Überarbeitete Version. Niemand ist unfehlbar, durch teilweise konstruktive Hinweise (teilweise waren sie aber auch gar nicht konstruktiv) habe ich dazugelernt, würde heute einiges anders schreiben - und deshalb tue ich es auch. Der alte Text bleibt weiter sichtbar (meine Fehler darf jeder nachvollziehen), und den Tonfall, den manche als respektlos und unangemessen empfanden, kann ich nicht mit kleinen Änderungen verschwinden lassen. Somit verbleibt dieser, sorry! Es gab ja immerhin auch Leser, die es als »liebevollen Verriss« auffassten.
Erlangen 2012:
Die Comics, Teil 2:
»Kitsch für Mädchen«
Bei meinem Erlangen-Artikel für die FAZ hatte ich im Zusammenhang mit der Verleihung des Publikumspreises an Daniela Winklers deutschen Manga Grablicht angedeutet, dass Online-Wahlen mitunter mehr darüber aussagen, wie gut Künstler (oder ihre Fans) in sozialen Netzwerken verankert sind, als über die tatsächlichen Qualitäten der Werke oder die Meinung der Zielgruppe (hiermit meine ich die Gesamtheit der ComicleserInnen) dazu.
Daraufhin kam dann auch tatsächlich eine FAZ-Leser(innen)meinung einer gewissen Meike Nederveld (eine kurze Recherche legte nah, dass sie als Tutorin bei einem universitären japanischen Sprachkurs tätig sein könnte), die folgendes meinte:
Wenn schon die Methode der Auswahl für den Max und Moritz Preis kritisiert wird, sollte man doch auch so fair sein und an dem unverdienten Gewinner direkt Kritik üben. Momentan stellt es sich einfach so dar als sei es eine Selbstverständlichkeit, dass Manga aus Deutschland nicht gut sein können. Diese Annahme ist aber schlicht unfair.
»Grablicht« an sich dagegen bietet genug Angriffspunkte für Kritik. Zu kitschig, nicht originell, für einen »visuell orientierten« Manga eher schlecht gezeichnet, mitunter fast sexistisch (Frauen sind dumm!) und außerdem zu kitschig.
Statt mich jetzt bei der FAZ zu registrieren (wie ich es an anderer Stelle tat, um auf gewisse Vorwürfe und Missverständnisse zu reagieren), antworte ich jetzt an dieser Stelle darauf, und wer mag, kann Meike ja Bescheid sagen. Zunächst einmal habe ich meines Erachtens nicht einmal impliziert, dass alle deutschen Mangas schlecht sein, »deutscher Manga« war einfach eine Kurzbeschreibung des Werkes. Wenn ich beim Panaroma-Publikumspreis davon schreiben würde, dass eine portugiesische Doku, ein Kinderfilm, eine Bruckheimer-Produktion oder ein Twilight-Spinoff gewonnen hätte und dann im nächsten Satz oder Absatz erkläre, dass der Film mies war (was ich in der FAZ noch nicht einmal tat), so bedeutete das doch nicht, dass alle Twilight-Spinoffs (usw.) mies sind!
Ich kenne außer Grablicht (Band 2) überhaupt keine deutschen Mangas (außer kurze Ausflüge von Didi und Stulle) und würde mir nie anmaßen, mir bei meinem derzeitigen Informationsstand ein Urteil darüber erlauben zu können (abgesehen davon, dass sie mich nicht übermäßig interessieren). Es ging einfach darum, mit wenigen Worten zu umreißen, was für ein Werk das ist. Ich hätte auch »Vampircomic für Mädchen« schreiben können, in diesem Genre hätte ich dann immerhin noch zwei Anne-Rice-Adaptionen gekannt (eher für Frauen als für Mädchen), aber während ich persönlich finde, dass »deutscher Manga« als Umschreibung relativ neutral und informativ ist, würde ich bei »Vampircomic für Mädchen« tatsächlich unterstellen, dass die vermeintliche Zielgruppe (ich mag Mädchen, versteht mich nicht falsch!) bereits misskreditierend wirkt (»Hey, du wirfst ja wie ein Mädchen!«). Daniela Winkler nannte Grablicht übrigens bei der Preisverleihung (wo sie aufgrund des negativen Urteils zum Comic von Hella von Sinnen bereits etwas in der Defensive wirkte) »Kitsch für Mädchen«. Aber sie darf das, weil sie mit 24 ja selbst noch als Mädchen durchgeht (so wie auch der eine Homeboy den anderen Brother ihr-wisst-schon nennen darf).
Zurück zum Thema. Ich habe übrigens auch eine andere Auffassung davon, was »fair« ist. Im Kontext meines Artikels war einfach nicht der Platz gegeben, Grablicht (Band 2) mal eben kurz in der Luft zu zerreißen, ich bin auch davon ausgegangen, dass dies den durchschnittlichen FAZ-Leser eher wenig interessieren würde. »Fairerweise« hole ich dies aber an dieser Stelle nach, bei satt.org ist die Chance, dass jemand auf die Seite geht, um mein Geschreibsel zu lesen, weitaus größer als bei der FAZ, wo mein Beitrag zum Gesamtvolumen doch eher bescheiden wirkt.
Meike führt ja fünf Kritikpunkte an, die ich mal der Reihe nach durchgehen möchte.
»zu kitschig« – Kitsch an sich muss ja nicht immer etwas Schlechtes sein. Im Vampirfilm Dark Shadows von Tim Burton (Burton soll auch Inspiration für Winkler sein, konnte man irgendwo lesen) geht es auch extrem kitschig zu, vom »He's coming!« bis zur Makramee-Sammlung. Hier zeichnet der Kitsch das Werk aber durchaus aus, weil der Kitsch dazu verwendet wird, die Situation (Erstaunen angesichts einer Lava-Lampe) und die Soap-Vorlage (unbelehrbares Reinfallen auf immer dieselbe Tussi) zu parodisieren. Bei Grablicht (Band 2) hingegen fand ich auch einiges an Kitsch, doch seltsamerweise erinnerte mich dies allenfalls in unschöner Weise an Twilight (Film 1, danach habe ich mich ausgeklinkt), ein Werk, von dem ich durch die Preisverleihung wusste, dass Daniela Winkler höchst allergisch auf Vergleiche damit reagiert. Aber wer in seinem Vampir-Comic Dialogzeilen wie »Bitte lass mich bei dir schlafen. Ich mach mich auch ganz klein« (es geht um einen Sarg, den ein junges Mädchen mit ihrem Vampir-»Herren« teilen möchte) einbaut, die Beziehung zwischen einer 16jährigen und einem jung wirkenden, aber älteren Vampir ganz »unschuldig« erotisiert (Vampirbisse sind immer wie Küsse oder Sex, mich stört nur die aufgesetzte »Unschuldigkeit«) ... oder das Werk dann auch noch erstaunlich ähnlich benennt (Grablicht hieß ursprünglich anders), der hat es einfach nicht anders verdient! Ergänzung: Die zeitliche Abfolge der Erschaffung und Benennung der beiden Werke ist fraglich, Daniela Winkler impliziert, dass sie den Titel »Grablicht« bereits gewählt hatte, als ihr »Twilight« noch komplett unbekannt war.
»nicht originell« – okay, bei so scharf umrissenen Regeln wie bei einigen Manga-Subgenres ist es schon schwer, originell zu sein. Auf wie viele Arten kann man einem jungen Mädchen zeichnerisch unter den Rock linsen? Doch darum geht es ja bei Grablicht (Band 2) nicht. Daniela Winkler variiert immerhin die bekannten Vampirregeln (wie es auch bei Twilight und vielen anderen aktuellen Vampirgeschichten passiert), bei Sonnenlicht stirbt man nicht sofort, Kreuze und Knoblauch funktionieren nicht bei jedem Vampir usw. Doch dummerweise ist das alles so unendlich banal und uninteressant, was viel schlimmer ist als nur unoriginell zu sein.
»für einen 'visuell orientierten' Manga eher schlecht gezeichnet« – an dieser Stelle muss ich zugeben, dass ich nicht wusste, dass es auch Mangas gibt, die nicht »visuell orientiert« sind. Ich nehme an, dass diese dann ihre Geschichte mit den immer selben »talking heads« erzählen. Wobei ich sagen muss, dass Grablicht (Band 2) davon auch nicht weit entfernt ist. Mangas, wie ich sie kennengelernt habe (größtenteils Jungs-Zeugs von Katsuhiro Otomo, Keiji Nakazawa, Kazuo Koike, Ryoichi Ikegami oder Goseki Kojima), zeichnen sich ja unter anderem dadurch aus, dass sie die Narration auch gerne mal für anderthalb Seiten beiseite lassen und stattdessen beispielsweise die Umgebung zeigen. Scott McCloud hat das in seinem Understanding Comics als eines der Merkmale des Manga (zu Beginn seines Triumphzugs in den Westen) beschrieben, und selbst bei nordamerikanischen Ablegern wie Jill Thompson oder Bryan Lee O'Malley findet man trotz aller »Geschwätzigkeit« immer mal wieder dialogfreie Seiten oder gar Doppelseiten. Gibt es auch in Grablicht (Band 2), aber die Autorin weiß dieses Stilmittel nicht wirklich gewinnbringend einzusetzen, sie treibt ihre Handlung vor allem durch Dialoge voran, ich konnte nur wenige Momente finden, wo die Interaktion zwischen den Figuren vor allem von Blicken, Mimik, Gestik oder Körperhaltung vorangetrieben wurde. Das macht nämlich wirklich gute Comics aus. Und alle von mir in diesem Textteil genannten Künstler beherrschen das ganz gut.
Dummerweise stockt die Erzählung in Grablicht (Band 2) sowohl visuell als auch von den Dialogen her, die Dramaturgie ist holprig. Und wären die Figuren nicht so rar gesät und anhand Geschlecht, Haarfarbe, Alter oder Accessoires (das Monokel!) gut zu unterscheiden, müsste ich mokieren, dass im Wechsel zwischen romantischem, cartoony und was nicht gerade für einen Stil die Figuren sich selbst nicht unbedingt ähnlich sehen. Hauptfigur Emily wirkt mal wie eine Achtjährige und dann wieder wie eine Werbung für Silikonimplantate. Und insbesondere der Umgang mit Rastern (ich denke, Rasterfolien benutzt heute fast keiner mehr, dafür gibt es wahrscheinlich Computerprogramme) kann den Bildern in den wenigsten Fällen die räumliche Tiefe verleihen, für die sie wahrscheinlich eingesetzt wurden. Besonders schlimm ist das, wenn irgendwo Sitzmöbel auftauchen, die sich jeweils dadurch auszeichnen, dass sie nicht die geringsten Anzeichen dafür geben, dass die auf ihnen sitzenden Personen ein Körpergewicht hätten. Aber vielleicht ist das eine veränderte Vampirregel, die in Band 1 erklärt wird.
»mitunter fast sexistisch (Frauen sind dumm!) – Diesen Vorwurf muss ich in aller Form zurückweisen. Zumindest in Band 2 kann ich zwar nicht behaupten, dass die Frauen besonders intelligent wären (insbesondere die Hauptfigur), doch die männlichen Figuren (fast nur eine) sind genauso dämlich, liefern die Infos ab, die für den Plot nötig sind, halten die emotionale »Spannung« wie in einer Soap am Köcheln, und sind vielleicht eine klitzekleine Spur aktiver – aber das war's dann auch schon. Wenn hier ein Geschlecht erkennbar intelligenter wäre, würde ich das schon als klare Verbesserung auffassen. Vampire an sich sind hier nicht besonders clever (selbst die durchtriebene Rubinia weiß zwar zu intrigieren, beweist aber ansonsten auch nicht unbedingt Gehirnschmalz – »Saphira würde viel besser zu dir passen« – eine immens geniale Namenswahl für eine selbsterkorene Jüngerin), sie scheinen aber immer noch cleverer zu sein als Nicht-Vampire – die tauchen nämlich in Band 2 fast nur als Opfer auf (und natürlich die durchgeknallte Oma, ein Möchtegern-Vampir – Alterssenilität als komödiantisches Element für ein größtenteils junges Publikum – da muss man selbst nicht mal alt sein, um an der Angemessenheit zu zweifeln).
»außerdem zu kitschig« – Na gut, diese Wiederholung habe ich als Stilmittel erkannt (Kyklos), weshalb ich nicht noch mal darauf eingehe.
Falls sich übrigens jemand daran stören sollte, dass ich nur Band 2 der Serie gelesen habe, mir somit also kein Bild machen könne – war halt vergriffen. In Band 2 gab es übrigens einen Code, mit dem man das Buch auch online hätte lesen können, doch die Seite comicstars.de wollte sich bei mehreren Versuchen nicht aufbauen. Somit bringt es auch nichts, wenn ich jetzt sage: Man hätte ja der Presse den Code (des ersten Bandes) zuspielen können, um ihr die Möglichkeit zu geben, auch diesen zu lesen – doch Pressearbeit bei nicht mehr erhältlichen Produkten bringt halt wenig. Und streng genommen bringt auch ein Verriss unter diesen Umständen wenig – aber für Meike und die ob meiner paar Zeilen entrüsteten Manga-Freunde wollte ich – in aller Fairness – dieses Urteil nicht schuldig bleiben. durch freundliche Unterstützung von animexx konnte ich dies mittlerweile (bis auf wenige Seiten) nachholen. Der Gesamteindruck wird besser, wenn man die Vorgeschichte kennt, man über das Stilmittel »Chibi« aufgeklärt wird und man erfreut feststellt, dass bei Frau Winkler auch die »netten« Vampire töten. Trotz der Vorgeschichte Emilys würde ich aber meine Einschätzung ihrer Intelligenz vorerst nicht komplett umbewerten (vielleicht kommt das in Band 3), und auch, wenn ich »Grablicht« als Äquivalent einer Kleinmädchengeschichte früherer Zeiten (mit einem Traumprinzen auf einem weißen Pferd) auffasse und ich das Zielpublikum im Auge behalte, kenne ich zwar keine anderen »Shojo«(s), die ich stattdessen empfehlen würde, aber durchaus einige Comics, die für »Mädchen« geeignet (oder sogar konzipiert) sind und bei denen ich die Lektüre weitaus gewinnbringender empfand. Zum Beispiel Jeff Smiths »Bone«, Jill Thompsons »Scary Godmother«, Julien Neels »Lou!«, die »Little Mermaid«-Comics von Peter David, die jugendverträglicheren Werke von Lilian Mousli (ähnlicher Zeichenstil, was die Aquarelle angeht), und in Ansätzen »Strangers in Paradise« von Terry Moore (auch stilistisch ähnlich, aber eher für Leserinnen ab 15, 16).
Zugegebenermaßen haben aber Mangas die jungen, weiblichen Leserinnen im Westen in einer Weise erschlossen, die zuvor undenkbar war.