund im unbesetzten Bereich Teil des Widerstandes ist. Zur Illustration ihres Berichts finden sich ein Revolutionsplakat des Vichy-Regimes sowie ein deutscher Stahlhelm mit Begleittext in Fraktur: „Als wäre nichts gewesen.“ Der Zeichnerin gelingt so eine Verknüpfung mit dem Bildarchiv des 20. Jahrhunderts, die noch weit über den Handlungsrahmen der Figuren hinausgeht.
Das die einzelnen Zeitabschnitte dabei immer durch Kapitelseiten eingeleitet werden, die an die Einbände der Büchlein in der Insel-Bibliothek erinnern, ist ein hübscher gestalterischer Kniff, der seine Wirkung gleichwohl nicht verfehlt. Die einzelnen Zeitfragmente mögen wie Inseln im Meer der Zeit liegen, gemeinsam jedoch bilden sie den Archipel des 20. Jahrhunderts. Die selbstbewussten, vielfältigen Stimmen sind es unbedingt wert, wahrgenommen, betrachtet und gelesen zu werden.
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