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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen





21. August 2012
Thomas Vorwerk
für satt.org

Comic-Salon-Erlangen 2012

Erlangen 2012:
Die Comics, Teil 3:
Blau wie das Eis,
blau wie die See

Tony Randall als Felix Unger und Jack (Quincy) Klugman als Oscar Madison quälten sich als The Odd Couple in der ersten Hälfte der 1970er durch 114 Episoden der im deutschen Fernsehen als Männerwirtschaft gesendeten Sitcom. Schon zwei Jahre zuvor gab es 1968 die Kinoversion (mit Jack Lemmon und Walther Matthau), und 1969 die »Muppetversion« (Ernie & Bert).

Seltsame Paare gibt es auch unter den 25 Nominierten des Max-und-Moritz-Preises 2012: Guy Delisle und Joe Sacco oder Baby Blues und The Walking Dead. Das seltsamste Paar besteht aber aus zwei stattlichen Graphic Novels, die in einem nicht völlig unterschiedlichen Zeichenstil gehalten sind und beide mit Zwischentönen der Zusatzfarbe Blau arbeiten. Das Blau steht für die maritime Thematik, wobei sowohl die See als auch das ewige Eis natürlich nur das Blau des Himmels reflektieren.

  Nick Hayes: Die Ballade von Seemann und Albatros
Nick Hayes: Die Ballade von Seemann und Albatros, Mareverlag 2012, HC, 352 S., € 28.-
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Nick Hayes: Die Ballade von Seemann und Albatros

In seiner Ballade von Seemann und Albatros versucht sich Nick Hayes an einer modernen bzw. modernisierten Adaption von Samuel Taylor Coleridges The Rime of the Ancient Mariner, im englischen Sprachraum ungefähr so bekannt wie hierzulande Schillers Die Glocke. Im Original heißt das Werk auch The Rime of the Modern Mariner, und aus meiner Sicht ist ein nicht geringes Problem der deutschsprachigen Ausgabe, dass man zwar im Anhang des Buches den gesamten Coleridge-Text nachlesen kann (auf Englisch oder Deutsch, leserfreundlich nebeneinander), man aber ungeachtet der bemühten Übersetzung durch Henning Ahrens vielleicht auch gerne den Text von Nick Hayes gerne im Original kennen würde (zumindest ich als Anglist und bekennender Snob), denn zumindest die Seiten, die man davon leicht im Netz einsehen können, reimen sich in der poesiefreundlichen englischen Sprache natürlich viel sauberer als bei einer Übertragung in eine Fremdsprache (noch dazu Deutsch), wenn man nicht nur die Handlung rüberretten muss, sondern durch die komplexe Verbindung des Textes mit dem Bild neben dem Versmaß und Reimschema auch noch auf die Buchstabenzahl usw. achten soll. In Ketten kann man schlecht Bodenturnen.

Das zweite Problem wiegt aber noch schwerer, und darunter wird auch die Originalversion des comic-ähnlichen Werkes leiden. Zwar ist die Idee, den Fluch des geschossenen Albatross mit der Thematik der Umweltverschmutzung zu vermengen, interessant, und die Geschichte entwickelt eine monströse Sogwirkung, doch rein graphisch überzeugt die Umsetzung des Seemanns als Platzhalter für den Leser nicht wirklich. Scott McCloud hatte ja mal die durchaus umstrittene These aufgestellt, dass in Comics eine möglichst einfach designte, fast symbolische Hauptfigur (Tim, Micky) den Leser besonders zur Identifikation einlädt, während die Gestaltung der Umwelt durchaus auch komplexer und realistischer geraten darf. Nick Hayes hält beides etwa auf dem gleichen Level, aber sein Problem (bzw. das meinige als Leser) ist es, dass der Seemann fast die komplette Geschichte begleitet, man aber sehr schnell das Gefühl bekommt, dass sein mimisches Spektrum sehr eingeschreckt ist. Er kann verblüfft schauen, geschockt und dann meinethalben noch »sehr geschockt«, aber um die Dramaturgie der Geschichte zu vertiefen (in der teilweise Schock auf Schock auf Riesenschock trifft), reicht dies nicht aus. Das ist so ein bisschen wie Jack Nicholson in The Shining: Sein Wahnsinn umfasst nur anderthalb Oktaven, es bedurfte aber eines Pavarotti des Wahnsinns. Oder im Falle »modern Mariner« hätten es schon drei bis vier Oktaven an Geschocktheit gebraucht. Ich gebe zu, dass dies ein hoher Anspruch ist und das man weder im Film noch im Comic nur wenige Talente findet, die gleichzeitig mit dem Understatement eines Buster Keaton und der explosiven Gesichtsakrobatik eines Jim Carrey aufwarten können, aber wenn sich zwischen dem, was man voller Ambitionen anstrebt, und dem, was man dann ganz bescheiden auch erreicht, eine Kluft auftut, die unübersehbar ist, dann darf man dies auch nicht verschweigen.

  Simon Schwartz: Packeis
Simon Schwartz: Packeis
Avant-Verlag 2012
176. S., €19,95
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Simon Schwartz: Packeis

Im »Packeis« wäre eine solche Kluft natürlich lebensgefährlich, aber Simon Schwartz (der neueste Max-und-Moritz-Preisträger vom avant-verlag) geht bescheidener zu Werke, leistet dafür aber mehr. Schwartz erzählt vom bekannten Wettrennen zum Nordpol, einer der großen Abenteuergeschichten der Menschheit zu Beginn des 20. Jahrhunderts, deren bekannteste Protagonisten jahrzehntelang Roald Amundsen, Robert Peary und Frederick Cook waren. Doch die Hauptfigur von Packeis ist Matthew Henson, der als Bediensteter Pearys, noch dazu mit dunkler Hautfarbe, von der Geschichte und ihren kaukasischen Schreiberlingen (zuvorderst Peary, der in Packeis gar nicht gut wegkommt) einfach »unterschlagen« wurde. Packeis ist ein Plädoyer gegen den Rassismus, neben Henson nimmt das Buch auch die Inuit sehr ernst, die es in der Spätphase des Kolonialismus (man denke auch an die Literatur des frühen 20. Jahrhunderts, mit Joseph Conrad, Rudyard Kipling, Sir Arthur Conan Doyle oder Edgar Rice Burroughs) scheinbar nicht einmal wert waren, als Fußnote in einem Geschichtsbuch aufzutauchen. All dies holt Packeis auf, denn mit einer Ausdauer und extensiven Recherche, die fast an Alan Moores From Hell erinnert, erzählt Schwartz die Geschichte Henson. Dabei dramatisiert, vereinfacht und fiktionalisiert er auch, liefert aber ähnlich wie Moore im Anschluss an den Comic umfangreiches Fotomaterial und eine detailierte Zeitlinie, anhand derer jeder die schriftstellerischen »Freiheiten« Schwartz' ersichten und fast ausschließlich nachvollziehen kann.

Der Zeichenstil ist ein wenig gewöhnungsbedürftig, passt aber durchaus zum Sujet, denn ähnlich wie Yves Chaland oder Seth ist Schwartz ein Nostalgiker und Retro-Fan (wer ihn bei der Preisverleihung sah, weiß, dass sich dies auch bei seinem Kleidungsstil zeigt), auch wenn er, was die Möglichkeiten des Mediums angeht, ganz auf der Höhe der Zeit ist. Einerseits erzählt er ganz klassisch, andererseits weiß er aber auch, wie man, um die Mythologie der Inuit zu einem großen Thema seines Comics zu machen, die klassische Erzählkunst auch mal beiseite lassen kann, um sich mit einer Inbrunst wie bei Alan Moore und seinem Magie-Tick oder wie bei Don Rosa und seiner Kalevala-Adaption auf so manche Comicseite zu stürzen und daraus so eine Art Kirchenfenster zu zaubern. Und im Gegensatz zu Moore verliert er dabei weder sich noch seine Leser aus den Augen. Ein würdiger Sieger, auch wenn dies bei einem kurzen Blick ins Werk (für Comic-Leser ein Standardverhalten) nicht unbedingt offensichtlich ist.


Demnächst: Dunkle Gerechtigkeit