Anzeige: |
satt.org | Literatur | Comic | Film | Musik | Kunst | Gesellschaft | Freizeit | SUKULTUR |
10. März 2012
|
Felix Giesa
für satt.org |
||
|
Die Liebe zum AtomEine früh hinter vorgehaltener Hand geflüsterte Anmerkung zu Fukushima war, dass man nicht verstehen könne, warum ausgerechnet die Japaner, die es vermeintlich besser wissen sollten, sich Atomkraftwerke gebaut haben. Abgesehen davon, dass dieser Kommentar schlichtweg eine Frechheit war, da ja auch der Rest der Welt die Bilder der Folgen der Atombombenabwürfe kennt, haben die Japaner in ihrem Fortschrittsglauben und ihrem Hang zur Technik vermutlich wie kaum eine andere Nation an die friedliche Nutzung des Atoms geglaubt. Und das keineswegs naiv. Wenn man aufmerksam einige, auch hierzulande erschienene, Manga liest, gelangt man recht schnell zu dieser Erkenntnis. So spielt etwa eine Zeitlinie in Naoki Urasawas herausragendem 20th Century Boys in den 1960er und -70er Jahren und erzählt von einer Gruppe Kinder, die ein eigenes Szenario der Zukunft entwirft. Beeinflusst werden sie bei ihrer Geschichte von den Comics und Filmen ihrer Zeit – und von der EXPO ‘70. Deren Motto „Fortschritt und Harmonie“ kann als pervertiertes Ideal des Antagonisten der Helden gelesen werden. Es ist die Hoffnung auf eine durch Technik leichtere Zukunft des beginnenden Space Age (die Mondlandung spielt bei Urasawa ebenfalls eine zentrale Rolle), welche auch die Kinder in ihrem Spiel antreibt. Bei aller Hoffnung auf eine friedliche atomare Zukunft, wurde jedoch nie das Wissen um das apokalyptische Erbe vergessen. Aus dem öffentlichen Diskurs war das Sprechen über Hiroshima und Nagasaki vielleicht verbannt, dennoch waren die Bilder der Folgen im kollektiven Gedächtnis fest verankert. Es mag also kein Wunder sein, dass zu Beginn der 1970er Jahre mit Barfuß durch Hiroshima eine mahnende Stimme ob des Fortschrittglaubens erschien. Die dort zu sehenden schmelzenden und zerfließenden Körper erinnern nicht an einen Horrorfilm, sie sind das reale Ereignis, welches der moderne Horrorfilm mit seinen geschundenen und mutierten Körpern immer weiterspinnt. Auch im Manga finden sich natürlich zahlreiche Beispiele gerade für das formwandlerische Element. Wie etwa in Akira, wenn zum Ende der Reihe die Protagonisten massive körperliche Mutationen durchmachen, ausgelöst durch genetische Experimente. In Akira geschieht dies im unmittelbaren Moment einer Apokalypse. Die reale Apokalypse von Hiroshima und Nagasaki hatte ihre genetische Auswirkung erst Jahre später, aber dennoch stehen Beispiele wie Akira – und überhaupt ein Großteil des Cyberpunks – in der bewussten Tradition dieser Erfahrungen. Damit hat Cyberpunk natürlich auch immer Einflüsse aus dem Horror und Science Fiction, was sich auch bei einem Blick in einige aktuelle Manga zeigt: Inspiriert von der klassischen Science Fiction Geschichte Needle von Hal Clement, wird in 7 Billion Needles von Nobuaki Tadano ein Urgestein des Body-Snatcher-Themas interpretiert. Wie auch in Akira sind die handelnden Figuren Jugendliche in den tiefsten adoleszenten Krisen. Hikaru Takabe schirmt sich vor den Hänseleien ihrer Mitschüler durch ein großes Paar Kopfhörer ab. Ausgerechnet durch dieses nimmt ein ausirdisches Wesen mit ihr Kontakt auf und fordert, ihr beim Kampf gegen seinen Feind beizusteuern. Dass es sich jedoch bei der Wirtin Takabe gar nicht mehr um das echte Mädchen Takabe handelt, erfährt nur der Leser. Der außerirdische Symbiont hat ihren Körper bei der Kontaktaufnahme vernichtet und Takabes Geist in einen künstlichen Körper transferiert. Auch hier dient der Verweis auf den künstlichen Körper als Kritik am Status des Menschen in der heutigen Gesellschaft, mehr noch, wenn es sich um japanische Schüler handelt, die einem harten Schulalltag unterworfen sind. Für das körperliche Leid, dass sie dabei regelrecht erfahren, findet 7 Billion Needles mit den deformierten Körpern eine gelungene graphische Metapher. Werden hier also Urängste vor dem Anderen und der Angst um die Unversehrtheit des Körpers mit der Angst vor unkontrollierbaren genetischen Mutationen gepaart, entwickelt Tadano hieraus eine mitreißende Geschichte. Biomega- und Blame!-Mangaka Tsutomu Nihei hat bei Egmont zwei neue Titel veröffentlicht, in denen die Folgen genetischer Mutation ebenfalls eine zentrale Rolle spielen. In ABARA führt Nihei in eine Welt ein, in der Wesen namens Gauna ihre Knochen in Rüstungen und Waffen mutieren können, wodurch sie zu makaberen Superwesen werden. Anscheinend hervorgegangen aus genetischen Experimenten muss der junge Denji Kudo gegen weiße Gauna antreten. Was an ABARA auffällt, ist die düstere, gothic-ähnliche, postapokalyptische Stimmung der Bilder, die eine Welt vor Augen führt, in welcher der technische Fortschritt keinen Wohlstand für alle brachte, sondern nur noch mehr Leid und Verderben. ABARA ist dabei ein hochrasanter und spannender Actioncomic, der sich gut in die Tradition ähnlicher Genrearbeiten einreiht. In seiner zweiten Serie, Knights of Sidonia, springt Nihei in die Zukunft von ABARA und schildert das Schicksal der Menschheit in einem Plot, der einer Kreuzung aus Battlestar Galactica und Gundam Wing ähnelt. Die kümmerlichen Reste der Menschheit leben auf dem riesigen Raumschiff Sidonia nach wie vor in einem rigiden Klassensystem, welches das Überleben aller sichern soll. Zu dieser Vision passt, dass Menschen, die eine gewisse Lebensspanne erreicht haben, im Biokonverter ‚wiederverwendet‘ werden. Doch sind die hier anklingenden dystopischen Züge keineswegs vordergründig, in der Hauptsache ist Knights of Sidonia eine Mecha-Geschichte unter vielen. Das ist kein großer Wurf und bleibt auch hinter ABARA zurück, wird aber sicher unter Fans seine Freunde finden. Die Gefahren jeglicher Technik, auch wenn es sich nicht immer explizit um atomare Technik handelt, werden also besonders in Genremanga immer wieder reflektiert. Die Bilder der Auswirkung auf den menschlichen Körper und auf den menschlichen Wohnraum finden sich vielfach in den Geschichten. Zitierten sie ursprünglich die Atomkatastrophe, haben sie nun im Nachhinein einen prophetischen Gehalt bekommen. Dass sie dabei nicht dröge Mahnung sein müssen, sondern spannende Actionunterhaltung, wissen wir seit Akira.
|
satt.org | Literatur | Comic | Film | Musik | Kunst | Gesellschaft | Freizeit | SUKULTUR |