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4. September 2012
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Jens Meinrenken
für satt.org |
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Geschichten zeichnen. Erzählung in der zeitgenössischen GrafikEs ist ein grundsätzliches Dilemma: Während Comic-Ausstellungen oftmals den kunst- und bildhistorischen Kontext ihrer Werke großzügig vernachlässigen, fehlt in den musealen Präsentationen moderner Grafik der Vergleich zur populären Zeichenkultur. Dabei sind die Bezüge offenkundig und akademisch relevant. So hat sich beispielsweise an deutschen Kunsthochschulen von Hamburg über Berlin bis Kassel eine Riege von Dozenten etabliert, die wesentlich zum künstlerischen Verständnis des Comics beitragen und zugleich neue Strategien der Zeichnung sowie der grafischen Gestaltung entwickeln. Auf internationaler Ebene lässt sich von einem transkulturellen Netzwerk sprechen, das unter anderem durch Festivals oder Publikationen eine vielfältige Zeichnungs- und Comickunst kreiert, die ganz verschiedene mediale Ausdrucksformen gleichberechtigt umfasst. Allerdings fehlen allenthalben der Mut und vielleicht auch das Wissen, diese Verbindungen als ein wesentliches künstlerisches Prinzip unserer Zeit zu begreifen und dementsprechend museal zu würdigen. Die Ausstellung Geschichten zeichnen. Erzählung in der zeitgenössischen Grafik im Museum Folkwang in Essen machte da keine Ausnahme (19. Mai bis 15. Juli 2012). Die vorliegende Kritik richtet sich aber weniger gegen die Ausstellung selbst, die vor allem durch ihre minimalistische Inszenierung überzeugen konnte, sondern möchte sich dem dazugehörigen Katalog widmen, der die reduzierte Gestaltung in seiner Aufmachung fortführt. Nach einer kurzen Einführung über das Thema der Erzählung in der Kunst, folgen knappe Kapitel zu den insgesamt zwölf Künstlern und Künstlerinnen, die in der Ausstellung zu sehen waren. Neben illustren Namen wie Marcel van Eden, Amy Cutler oder Marcel Dzama finden sich dort auch weniger bekannte wie Jana Gunstheimer oder Karen Scheper. Neben einem Werkverzeichnis wird der Katalog durch eine Liste von Animationsfilmen abgerundet, die während der Museumsschau gezeigt worden sind. Hier deutet sich an, was oben bereits gesagt wurde: ihre Urheber empfinden die filmischen Arbeiten als gleichrangig zu den Zeichnungen auf dem Papier. Dennoch wird diese mediale Koexistenz in den Katalogtexten selbst kaum reflektiert, geschweige denn abgebildet (und sei es im Idealfall durch eine beigefügte DVD). Trotz der vorbildlichen zweisprachigen Ausgabe in Deutsch und Englisch fehlt der analytische Tiefgang, der diesen Katalog zu einem Referenzwerk über die zeitgenössische Erzählung in der Grafik hätte machen können. Die wenigen kursorischen Bemerkungen des Kurators Tobias Burg über die theoretische Beschäftigung mit der Erzählung in Literatur und Kunst vermögen kaum zu erklären, warum denn nun angeblich dieses Thema in der Grafik der letzten zwölf Jahre eine immer stärkere Rolle spielt (keines der gezeigten Werke ist vor dem Jahr 2000 datiert). Und auch formal lassen sich einige der präsentierten Arbeiten mit dem sogenannten Phänomen des Storytelling, das im Katalog erwähnt wird, nur mühsam in Verbindung bringen. Dadurch gerät das ursprüngliche Konzept der Ausstellung in eine Schieflage, die durch einen tiefgründigen Blick auf die Objekte selbst zu vermeiden gewesen wäre. Leider helfen die Abbildungen in ihrer ausschnitthaften Reproduktion aus einem größeren Werkkonvolut bei diesem Problem kaum weiter. Vor allem das kleinteilige und schriftlastige The Skitz Book von Karen Scheper hätte einen schärferen und kontrastreichen Druck verdient, der dem Leser ein genaues Studium ermöglicht. Unter dem Strich ein optisch ansprechender Katalog, der trotz einiger Defizite die Hoffnung nährt, dass die museale Vermittlung des künstlerischen Erzählens in Bildern immer mehr an Bedeutung gewinnt. Jedenfalls handelt es sich dabei um eine lohnenswerte Aufgabe und die Chance zu einer visuellen Entdeckungsreise, von der nicht nur die Kunstgeschichte oder die internationale Comicforschung enorm profitieren würden.
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