Yukito Ayatsuji (Autor),
Hiro Kiyohara (Zeichnungen): Another Ai Aoki (Übersetzerin) Egmont Manga & Anime
Band 1: 182 S., € 7,00 »Verlag
Band 2: 180 S., € 7,00
Another »Die verfluchte
Klasse 3-3«
Der 14jährige Halbwaise Koichi muss die Metropole Tokyo verlassen und zu seinen Großeltern in das dörflische Yomiyama ziehen, da es seinen Vater berufsbedingt nach Indien verschlagen hat. Doch im Heimatdorf seiner Mutter, genauer gesagt in der dortigen Mittelschule scheint Unheimliches vorzugehen: Eine Legende besagt, dass vor 26 Jahren ein beliebter Schüler namens Misaki durch einen Unfall ums Leben gekommen ist; seine Mitschüler und Lehrer aus der Klasse 3-3 jedoch ignorierten den Todesfall, sprachen weiterhin mit Misaki und ließen ihn an allen Veranstaltungen teilhaben. Bei der Abschlussfeier schließlich wurde ein Klassenfoto geschossen – und auf diesem soll der tote Misaki zu sehen gewesen sein …
Die Klasse 3-3 und das gesamte Dorf Yomiyama wird, das lernt Koichi alsbald, von dieser Legende beherrscht. Wie sehr sich die Bewohner und seine Mitschüler vor dem Fluch fürchten, zeigt sich an der jungen Mei. Das mysteriöse Mädchen mit Augenbinde scheint zunächst niemand außer Koichi wahrzunehmen. Alsbald beginnt Koichi trotz seiner Rationalität an seinem eigenen Verstand zu zweifeln: Existiert Mei wirklich, ist sie ein Konstrukt seiner Phantasie oder ist sie vielleicht sogar ein Geist? Dabei wird der Konflikt zwischen dörflichem Aberglauben und städtischem Rationalismus geschickt in Szene gesetzt.
Dass Koichi das Mädchen nicht ebenfalls ignoriert, wird ihm schließlich zum Verhängnis: Nachdem erst eine Mitschülerin ums Leben kommt – sie fällt eine Treppe herunter und spießt sich dabei mit ihrem eigenen Regenschirm auf – und schließlich auch eine mit ihm befreundete Krankenschwester auf bizarre Weise stirbt, glauben die Schüler aus der Klasse 3-3 an einen neuen Todes-Zyklus und verweigern auch Koichi ihre Aufmerksamkeit. So erfährt der Junge, dass Mei durchaus existiert, doch in der Klasse zur »Nichtexistierenden« auserkoren wurde. Um die Anwesenheit des unbekannten Toten in der Klasse – der selbst laut Legende nicht um sein Dasein als Toter weiß – auszugleichen, ist es notwendig, einen existierenden Mitschüler so zu behandeln, als wäre er oder sie nicht da.
Mit dieser Prämisse und Meis Warnung an Koichi (»Nimm dich in Acht …! Wenn es einmal begonnen hat, hört es nicht mehr auf ...«) endet schließlich der zweite Band der Reihe und lässt die Leserin mit vielen Rätseln zurück. Allen voran stellt sich die Frage: Handelt es sich tatsächlich um einen Fluch, sind die mysteriösen Todesfälle auf den angeblichen »Toten« im Dorf zurückzuführen – oder handelt es sich nicht vielleicht doch um eine Form der self-fulfilling prophecy, ausgelöst durch die Imagination der abergläubischen Dorfbewohner? Und wenn wirklich ein Toter unter den Schülern weilt: Ist es vielleicht sogar der Protagonist Koichi selbst, oder handelt es sich auch hier nur um eine (allzu offensichtliche) falsche Fährte? Und was hat es eigentlich mit der Augenbinde von Mei auf sich, unter der sich ein Puppenauge befindet, mit dem sie angeblich Dinge sehen kann, die sie »nicht sehen sollte«?
Der vielversprechende Klappentext von »Another« hält somit tatsächlich das, was er proklamiert: Eine spannende und zuweilen gar fesselnde Geschichte, inszeniert in einer überaus düsteren Atmosphäre, die mit jeder neuen Antwort sogleich mindestens zwei neue Fragen aufwirft. Die detaillierten und stilvollen Zeichnungen von Hiro Kiyohara – im Horror-Genre auch in Deutschland bereits bekannt geworden durch KIZU (2009), Holiday (2008) und Tsumitsuki (2011) – eignen sich hierfür besonders, wenngleich die Verwendung von dunkler Rasterfolie, Schatten und fast gänzlich in schwarz gehaltenen Figuren mitunter übertrieben wirkt und durch den frequenten Einsatz an Bedeutung zu verlieren drohen. Das der Fokus der Geschichte sowohl auf der inhaltlichen als auch auf der visuellen Ebene sehr intensiv auf das Motiv des Auges respektive des »Sehens« (im Sinne des Erkennens) gelegt wird, verdeutlicht sich sich neben den Dialogen – so etwa Koichis Standpunkt, nur an das zu glauben, was er mit eigenen Augen sieht sowie der bereits erwähnten Augenbinde Meis – die hohe Anzahl an Nah- und Detailaufnahmen der Augen der verschiedenen Figuren; im Schock oder Unglauben weit aufgerissen, leer und seelenlos, oder voller Angst.
Allein die etwas zähfließende Erzählweise stellt einen deutlichen Kritikpunkt dar; allzu oft werden bereits bekannte Informationen wiederholt, ganze Passagen erneut wiedergegeben und ins Gedächtnis gerufen. Doch ist dies vielleicht auch als Stilmittel zu verstehen, mit welcher die Frustration und die Verunsicherung des Protagonisten intensiviert wird, durch dessen alleinige Perspektive (mit Ausnahme der vier- bis sechsseitigen Prologe) die Geschichte erzählt wird und der um seinen Verstand zu fürchten beginnt. Da die auf dem gleichnamigen Roman von Yukito Ayatsuji basierende Reihe mit insgesamt vier Bänden (und einem Zusatzband, der die »Vorgeschichte« erzählt, doch dessen Veröffentlichung hierzulande bisher nicht angekündigt wurde) abgeschlossen ist, bleibt anzunehmen, dass das Tempo in den folgenden Bänden angezogen wird – Band 1 und 2 vermitteln die Atmosphäre einer »Ruhe vor dem Sturm« –, die sich vermutlich in weiteren Todesfällen und einer – hoffentlich höchst gruseligen – Auflösung niederschlagen wird.